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BEDEUTUNG EHRENAMTLICHER TÄTIGKEIT FÜR UNSERE GESELLSCHAFT
ANTWORT DER BUNDESREGIERUNG AUF DIE GROSSE ANFRAGE DER FRAKTIONEN DER CDU/CSU UND DER F.D.P. UND DER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG DER REGIERUNGSFRAKTIONEN



Die von den Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachte Große Anfrage (Drucksache 13/2652) wurde am 1. Oktober 1996 von der Bundesregierung (Drucksache 13/5674) beantwortet. Am 5. Dezember 1996 fand die Bundestagsdebatte über die Große Anfrage statt. Der Entschließungsantrag (Drucksache 13/6386) der Regierungsfraktionen wurde angenommen. Im folgenden werden die Große Anfrage und die Antwort der Bundesregierung - teilweise gekürzt - sowie der Entschließungsantrag wiedergegeben.


Unser freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen lebt davon, daß Bürgerinnen und Bürger an seiner Gestaltung mitwirken und einen Teil ihrer Lebenszeit für das Gemeinwohl einsetzen.
Unser Gemeinwesen wäre nicht denkbar, wären nicht Millionen von Menschen aus freiem Entschluß bereit, sich in Wohlfahrtsverbänden, Kirchengemeinden, Vereinen, Parteien, Verbänden, Organisationen, Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen für eine am Gemeinwohl orientierte Aufgabe zu engagieren. Von der Vielzahl und Vielfalt freiwilliger Tätigkeiten hängt die Qualität des Lebens in unserem Lande entscheidend ab.
Dies herauszustellen ist wichtig auch im Hinblick auf die Erfahrung, welche die Menschen in den neuen Ländern im Laufe von vier Jahrzehnten gemacht haben. Zentral organisierte, allseitige Versorgung und staatlich verordnete gesellschaftliche Arbeit haben die Selbstbestimmung, Selbstverantwortung der Bürger und die Fähigkeit zur Selbsthilfe eingeschränkt und dadurch das Gemeinwesen geschwächt. Dennoch wurde unter erschwerten Bedingungen Erhebliches an ehrenamtlicher Tätigkeit geleistet, wodurch sich die Menschen Freiraum selbständiger und selbstbestimmter Lebensführungen geschaffen und gesichert haben. Dies war eine der Voraussetzungen für den Neuaufbau wirklich freier ehrenamtlicher Tätigkeit.
In Verbänden, Vereinen und Organisationen der alten Länder ist in den vergangenen Jahren ein Nachlassen ehrenamtlicher Tätigkeit zu erkennen. Der immer stärker werdende Drang zur Individualisierung der Lebensformen, einhergehend mit einer immer vielfältiger gegliederten Gesellschaft, deren Aufgaben professionalisiert und hauptberuflich von dafür ausgebildeten Fachleuten wahrgenommen werden, hat die Bereitschaft, über das eigene berufliche und familiäre Interesse hinausgehend freiwillige Aufgaben wahrzunehmen, zurückgedrängt.
Doch gibt es außerhalb der klassischen ehrenamtlichen Strukturen eine noch nicht ausgeschöpfte Bereitschaft an demokratischem Engagement, sozialer Sensibilität und Bereitschaft zur bürgerlichen Mitwirkung.
Die Gesellschaft muß diesen Wandel ehrenamtlichen Engagements erkennen und nutzen. Sie muß die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten mehr anerkennen, würdigen und unterstützen und somit die Selbstverantwortung wieder stärker in das Gemeinwohl einbinden. Denn Selbstverantwortung und Mithilfe entspricht unserem freiheitlichen Verständnis vom Staat.
Unsere Gesellschaft lebt von der ehrenamtlichen Tätigkeit.

Vorbemerkung

Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist nicht nur Ausdruck gelebter Solidarität und praktizierter Subsidiarität, sondern auch der Freiheitlichkeit unseres Gemeinwesens. Die Verantwortungs- und Leistungsbereitschaft, die in ehrenamtlicher Arbeit zum Ausdruck kommt, hebt Ehrenamtliche in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft heraus und macht sie zu Vorbildern. Ehrenamtlich Tätige nehmen ihre Verantwortung für die Sicherung und Erhaltung der Freiräume wahr. Sie verdeutlichen in ihrer Arbeit den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung, was dem Selbstverständnis unseres Gemeinwesens entspricht.
Gerade in der Freiheitlichkeit unseres Gemeinwesens liegt es begründet, daß freiwillige und ehrenamtliche Arbeit häufig unbeobachtet stattfindet, auch ohne direkte Kenntnisnahme durch staatliche Stellen. Ein freiheitlicher Staat nimmt für sich nicht in Anspruch, vollständig über Art und Ausmaß, Qualität und Quantität freiwilliger Leistungen seiner Bürgerinnen und Bürger informiert zu sein.
Dennoch ist es für zahlreiche gesellschaftspolitische Entscheidungen und für die weitere Entwicklung unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaates wichtig, daß staatliche Stellen einen hinreichenden Überblick über Entwicklungen und Tendenzen im Bereich bürgerschaftlichen Engagements haben. Diesen verschafft sich die Bundesregierung vor allem durch ein dichtes Netz von Kontakten mit Organisationen und Verbänden aus allen Bereichen der Gesellschaft, die auch auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sind.
Aufgrund der Vielfalt sowie der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Ausprägungen stellt die empirische Erfassung ehrenamtlichen Engagements eine große Herausforderung an die Forschung dar. Grundsätzlich wird unter ehrenamtlicher Tätigkeit jede freiwillig erbrachte, nicht auf Entgelt ausgerichtete außerberufliche Tätigkeit verstanden, die am Gemeinwohl orientiert ist, auch wenn sie für einen einzelnen erbracht wird. Kostenerstattungen oder Aufwandsentschädigungen stehen der Ehrenamtlichkeit grundsätzlich nicht entgegen. Es entstehen jedoch Abgrenzungsprobleme, z. B. wenn die finanzielle Anerkennung ehrenamtlicher Arbeit ein Ausmaß erreicht, bei dem nicht mehr von Unentgeltlichkeit gesprochen werden kann, sondern von nebenberuflicher Erzielung von Einkünften. Insbesondere die Unentgeltlichkeit macht den Wert des Ehrenamtes aus. Die fließenden Übergänge zwischen unbezahlter ehrenamtlicher und bezahlter Arbeit, d. h. zwischen Ehrenamt und nebenberuflicher bzw. hauptamtlicher Tätigkeit, aber auch die fließenden Grenzen zwischen Selbsthilfe und Ehrenamt führen bei der Beantwortung einzelner Fragen zu Unschärfen.
Die Recherchen im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage ergaben, daß systematische, alle Bereiche der ehrenamtlichen Tätigkeit und das ganze soziale Spektrum der ehrenamtlich Tätigen abdeckende Untersuchungen derzeit nicht vorliegen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend plant daher, im Rahmen seiner Haushaltsmittel eine entsprechende Untersuchung in Auftrag zu geben, in deren Rahmen in Form einer repräsentativen Umfrage Daten zur Struktur des Ehrenamtes, den Bereichen ehrenamtlicher Tätigkeit und zum Umfang ehrenamtlicher Arbeit erhoben werden sollen.

I. Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unser Gemeinwesen
2. Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung der ehrenamtlichen Tätigkeit für die Funktionsfähigkeit und das Selbstverständnis unseres Gemeinwesens bei?

Ehrenamtliche Tätigkeit im allgemeinen

Die Bundesregierung teilt die in der Vorbemerkung von den Fragestellern zum Ausdruck gebrachte Einschätzung der Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit für unser Gemeinwesen.
Ehrenamtliche Arbeit in allen ihren Facetten und Tätigkeitsfeldern ist Ausdruck von Verantwortungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, von Solidarität für die Gemeinschaft. Ehrenamtliches Engagement ist auch Ausdruck von Subsidiarität, nach der der Staat auf die Übernahme von Aufgaben verzichtet, die von einzelnen, von kleineren Gemeinschaften oder von freien Trägern erfüllt werden können. Es ist Pflicht des Staates, diese subsidiäre Aufgabenwahrnehmung sich entfalten zu lassen. Funktionsfähigkeit und Selbstverständnis unseres Gemeinwesens sind auf diese Art gelebter Solidarität und Subsidiarität angewiesen.
Ein wichtiger Leitgedanke des Sozialstaates Bundesrepublik Deutschland ist die Erkenntnis, daß gemeinnützige Träger soziale Aufgaben oftmals besser und bürgernäher bewältigen können als der Staat. Angesichts neuer Herausforderungen ist unsere Gesellschaft in Zukunft mehr denn je auf die freiwillige und ehrenamtliche Mitarbeit von Männern und Frauen, von Bürgerinnen und Bürgern aller Generationen angewiesen.
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, wie sie in der Kernaussage der "Berliner Resolution zum Ehrenamt", die anläßlich der Anhörung des Deutschen Sportbundes zum Ehrenamt am 6. November 1995 von den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege, von den demokratischen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien, von den Kirchen, vom Deutschen Frauenrat sowie von zahlreichen bedeutsamen Trägern und Organisationen aus dem Bereich des Katastrophenschutzes, des Umweltschutzes, der Entwicklungshilfe und anderer Bereiche verabschiedet wurde, zum Ausdruck kommt: "Die Qualität einer Demokratie hängt entscheidend davon ab, ob eine große Zahl von Menschen bereit ist, durch freiwilliges und unbezahltes Engagement an ihrer Gestaltung mitzuwirken." In den neuen Bundesländern trägt freiwilliges und ehrenamtliches Engagement zum Auf- und Ausbau von demokratischen Strukturen und einer sozialen Infrastruktur sowie zur Entwicklung einer Gesellschaft engagierter Bürgerinnen und Bürger bei.
Im Einigungsvertrag von 1990 heißt es in Artikel 32: "Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege und die Träger der Freien Jugendhilfe leisten mit ihren Einrichtungen und Diensten einen unverzichtbaren Beitrag zur Sozialstaatlichkeit des Grundgesetzes." Und in der Denkschrift zum Vertrag ist zu Artikel 32 ausgeführt: "Die Tätigkeit freier gesellschaftlicher Kräfte, insbesondere der Träger der Freien Wohlfahrtspflege und der Träger der Freien Jugendhilfe, ist ein Wesensmerkmal des demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinne der Ordnung des Grundgesetzes. Sie entspricht den tragenden Prinzipien der Pluralität und Subsidiarität." (Drucksache 11/7760, S.372)

Ehrenamtliche Arbeit in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft

Ehrenamtliche Arbeit prägt jeden einzelnen Bereich der Gesellschaft, in dem sie geleistet wird, und hat dementsprechend in jedem dieser Tätigkeitsfelder ihren eigenen Charakter und ihre spezifische Bedeutung.
Es war das soziale Ehrenamt, das die Entwicklung des Wohlfahrtswesens und der öffentlichen Sozialarbeit in Deutschland bis in die 30er Jahre prägte, bevor nach dem Zweiten Weltkrieg die Professionalisierung im sozialen Bereich einsetzte. Es ist auch heute noch so, daß Ehrenamtliche soziale Netze schaffen, die den Erfolg professioneller Sozialarbeit sichern helfen. Das soziale Ehrenamt ist eine Stütze des Sozialstaates. Die beste staatliche Sozialordnung kann nicht auf praktizierte Nächstenliebe verzichten. Sozialer Arbeit, die weder aufgrund einer Pflicht noch wegen einer Bezahlung, sondern nur der Sache wegen ausgeübt wird, kommt hier eine besondere Bedeutung zu.
Ehrenamtliche Tätigkeit trägt grundlegend zur Verbesserung der Situation im Pflegebereich und bei der Betreuung und Unterstützung behinderter Menschen bei und prägt den Bereich der Selbsthilfe Behinderter. Auch wäre ohne Unterstützung durch Ehrenamtliche die Verwirklichung der Hospizziele nicht zu erreichen. Ehrenamtliche Tätigkeit in den Hospizdiensten leistet einen Beitrag, das verschüttete Selbstverständnis unseres Gemeinwesens hinsichtlich der letzten Lebensphase wieder neu zu beleben.
Freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeit beschränkt sich nicht auf soziale Aufgaben, sondern umfaßt nahezu alle Bereiche der Gesellschaft und auch des Staates: Politik, Kultur, Justiz, Freizeit, Jugendarbeit, Sport, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Gesundheit und Sozialwesen, Katastrophenschutz und Rettungswesen, Freiwillige Feuerwehren, Arbeitsschutz, Tarifparteien in der Wirtschaft, Wissenschaft, Umwelt- und Naturschutz etc. Von vielen Trägern ehrenamtlicher Arbeit wird betont, daß das Ehrenamt, sei es in Leitungsfunktionen oder als Tätigkeit "an der Basis", eine Qualität habe, die durch professionelle Arbeit nicht erreicht werden könne, und daß ohne Ehrenamt das Verbandswesen nicht denkbar sei. Hinzu kommt das Engagement im "Neuen Ehrenamt", das nicht im Kontext von traditionellen Vereinen und Verbänden stattfindet, sondern in neugegründeten Organisationen und Initiativen das Element der Selbsthilfe mit Elementen des klassischen Ehrenamtes verbindet.
Durch freiwillige Arbeit in Vereinen, Organisationen und Initiativen erfahren, erlernen und praktizieren Menschen Gemeinschaftsempfinden, Fairneß, Toleranz, Einsatzfreude, Selbstdisziplin, Durchhaltevermögen - Werte und Tugenden, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind.
Junge Menschen lernen durch ehrenamtliche Arbeit, z. B. in der Jugendhilfe oder im Sport, frühzeitig die Bedeutung eigenen Engagements für andere, für die Gesellschaft und für sich zu erkennen. Freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeit ist daher ein wichtiges Angebot für junge Menschen, ihre Kompetenz und Einsatzbereitschaft zu zeigen und Anerkennung in der Gemeinschaft zu finden.
Den größten Teil der ehrenamtlichen Arbeit "vor Ort" leisten Frauen, vor allem im sozialkaritativen Bereich. In Parteien und vielen Verbänden sind sie jedoch unterrepräsentiert, an der Spitze dieser Organisationen kaum vertreten. Die zunehmende Partizipation von Frauen in Verbänden und Parteien ist ein Schritt hin zu mehr tatsächlicher Gleichberechtigung von Frauen und Männern.
Ehrenamtliches Engagement leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration vieler Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen in das Gemeinwesen:
o Die Interessenvertretung Behinderter, ihre aktive Teilhabe an gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen, die Entfaltung ihrer Persönlichkeit als Voraussetzung und Ergebnis eines selbstbestimmten Lebens wie auch die vielfältigen Formen der Hilfe und Betreuung durch Nichtbehinderte wären ohne ehrenamtliche Tätigkeit undenkbar. Der Selbsthilfegedanke findet gerade in dieser Form uneigennütziger, gegenseitiger Solidarität einen beredten Ausdruck.
o Die von älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern in den unterschiedlichsten Organisationen und Organisationsformen geleistete ehrenamtliche Arbeit verdeutlicht, in welch hohem Maß Seniorinnen und Senioren nicht nur in der Lage, sondern auch bereit sind, aktiv ihr Leben selbst zu gestalten, ihre Erfahrungen einzubringen, ihre Interessen zu vertreten und sich für andere und für die Gemeinschaft einzusetzen. Viele ehrenamtlich getragene Initiativen leisten auch einen Beitrag zum Dialog zwischen den Generationen.
o In der Ausländerarbeit werden zusätzlich zu den Maßnahmen des Bundes, der Länder und auf kommunaler Ebene umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt, z. B. in kommunalen Ausländerbeiräten, Initiativen von Ausländern und Deutschen in der Nachbarschaftshilfe, in der Betreuung von Flüchtlingen (z.B. Flüchtlingsräte), im sozialen und kulturellen Bereich und in der Bildungsarbeit. Diese ehrenamtlichen Aktivitäten von Ausländern und Deutschen, die zu einem großen Teil in die Arbeit von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und zahlreichen anderen Trägern eingebettet sind, aber auch oft ohne institutionelle Unterstützung durchgeführt werden, fördern die Integration der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer. Als Zeichen zunehmender Integration bewertet die Bundesregierung auch die Beobachtung, daß Ausländer immer häufiger in Bereichen ehrenamtlich tätig sind, die keinen Bezug zur Ausländerarbeit haben.
o In der Vertriebenen- und Aussiedlerarbeit engagieren sich Angehörige dieser Gruppen oder deren Nachkommen, u. a. im Bund der Vertriebenen und den Landsmannschaften, aber auch andere ehrenamtliche Mitarbeiter insbesondere in Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Schulen oder als Einzelpersonen. Zusätzlich zu den erheblichen Leistungen von Bund, Ländern und Gemeinden trägt auch dieses breite ehrenamtliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger wesentlich zur ganz überwiegend gelungenen Integration von Aussiedlern und Spätaussiedlern, zur Bewältigung der Folgen der Vertreibung und zur Versöhnung mit den östlichen Nachbarn bei.
Ehrenamtliche Arbeit bedeutet Teilhabe, Mitgestaltung und -wirkung, Bürgernähe und Einflußnahme in allen Bereichen der Gesellschaft.
o Die beste staatliche Umwelt- und Naturschutzpolitik kann wenig bewirken, wenn sie nicht von Bürgerinnen und Bürgern unterstützt und mitgetragen wird. Ehrenamtlich im Umwelt- und Naturschutz Tätige sind unverzichtbare Partner. Sie vermitteln und aktivieren die Sachkunde, das Verantwortungsbewußtsein und die Mitarbeit anderer Menschen. Darüber hinaus tragen sie mit dazu bei, durch Informations- und Beratungsarbeit das Umweltbewußtsein in Gesellschaft und Politik zu schärfen.
o Ohne das breite ehrenamtliche Engagement wäre auch das vielfältige kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur ärmer, sondern z. T. auch kaum realisierbar. Erinnert sei nur an die zahlreichen Vereinigungen und Gesellschaften der unterschiedlichsten Sparten des kulturellen Lebens. Der Sport in den Vereinen und Verbänden wäre ohne die freiwillige, unentgeltliche Tätigkeit nicht finanzierbar.
o Ehrenamtliche Tätigkeit in Parteien sowie bei der Ausübung kommunaler Mandate und Ämter sorgt für mehr Bürgernähe von Staat und Politik und gibt dem einzelnen Bürger die Möglichkeit zur Einflußnahme.
o Auch in der Justiz hat ehrenamtliche Arbeit einen hohen Stellenwert. Insbesondere in der Strafrechtspflege und in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit bringen die in zahlreichen Verfahrensordnungen vorgesehenen ehrenamtlichen Richter und Schöffen das Rechtsbewußtsein und die Wertvorstellungen der Bevölkerung und ihren Sachverstand in die Beratungen des Gerichts ein und sind Ausdruck dafür, daß Urteile "Im Namen des Volkes" ergehen.
o Die Mitarbeit ehrenamtlicher Helfer im Strafvollzug und in der Straffälligenhilfe und ihre Brückenfunktion zwischen straffälligen Menschen und der Gesellschaft sind Ausdruck davon, daß es sich hierbei nicht nur um eine Angelegenheit staatlicher Organe, sondern um eine Aufgabe und Verpflichtung der Gesellschaft insgesamt handelt.
o Die Vormundschaft über Minderjährige und die Betreuung Volljähriger, die ihre Angelegenheiten nicht oder nicht in vollem Umfang selbst zu besorgen vermögen, bilden wichtige Aufgaben im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege, die nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches im Grundsatz ehrenamtlich wahrgenommen werden.

Auch im Berufsleben hat ehrenamtliche Arbeit - eng mit der beruflichen Tätigkeit verknüpft - einen hohen Stellenwert. Dies betrifft z. B. in den Bereichen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz Betriebs- und Personalratsmitglieder, Tarifausschußmitglieder, Beisitzer in Heimarbeits- oder Entgeltausschüssen sowie Mitglieder in zahlreichen Ausschüssen und Beiräten im Bereich des Arbeitsschutzes. So würden z.B. ohne das Engagement der Betriebs- und der Personalratsmitglieder das Betriebsverfassungsgesetz und das Personalvertretungsgesetz leerlaufen; in den Betrieben und Dienststellen fände keine Mitbestimmung statt. Ehrenamtliche in Ausschüssen und Beiräten im Bereich des Arbeitsschutzes leisten ihrerseits einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsschäden sowie zur humanen Gestaltung der Arbeitsbedingungen.

II. Statistische Angaben zu ehrenamtlichen Tätigkeiten
2. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland ehrenamtlich Tätigen ein, wie hoch die Zahl der ehrenamtlichen Tätigkeiten, und wie schlüsseln sich diese ehrenamtlichen Tätigkeiten auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche auf (z.B. Soziales, Sport, Kultur etc.)?

Die ehrenamtliche Tätigkeit wird trotz ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft bisher nicht systematisch und flächendeckend erfaßt. In den letzten Jahren wurden zwar Einzelstudien zu bestimmten Feldern ehrenamtlicher Tätigkeit durchgeführt, umfassende Angaben liegen derzeit jedoch nicht vor. Wie bereits in der Vorbemerkung angemerkt, plant das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend deshalb, im Rahmen seiner Haushaltsmittel eine entsprechende Studie in Kürze in Auftrag zu geben.
Um schon jetzt einen gewissen Überblick über den Umfang ehrenamtlicher Tätigkeiten in Deutschland zu erhalten, wurden seitens der Bundesregierung rund 200 Verbände, meist Dach-oder Spitzenverbände, aus allen gesellschaftlichen Bereichen befragt. Die Antworten hierauf waren sehr umfangreich und unterschiedlich detailliert; zum Teil fehlen Zahlenangaben oder Daten aus neuerer Zeit vollständig. Dennoch wurde versucht, die Zusendungen möglichst umfassend für die Beantwortung auszuwerten. Im Anhang ist eine Liste von Verbänden und Organisationen aufgeführt, die der Bundesregierung Angaben zur Verfügung gestellt haben.
Erste wichtige Anhaltspunkte über den Umfang ehrenamtlicher Tätigkeit in Deutschland lassen sich einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes über die Zeitverwendung der Bevölkerung in Deutschland (Zeitbudget-Studie) entnehmen, die 1991/92 im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Familie und Senioren erstellt wurde. In 7 200 Haushalten wurde die Zeitverwendung aller Haushaltsmitglieder ab zwölf Jahren anhand von Tagebuchaufzeichnungen und eines Haushaltsinterviews erhoben. Diese Studie war allerdings nicht spezifisch auf die Erhebung ehrenamtlicher Tätigkeiten zugeschnitten.

o Den Befragten lag keine eindeutige Definition des Begriffs Ehrenamt vor. Auskünfte dazu beruhten auf der eigenen Einschätzung dessen, was als ehrenamtlich zu bezeichnen sei.
o Bei der Auswertung wurde zwischen Ehrenamt (Wahrnehmung von Aufgaben innerhalb von Institutionen, Verbänden, Vereinen, die über die einfache Mitgliedschaft hinausgehen, z.B. im Vereinsvorstand, als Schöffen oder Schiedsleute, im Elternbeirat, in der Freiwilligen Feuerwehr) und sozialer Hilfe (Betreuung und Pflege von Personen im Rahmen z.B. von Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen) unterschieden.
Damit sind viele Tätigkeiten nicht unter dem Begriff Ehrenamt erfaßt worden, die im Verständnis der Bevölkerung ehrenamtliche Tätigkeit ausmachen und vor allem von Frauen erbracht werden. Es muß weiter davon ausgegangen werden, daß insbesondere kurzfristige, projektbezogene ehrenamtliche Arbeit durch die Studie nur unzureichend erfaßt ist. Außerdem hat sich die Studie nicht mit dem Aspekt der Unentgeltlichkeit befaßt, so daß ihr Angaben zum finanziellen Aufwand der Befragten für ihre ehrenamtliche Tätigkeit nicht zu entnehmen sind.
Generell sind die Gesamtzahl ehrenamtlich und freiwillig Tätiger sowie die Bereitschaft, ein Amt zu übernehmen, in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen. Anfang der 60er Jahre rechnete man - nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Freizeit e.V. - mit einem Anteil von 5% Ehrenamtlicher an der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland, d. h. 2,5 Millionen. Seither hat sich die Zahl ehrenamtlich Tätiger fast verfünffacht.
Nach den Ergebnissen der Zeitbudget-Studie übten in Deutschland 1991/92 rund 12 Millionen Personen ab zwölf Jahren (d. h. 17%) ein Ehrenamt (ohne soziale Hilfe) aus. Mit knapp 20% lag der Beteiligungsgrad im früheren Bundesgebiet (knapp 11 Millionen Personen) mehr als doppelt so hoch wie in den neuen Bundesländern mit 9% (gut eine Million Personen). Durch das Ausklammern der "sozialen Hilfe" (z. B. Pflege und Betreuung von Personen), die weitgehend von Frauen wahrgenommen wird, wurde allerdings der Anteil ehrenamtlich tätiger Frauen mit 15% gegenüber einem Anteil von 20% bei den Männern untererfaßt.
Der Grund für den geringeren Beteiligungsgrad in den neuen Bundesländern liegt in der unterschiedlichen Tradition ehrenamtlicher Arbeit. Sie fand - allerdings in anderem Bezugsrahmen - als "freiwillig erzwungene", "gesellschaftliche Tätigkeit" statt. Mit Hilfe von Sonderprogrammen wurden auch von der Bundesregierung vielfältige umfangreiche Start- und Aufbauhilfen zur erfolgreichen Schaffung einer pluralistischen, insbesondere auch von ehrenamtlicher Arbeit getragenen Verbandsinfrastruktur gegeben.
Die Daten der Zeitbudget-Studie zum Umfang ehrenamtlicher Tätigkeit wurden in den neuen Ländern in der Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs erhoben und sind sicherlich so nicht mehr aktuell. Vielmehr äußern Verbände und Organisationen häufig, daß in den alten Ländern zwar ein Rückgang, in den neuen Ländern jedoch eine Zunahme ehrenamtlichen Engagements zu beobachten sei.
Im übrigen entsprechen die genannten Ergebnisse der Zeitbudget-Studie in der Tendenz weitgehend Ergebnissen anderer Untersuchungen, die in den letzten Jahren durchgeführt worden sind, sowie Erkenntnissen aus der Verbändeumfrage. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sowohl bei den einzelnen Trägern ehrenamtlicher Tätigkeit als auch in den verschiedenen wissenschaftlichen Arbeiten unterschiedliche Definitionen des Ehrenamtes und des freiwilligen Engagements zugrunde gelegt werden, was Vergleiche und Gegenüberstellungen zum Teil schwierig macht. Auch ist bei den Angaben nicht immer zu erkennen, ob die Zahl der ehrenamtlich Tätigen oder die Zahl der Ehrenämter - mit Mehrfachnennungen von Personen als Folge - zugrunde gelegt wurden. Ehrenamtliche sind häufig in mehreren Funktionen auch in unterschiedlichen Bereichen gleichzeitig tätig. Auch ist die Zuordnung einzelner Träger nicht immer eindeutig möglich ; so gibt es z. B. in der Jugendarbeit Träger und Tätigkeitsfelder, die gleichzeitig dem kirchlichen Bereich zuzuordnen sind.
Die vom Volunteer Centre UK in London koordinierte und in Deutschland von der Robert Bosch Stiftung mitfinanzierte europaweite Studie zur freiwilligen Arbeit (EuroVol-Studie), die 1996 in deutscher Sprache veröffentlicht wird, geht - nach einer Vorabinformation der Robert Bosch Stiftung - für 1994 von einem Anteil von 18% der erwachsenen Bundesbürger aus, die sich in irgendeiner Form (sozial, politisch, sportlich, ökologisch etc.) freiwillig für andere engagieren(1).
Auf der Datenbasis des Sozioökonomischen Panels 1994 engagierten sich nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin gut 14% der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland mindestens einmal im Monat ehrenamtlich.
Alle bekannten Studien stimmen darin überein, daß in Deutschland die Bereiche Gesundheit und Soziales an der Spitze der Tätigkeitsfelder ehrenamtlicher Tätigkeit stehen, gefolgt von Sport und Freizeit.
Wegen der bereits angemerkten Untererfassung freiwilliger und ehrenamtlicher Arbeit im Rahmen der Zeitbudget-Studie ist insbesondere im Hinblick auf die von Frauen geleistete Arbeit ein erheblich höherer Anteil anzunehmen. Die 1993 vom damaligen Bundesministerium für Familie und Senioren in Auftrag gegebene Untersuchung "Ältere Menschen im sozialen Ehrenamt", die die Bedingungen ehrenamtlichen Engagements exemplarisch an drei Standorten untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, daß 75% aller Ehrenamtlichen im sozialen Bereich Frauen sind. Unter allen Ehrenamtlichen über 65 Jahre betrage der Frauenanteil ebenfalls 75%.
Erkenntnisse über ehrenamtlich Tätige im Kulturbereich hat die Bundesregierung aus der durch den Deutschen Kulturrat e.V. 1995 durchgeführten Untersuchung "Stand und Perspektiven" ehrenamtlicher Arbeit im Kulturbereich" erhalten(2).
Angaben zur Zahl aller ehrenamtlichen Tätigkeiten/Funktionen und wie sich diese aufschlüsseln, können jedoch aus den vorliegenden Unterlagen der amtlichen Statistik und aus den genannten Untersuchungen nicht ermittelt werden.
Auch wenn kein vollständiges Gesamtbild gegeben werden kann, vermitteln zahlreiche Angaben aus einzelnen zentralen gesellschaftlichen Bereichen eine eindrucksvolle Anschauung der Vielfalt und Intensität des Engagements.
Allein in der Freien Wohlfahrtspflege mit ihren Spitzenverbänden Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, die sich die Hilfe für Menschen in Not zur Aufgabe gemacht haben, sind schätzungsweise ca. 1,5 bis 1,7 Millionen ehrenamtliche Helferinnen und Helfer tätig. Sie tragen dazu bei, die soziale Arbeit in vielen Bereichen wesentlich zu verbreitern und zu vertiefen. Einsatzgebiete von Ehrenamtlichen in den Wohlfahrtsverbänden sind u. a. Besuchsdienste, Kranken- und Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Familien- und Altenhilfe. Mit ihren unterschiedlichen Lebens- und Berufserfahrungen unterstützen Ehrenamtliche oftmals in besonderer Weise das vielfältige, unterschiedlichen Bedürfnissen entsprechende Angebot der Freien Wohlfahrtspflege.
Im Kommunalbereich gibt es nach Angaben des Deutschen Städtetages vielfältige Aufgaben, die von ehrenamtlich Tätigen wahrgenommen werden. Zu nennen sind vor allem:

· ehrenamtliche Ratsmitglieder: Die Zahl der Gemeinderäte einschließlich der Stadträte in kreisfreien Städten betrug im Jahr 1994 207 700. In den Kreistagen waren im Jahre 1994 22200 Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich tätig ;

· sachkundige Bürger, Beiräte, wie z.B. Frauenbeiräte, Ausländerbeiräte oder Seniorenvertretungen: In der Bundesrepublik Deutschland existieren derzeit z.B. in über 700 Kommunen Seniorenbeiräte, -räte oder -vertretungen mit rund 8 500 ehrenamtlichen Mitgliedern sowie rund 500 ehrenamtliche Seniorenvertreter auf Ebenen der Länder und des Bundes ;

· ehrenamtliche Bürgermeister bzw. Beigeordnete: Die Anzahl ist der Bundesregierung nicht bekannt, u. a. auch deshalb, weil die Kommunalverfassungen zwar Höchstzahlen für derartige Ehrenämter festlegen, es im übrigen den Kommunen überlassen, von dieser Zahl nach unten abzuweichen;

· ehrenamtliche Wahlhelfer - allein rund 700000 ehrenamtliche Wahlhelfer waren bei der Bundestagswahl 1994 tätig - und Volkszähler: Bei der Volkszählung 1987 waren rund 510000 Zähler im Einsatz, deren Engagement in einer Zeit geringer Akzeptanz von Volkszählungen besonders gewürdigt werden muß.

Angesichts der Neuorganisation der kommunalen Haushalte findet die soziale Bewegung des Bürgerengagements neue Bedeutung und breite Unterstützung. Es sind - vorerst noch nicht quantifizierbare - Tendenzen erkennbar, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Aufgaben im kommunalen Bereich zu erweitern. Beispiele sind die ehrenamtliche Betreuung von Stadtteilbibliotheken, Museumsausstellungen, Schwimmbädern etc, die vielerorts ohne die Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger nicht offengehalten werden könnten.
Im Bereich der Justiz liegt der Bundesregierung statistisches Zahlenmaterial nur für die Schöffen in den alten Bundesländern vor. Danach sind für die laufende Amtsperiode der Schöffen (Anfang 1993 bis Ende 1996) 45 807 Schöffen tätig. Zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern in den neuen Bundesländern und denen der anderen Gerichtszweige wird die Zahl der Laienrichter in Deutschland auf rund 80000 geschätzt. In bisher zwölf Bundesländern gibt es außerdem ca. 10000 Schiedsmänner und Schiedsfrauen, deren Aufgabe die außergerichtliche Beilegung kleinerer Rechtsstreitigkeiten ist. Auch bei einigen Bundesgerichten sind ehrenamtliche Richter tätig.
Über die Anzahl der im Sport ehrenamtlich Tätigen gibt es keine gesicherten Angaben. Nach Hochrechnungen des Deutschen Sportbundes sind derzeit ca. 2,5 Millionen Menschen in 85 519 Sportvereinen mit 25,9 Millionen Mitgliedern ehrenamtlich tätig. Dazu kommt die große Anzahl der Personen, die Freiwilligenarbeit (z. B. Fahrdienste, Betreuungstätigkeit, Mitwirkung bei Veranstaltungen, Durchführung von Projektarbeit) in den Sportorganisationen leisten, ohne ein Amt übernommen zu haben.
Auch im Bereich der Jugendverbände liegen keine gesicherten Angaben vor. Zum breiten Spektrum ehrenamtlicher Arbeit in Jugendverbänden gehören die verantwortliche Leitung von Kinder- und Jugendgruppen, das Engagement in Projekten, bei Bildungsmaßnahmen, die Mitwirkung in Leitungsgremien und anderes mehr. Der 8. Jugendbericht (1990) weist für den Bereich der Jugendarbeit in den alten Bundesländern ca. 600000 ehrenamtlich Tätige aus, wobei diese Zahl den Bereich der Arbeit mit Kindern nicht berücksichtigt. Bedingt durch die Wiedervereinigung, unter Hinzunahme des nicht unbeträchtlichen Teils von Arbeit mit Kindern und im Hinblick auf die wenigen exakt erhobenen Daten ist von einer höheren Zahl der in der Jugendarbeit ehrenamtlich Engagierten auszugehen.
Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (aej) hat versucht, ehrenamtliches Engagement für den Gesamtbereich der Evangelischen Jugend zu erfassen. Nach ihren Hochrechnungen kommt sie auf eine Größe von mindestens 150000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Gegenüber dieser hohen Zahl an ehrenamtlich Engagierten stellen hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Evangelischen Jugend nach verbandsinternen Schätzungen nur weniger als 5%. Ähnliche Relationen zwischen haupt- und ehrenamtlichem Engagement gelten auch für andere Jugendverbände, wie z.B. den Bund der Deutschen Katholischen Jugend.
In der Elternmitwirkung an Schulen sind Schätzungen des Bundeselternrats zufolge bundesweit fast eine Million Mütter und Väter ehrenamtlich als Klassen- oder Schulelternsprecherinnen und -sprecher oder in Schulelternbeiräten tätig. Als Schul- oder Klassensprecher oder -sprecherin sind nach den gleichen Schätzungen rund 750000 Schülerinnen und Schüler aktiv. Für den Bereich der Kindertageseinrichtungen kann die Zahl der als Elternvertreter oder in Elterninitiativen ehrenamtlich tätigen Personen auf mindestens 150000 geschätzt werden.
Für die Seniorenorganisationen liegen keine vollständigen Angaben über den Umfang des ehrenamtlichen Engagements vor. Nach Auskunft der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) sind bei den von insgesamt 48 Mitgliederorganisationen erfaßten 32 Organisationen 154000 Personen kontinuierlich ehrenamtlich tätig. Daneben existiert eine nicht näher quantifizierbare Zahl an freiwilligen Helferinnen und Helfern, die sich unregelmäßig oder mit geringer Stundenzahl in die Verbandsarbeit einbringen.
Für den Bereich der Frauenverbände liegen keine genauen Angaben zur Zahl der ehrenamtlich Tätigen vor. Vorstands- und überwiegend auch Geschäftsführungsaufgaben werden ehrenamtlich wahrgenommen. Besonders in den konfessionell gebundenen Frauenorganisationen werden von den Mitgliedern ehrenamtliche Tätigkeiten auf (Kirchen)/Gemeindeebene in sehr erheblichem Umfang wahrgenommen. Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands als größter deutscher Frauenverband hat in einer Mitgliederbefragung 1991 ermittelt, daß 47% ihrer Mitglieder ehrenamtlich tätig sind, hiervon liegt bei ca. 20% der Frauen ihr Zeiteinsatz auf einem Niveau, das fast die Qualität eines Teilzeitarbeitsverhältnisses erreicht. Größter nicht konfessionell gebundener Frauenverband ist der Deutsche Landfrauenverband als Interessenvertretung der Frauen im ländlichen Raum mit mehr als 550000 Mitgliedern. Die Ehrenamtsträgerinnen des Landfrauenverbandes sind sowohl in den eigenen Gremien als auch in Gremien des Landwirtschaftlichen Berufsstandes, der berufsständischen Selbstverwaltung und vielen frauen- und anderen gesellschaftspolitischen sowie kirchlichen Institutionen und Gremien aktiv.
Die Kirchen können die Zahl ihrer Ehrenamtlichen nicht exakt angeben, weil es für die Kirche keinen feststehenden Begriff der "ehrenamtlich Tätigen" gibt. Mit diesem Vorbehalt schätzt das Katholische Büro, daß im Bereich der Katholischen Kirche 2,5 Millionen ehrenamtliche Mitarbeiter tätig sind, davon 500000 in den sozialen Einrichtungen der Caritas, 100000 in den Dritte-Welt-Gruppen, 60000 im Bund der Deutschen Katholischen Jugend, 52000 im Sportbund Deutsche Jugend-Kraft und 35 000 in kirchlichen Büchereien. Nach einer Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahr 1992 sind in den westlichen Gliedkirchen 671000, in den östlichen Gliedkirchen 23000 Personen ehrenamtlich tätig gewesen (jeweils ohne Entwicklungsdienst und Schuldienst). Es kann davon ausgegangen werden, daß in beiden Kirchen zusammen 4,5 bis 5 Millionen Menschen freiwillig und ehrenamtlich tätig sind. Sie engagieren sich in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern (Caritas/Diakonie und Soziales; Liturgie, Pastoral, Seelsorge, Glaubensverkündigung; Kultur, Bildung, Freizeit und Sport; Gesellschaftspolitik; Dritte-Welt-Aktivitäten) und Organisationsformen (Verbände, Vereinigungen, Einrichtungen, Kirchengemeinden, kirchlich-soziale Netze, Selbsthilfe- und Betroffeneninitiativen, kirchlich-soziale Initiativen). Insbesondere in den Gebieten der Caritas/Diakonie und im Bildungsbereich wäre die Wahrnehmung der Aufgaben in ihrer Vielfalt und Fülle, besonders auf Gemeindeebene, ohne den Einsatz Ehrenamtlicher personell und finanziell nicht durchführbar.
Im Bereich des Brand- und Katastrophenschutzes sowie des Rettungswesens liegen Daten verschiedener Organisationen vor. Neben den in diesem Bereich ehrenamtlich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes verfügt die Johanniter-Unfall-Hilfe über 24000, der Arbeiter-Samariter-Bund über 7200 und der Malteser Hilfsdienst über 31 000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer (Stand: Dezember 1994). Die Malteser-Jugend zählte 7300 Mitglieder. Die Helfervereinigung des Technischen Hilfswerks (THW), die als Dachverband alle ehren-, aber auch hauptamtlichen Helfer im THW vertritt, gibt die Zahl der Aktiven mit über 65000 an. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) gibt an, daß über 20000 ehrenamtlich aktive Mitglieder im Ausbildungsbereich, fast 45000 im Einsatzbereich, mehr als 12000 in der Selbstverwaltung der Vereine und ca. 25000 in den Vorständen der Gliederungen arbeiten. Hinzu kommen im Bereich Rettungssport rund 10000 Trainer bzw. Übungsleiter und ca. 4000 Kampfrichter. Mehrfachnennungen sind naturgemäß eingeschlossen. Die DLRG schätzt, daß ca. 30% ihrer Mitglieder zum Kreis der ehrenamtlich Tätigen gezählt werden können. Für den Bereich der Feuerwehren weist das Feuerwehr-Jahrbuch 1995/ 96 des deutschen Feuerwehrverbandes rund 1,4 Millionen ehrenamtliche Aktive aus. Die weitaus meisten davon gehören zu den Freiwilligen Feuerwehren.
Das hohe Umweltbewußtsein in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland spiegelt sich auch in der Mitgliederzahl und in der Zahl der ehrenamtlich in Umweltverbänden Tätigen wider. Mehr als 4 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind Mitglieder von lokalen, regionalen und bundesweiten Umwelt- und Naturschutzorganisationen. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) schätzt aufgrund einer Umfrage bei seinen Mitgliedsverbänden die Zahl der ehrenamtlich Tätigen auf weit über 175000 Personen.
Im Bereich der Wirtschaft weisen der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) die höchste Zahl an ehrenamtlich Tätigen aus. Nach Angaben des DIHT sind bundesweit 250000 ehrenamtliche Unternehmer oder Unternehmensvertreter in den insgesamt 83 Industrie- und Handelskammern tätig, davon 120000 als Mitglieder der Prüfungsausschüsse im Bereich der Berufsbildung und beruflichen Weiterbildung. In den weltweit 49 deutschen Auslandshandelskammern sind über 1000 Ehrenamtliche engagiert, als Präsident oder Vorstandsmitglied. Der ZDH schätzt, daß über 200000 Ehrenamtsträger in der deutschen Handwerksorganisation mit ihrer vielgliedrigen Organisationsstruktur tätig sind.
Nach dem vom Deutschen Gewerkschaftsbund ermittelten Gesamtergebnis der Betriebsratswahl 1994 sind zur Zeit 220245 Personen - davon 23% Frauen - ehrenamtlich als Betriebsratsmitglieder im Bereich Soziales tätig. Entsprechende Zahlen liegen für Tätigkeiten im Personalrat nicht vor, ebensowenig für Beauftragtenfunktionen wie Frauenbeauftragte oder Schwerbehindertenbeauftragter. In den 36 Heimarbeitsausschüssen (26 auf Bundesebene und zehn auf Überlandsebene) sind insgesamt 432 Personen ehrenamtlich für den Bereich Soziales tätig. In den beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und bei den obersten Arbeitsbehörden der jeweiligen Bundesländer eingerichteten Tarifausschüssen sind insgesamt 406 (102 ordentliche, 304 stellvertretende) Tarifausschußmitglieder bestellt. Im Bereich des staatlichen Arbeitsschutzes sind in den Beiräten und Ausschüssen, einschließlich der Unterausschüsse und Arbeitskreise, ca. 1400 Mitglieder (ohne Stellvertreter) ehrenamtlich tätig.

Neue Formen des Engagements

Neben das traditionelle Engagement im Bereich der großen Verbände sind in den letzten Jahren neue Formen der Selbstorganisation getreten. Es handelt sich zumeist um kleinere Gruppen, die aus eigener Initiative als Selbsthilfegruppe, Bürgerinitiative, Bürgerbewegung, Initiativgruppe, Betroffenenorganisation, selbstverwaltetes Projekt etc. ein gemeinsames Ziel verfolgen. Es gibt solche Gruppen in faktisch allen Handlungsfeldern und -bereichen unserer Gesellschaft. Dazu gehören Selbsthilfegruppen im psychosozialen und Gesundheitsbereich ebenso wie Frauengruppen, Elterninitiativen, Familienselbsthilfe, Friedens- und Umweltgruppen, Senioren- und Jugendinitiativen, Integrations- und Resozialisationsgruppen, Nachbarschaftshilfen und Dritte-Welt-Gruppen. Zur zahlenmäßigen Größenordnung wird auf die Antwort 6 zu Frage 9 verwiesen. [...]

5. Ist der Bundesregierung bekannt, wie hoch der Anteil der Jugendlichen ist, die sich ehrenamtlich engagieren und ob sich die Einstellung Jugendlicher zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten in den letzten Jahrzehnten verändert hat?
Wenn ja, worauf führt die Bundesregierung dieses zurück?

Nach den Ergebnissen der Zeitbudget-Studie übten 1991/92 3,8% der Jugendlichen im Alter von zwölf bis unter 20 Jahren ein Ehrenamt aus (ehrenamtliche Tätigkeiten ohne soziale Hilfe, z.B. Pflege und Betreuung von Personen). Männliche Jugendliche waren hier mit 4,3% etwas stärker vertreten als weibliche Jugendliche (3,4%). Jugendliche sind damit weitaus weniger häufig ehrenamtlich engagiert als Erwachsene. Die Ergebnisse für Jugendliche sind statistisch allerdings weniger gesichert als die für Erwachsene. Dies hängt mit der relativ geringen Zahl an Befragten in dieser Altersklasse zusammen. Eine systematische Untererfassung ehrenamtlich Aktiver gerade in der Altersgruppe von zwölf bis unter 20 Jahren resultiert auch daraus, daß in den zugrundeliegenden Interviews oft nur ein Elternteil befragt wurde und Eltern die Tätigkeit ihrer Kinder (z. B. Gruppenleitung) meistens nicht als ehrenamtliche Arbeit ansehen. Insofern stellen die vorliegenden Zahlen zum ehrenamtlichen Engagement Jugendlicher eine Untergrenze dar. Eine gewisse Skepsis gegenüber den Daten der Zeitbudget-Studie wird auch unterstützt durch die o. g. EuroVol-Studie, nach der sich 23% der unter 25jährigen freiwillig engagieren.
Eine - allerdings von einer geringen Stichprobengröße ausgehende und daher methodisch fragwürdige - Trendanalyse des B.A.T. Freizeit-Forschungs-Instituts, Hamburg, behauptet, daß angeblich immer mehr Jugendliche ihre Freizeit ohne Einschränkung genießen wollen. Die Hauptsache sei Spaß - Pflichten und Verpflichtungen würden aus ihrer privaten Freizeitgestaltung zunehmend ausgeblendet. Demnach betrachtete 1995 jeder dritte Jugendliche die Mitarbeit in einem Verein "in keinem Fall" mehr als Freizeit. Für die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen habe mittlerweile auch die Mitarbeit in einer Partei oder Gewerkschaft nichts mehr mit Freizeit zu tun (1991 : 41 %; 1995: 56%). Nach Einschätzung der Freizeitforscher fordere das Zeitalter der Individualisierung seinen Tribut. Soziale Verpflichtungen würden eher als Störfaktoren empfunden, die den Lebensgenuß in der Freizeit beeinträchtigen. Mit der wachsenden Kommerzialisierung der Freizeit nehme auch die Entsolidarisierung im Alltag zu.
Dies deckt sich jedoch nicht mit den Ergebnissen des Jugendsurveys des Deutschen Jugendinstituts "Jugend und Demokratie in Deutschland" von 1995. Der kommt zu dem Schluß, daß von der häufig beklagten Organisationsmüdigkeit junger Menschen in West- und Ostdeutschland wenig zu spüren sei. Der Jugendsurvey widerspricht auch der Behauptung, junge Leute hielten sich mit Aktivitäten in Organisationen, Vereinen und Verbänden oder auch informellen Gruppierungen generell zurück. Etwas mehr als 40% der 16- bis 29jährigen engagieren sich demnach im Westen wie auch im Osten in Verbänden, Organisationen oder informellen Gruppen.
In diesem Sinne geht die Bundesregierung von einer ungebrochenen Bereitschaft junger Menschen zu freiwilliger Mitarbeit aus. Möglicherweise wird allerdings gesellschaftliches Engagement weniger im Sinne dauerhafter Pflichterfüllung verstanden, sondern stärker anknüpfend an die aktuellen persönlichen Neigungen und Interessen. Bei den Themen und Zielen, die freiwillig Engagierte unterstützen wollen, sind ihnen persönlicher Bezug und Autonomie im Handlungsfeld wichtig. Es wird kein formelles, auf Dauer oder gar lebenslang verpflichtendes Engagement angestrebt, sondern eher ein Engagement auf Zeit, oft spontan auf eine bestimmte Situation bezogen und möglichst mit konkreten Resultaten bzw. Folgen. [. ..]

6. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl derjenigen ein, die
o ohne jegliches Entgelt und Kostenerstattung ehrenamtlich tätig sind,
o für ihre ehrenamtliche Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung erhalten,
o für ihre ehrenamtliche Tätigkeit die sogenannte "Übungsleiterpauschale" oder
o eine zeitliche Vergütung in Form der Freistellung von der Arbeit oder vom Wehrdienst in Anspruch nehmen?
7. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, ob und in welchem Umfang ehrenamtlich Tätige einen persönlichen finanziellen Aufwand in ihre Arbeit einbringen?

Die Fragen 6 und 7 werden zusammenhängend beantwortet.
Die Zeitbudget-Studie stellt keine Angaben zu diesen Fragen zur Verfügung. Eine halbwegs zuverlässige Schätzung ist aufgrund der Vielfalt ehrenamtlicher Tätigkeiten kaum möglich. Allerdings können zu einzelnen Bereichen exemplarisch Angaben gemacht werden.
Im kommunalen Bereich werden für ehrenamtliche Ratsmitglieder, für ehrenamtliche Bürgermeister und Beigeordnete, für Volkszähler und für ehrenamtliche Feuerwehrkräfte jeweils festgelegte Aufwandsentschädigungen gezahlt. Ehrenamtliche Wahlhelfer erhalten ein "Erfrischungsgeld".
Ehrenamtliche Richter erhalten für die Wahrnehmung ihrer Tätigkeit eine gesetzlich festgelegte Entschädigung, die Zeitversäumnis, Fahrtkosten, Aufwand sowie bare Auslagen umfaßt. (Ehrenamtliche) Handelsrichter bekommen nur Tage- und Übernachtungsgelder oder Fahrtkosten erstattet.
In den erfaßten Einrichtungen aus dem Bereich der Sozialversicherung werden ehrenamtlich Tätigen Aufwandsentschädigungen und Kostenerstattungen nach § 41 SGB IV (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung) gezahlt. Für ehrenamtliche Funktionsträger in den Industrie- und Handelskammern z. B. werden in erheblich geringerem Umfang, häufig sogar überhaupt keine Aufwandsentschädigungen oder Fahrtkosten gezahlt.
Betriebs- und Personalratsmitglieder sind zur Durchführung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im erforderlichen Maß von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts freizustellen. Zum Ausgleich für Betriebs- und Personalratsarbeit, die aus betriebs- bzw. dienstbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, besteht ein Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Entgelts. Die Beisitzer der Heimarbeitsausschüsse erhalten für ihre Tätigkeit eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter.
Ehrenamtliche Tätigkeit in den Kirchen wird von ihrem Verständnis her grundsätzlich ohne Entgelt und Kostenerstattung wahrgenommen. In einzelnen Bereichen werden jedoch Auslagen (z.B. Fahrtkosten, Telefonkosten, Porto) erstattet. Eine Vergütung wird nur in seltenen Fällen gezahlt (z.B. für nichthauptamtliche Kirchenmusiker, Rendanten).
Nach Auskunft des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge bieten 79% der Wohlfahrtsverbände ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern Auslagenersatz an. Zeitliche Freistellungen sind vor allem im Jugendbereich möglich und auf Länderebene geregelt.
Für den Bereich der Mitgliedsverbände des Deutschen Frauenrates hat das Institut Frau und Gesellschaft ermittelt, daß für ehrenamtliche Tätigkeit dort in erheblichem Umfang Eigenmittel eingebracht werden. Während gewerkschaftliche Verbände, kirchliche und Sportverbände durchschnittlich gut 70% der Reisekosten ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen decken können, ist dies bei berufsständischen Verbänden zu 58% und bei politischen Verbänden zu 42% möglich. Telefon- und sachkostendeckend erfolgt die Erstattung zu 100% in der gewerkschaftlichen Arbeit, in den kirchlichen Frauenorganisationen und Sportverbänden zu ca. 70%. Ehrenamtlich tätige Frauen in berufsständischen und politischen Verbänden erhalten 50 bis 60% ihrer Telefonkosten und Sachmittelkosten erstattet. Die Auswertung und Dokumentation der Erhebungen zur ehrenamtlichen Caritasarbeit im Erzbistum Köln stellt fest, daß ungefähr 50% der ehrenamtlich Tätigen im sozialen Ehrenamt eine Auslagenerstattung auf Antrag gewährt wird.
Aus einer im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in drei Kommunen durchgeführten Erhebung ist bekannt, daß beinahe die Hälfte der im sozialen Bereich ehrenamtlich tätigen Senioren keinerlei Aufwandsentschädigungen oder Kostenerstattungen erhalten. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Seniorenbüros erhalten in der Regel eine Kostenerstattung von bis zu 50 DM pro Monat.
Nach einer Erhebung bei ehrenamtlichen Übungsleitern und Trainern in Sportvereinen in den alten Bundesländern aus dem Jahre 1984 erhielten 35% keine Vergütung, 26,3% eine Aufwandsentschädigung und 38,1% eine "Übungsleiterpauschale" (Quelle: Mrazek/Rittner, Übungsleiter und Trainer im Sportverein, BISp-Reihe Bd. 75/1991).
Die Bundesregierung schätzt die Gesamtzahl der Ehrenamtlichen, die die "Übungsleiterpauschale" nach § 3 Nr. 26 EStG in Anspruch nehmen, auf rund 750000. Die daraus resultierenden Steuerausfälle werden für 1996 auf rund 450 Mio DM geschätzt.
Das Gesetz über den Zivilschutz (ZSG), das Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes (KatSG) und das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Helfer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW-He1fRG) sehen vor, daß im Zivil- und Katastrophenschutz mitwirkende freiwillige ehrenamtliche Helfer, die während der Arbeitszeit an Einsätzen und Ausbildungsveranstaltungen teilnehmen, unter Weitergewährung des Arbeitsentgelts von der Arbeitsleistung freigestellt sind. Die landesrechtlichen Vorschriften zum Katastrophenschutz und Brandschutzwesen enthalten ähnliche Regelungen. Erkenntnisse liegen nicht vor, inwieweit und in welchem Umfang von den genannten gesetzlichen Regelungen hinsichtlich der Freistellung von der Arbeitsleistung Gebrauch gemacht wird. Solche Angaben könnten, wenn überhaupt, nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand erhoben werden.
Nach dem Wehrpflichtgesetz, dem Zivildienstgesetz und dem Katastrophenschutzgesetz werden Wehrpflichtige oder Zivildienstpflichtige, die sich vor Vollendung des 25. Lebensjahres mit Zustimmung der zuständigen Behörde auf mindestens sieben Jahre zum ehrenamtlichen Dienst als Helfer im Zivilschutz oder Katastrophenschutz verpflichtet haben, nicht zum Wehrdienst oder Zivildienst herangezogen. Dieser Personenkreis hat große Bedeutung für die Unterstützung ehrenamtlicher Tätigkeit. Denn er ist aus der Infrastruktur der Zivil-und Katastrophenschutzorganisationen kaum wegzudenken. Häufig wird darüber hinaus nach Ableistung der Mindestverpflichtungszeit das Engagement in diesen Organisationen ehrenamtlich fortgesetzt. Das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Verteidigung haben unter angemessener Berücksichtigung des Personalbedarfs der Bundeswehr, des Zivilschutzes und des Katastrophenschutzes vereinbart, daß bis zu 27000 Helfer eines Geburtsjahrgangs vom Wehrdienst freigestellt werden können. Zur Zeit sind aus allen noch zum Wehrdienst oder Zivildienst heranziehbaren Geburtsjahrgängen aufgrund der genannten gesetzlichen Regelungen ca. 102100 Helfer vom Wehrdienst und ca. 8800 vom Zivildienst freigestellt.
Insgesamt ergibt die Auswertung der Umfrage bei den Trägern ehrenamtlicher Arbeit, daß in der Frage der Erstattung Unterschiede bestehen, daß aber der weitaus überwiegende Teil der Ehrenamtlichen ohne jegliches Entgelt oder mit nur geringen Kostenerstattungen oder Aufwandsentschädigungen arbeitet. Meist decken diese Erstattungen den Kostenaufwand nur zum Teil ab. Viele Ehrenamtliche nehmen die Möglichkeit von Entschädigungen oder Erstattungen kaum oder gar nicht in Anspruch. Kostenerstattungen oder Aufwandsentschädigungen in etwas größerem Umfang erhalten ehrenamtliche Mandats- oder Funktionsträger in Organisationen auf Landes- oder Bundesebene. Ein großer Teil der Ehrenamtlichen opfert einen Teil des Urlaubs für das freiwillige und unentgeltliche Engagement.
Der Eigenaufwand ist je nach Tätigkeitsfeld unterschiedlich und kann nicht generell beziffert werden. Praxisberichte verweisen darauf, daß viele Ehrenamtliche im Rahmen ihrer Tätigkeit regelmäßig eigene Mittel einsetzen, ohne hierfür einen Auslagenersatz zu verlangen. Nach Einschätzung der erfaßten Organisationen werden zwischen 20 und 80% der für die ehrenamtlich Tätigen selbst erbracht. Der von den Ehrenamtlichen eingebrachte Eigenbeitrag erfolgt insbesondere für Fahrten, Verpflegung, Telefon, Porto, Arbeits- und Büromaterial, Kopien, Literatur, Kleidung, Eintrittsgelder, kleine Geschenke, Nutzung privater Geräte und Räumlichkeiten, Kinderbetreuung, Fort- und Weiterbildung. Zu diesem finanziellen Eigenbeitrag kommt - insbesondere bei freiberuflich und selbständig Tätigen - mitunter noch ein je nach zeitlichem Aufwand nicht unbeträchtlicher Verdienstausfall.
Für viele Vereine, Organisationen und Initiativen ist die Arbeit ohne die von Ehrenamtlichen privat übernommenen Kosten nicht denkbar.

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die durchschnittliche wöchentliche Beanspruchung ehrenamtlich Tätiger und über die Dauer (Lebenszeit) ihrer Tätigkeit?

Gemäß der Zeitbudget-Studie beträgt die durchschnittliche wöchentliche Beanspruchung ehrenamtlich Tätiger (ohne soziale Hilfe, z.B. Pflege und Betreuung von Personen) für die Ausübung ihres Amtes (ohne die dazugehörenden Wegezeiten) 4,5 Stunden. Männer sind mit durchschnittlich fünf Stunden mehr als eine Stunde in der Woche länger ehrenamtlich tätig als Frauen (3,75 Stunden); vgl. Antwort zu Frage 2. Die Wegezeiten im Zusammenhang mit der ehrenamtlichen Arbeit erhöhen den wöchentlichen Zeitaufwand nochmals um durchschnittlich rund 20%. Die durchschnittliche Beanspruchung ehrenamtlich Tätiger über die Dauer (Lebenszeit) ihrer Tätigkeit wird von der amtlichen Statistik nicht erhoben.
Den meisten der befragten Verbände und Organisationen waren weder konkrete Aussagen zum zeitlichen wöchentlichen Umfang noch zur Dauer ehrenamtlicher Tätigkeit im Hinblick auf die Lebenszeit möglich. Die wöchentliche Belastung wird - auch in Abhängigkeit von der wahrgenommenen Position und der Tätigkeit an sich - zwischen 1,5 Stunden und einem Umfang "wie ein zweites Beschäftigungsverhältnis" angegeben. Deutlich wurde allerdings, daß es sich meist nie um ein kurzzeitiges ehrenamtliches Engagement handelt, sondern vielmehr um ein Engagement, das über Jahre bis zu Jahrzehnten reicht. Einige Organisationen sprechen von einem Zeitraum zwischen einem und 15 Jahren. Bei den Angaben handelt es sich meist um Schätzwerte. Nur für wenige Bereiche des Ehrenamtes liegen genauere Daten vor.
Einige Studien machen Aussagen zum zeitlichen Einsatz Ehrenamtlicher. Die Untersuchung des Instituts für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover zu Jugend und gesellschaftlicher Mitwirkung weist für Niedersachsen für den Bereich der Jugendarbeit einen durchschnittlichen wöchentlichen Einsatz von 3,8 Stunden nach. In der Jugendarbeit wird nach Untersuchungen des Landesjugendringes Baden-Württemberg von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Durchschnitt ein Engagement für den Verband oder die Gruppe in einem Umfang von 20 Stunden pro Monat erbracht, was in etwa einer wöchentlichen Stundenzahl von 5 Stunden entspricht.
Nach Angabe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge geht die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege von durchschnittlich 20 Wochenstunden ehrenamtlicher Tätigkeit für den Bereich des sozialen Ehrenamtes aus.
Aus den Ergebnissen einer Umfrage des Deutschen Naturschutzringes (DNR) e.V. bei seinen Mitgliedsverbänden lassen sich durchschnittlich rund 6 Wochenstunden ehrenamtlicher Tätigkeit für den Umwelt- und Naturschutz errechnen.
Die durchschnittliche wöchentliche Beanspruchung ehrenamtlicher Mitarbeiter beläuft sich auf rund 4 Stunden in den Sportvereinen der alten Bundesländer und auf rund 5 Stunden in den neuen Bundesländern. Durchschnittlich wird die Vereinstätigkeit in den alten Bundesländern mit 323 Stunden und in den neuen Bundesländern mit 369 Stunden im Monat durch ehrenamtliche Mitarbeiter getragen.
Die ehrenamtlichen Funktionsträger der Sportverbände, z.B. als Präsident eines Fachverbandes, wenden im Durchschnitt ca. 15 Stunden in der Woche für ihre gesamte ehrenamtliche Tätigkeit im Sport auf. Etwa die Hälfte (49%) ist bis zu 10 Stunden in der Woche tätig. Ein Viertel der ehrenamtlichen Funktionsträger in Sportverbänden widmet 5 bis 10 Stunden und 16% mehr als 25 Stunden in der Woche ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. (Quelle: Winkler, J. u.a., Verbände im Sport. Eine empirische Analyse des Deutschen Sportbundes und ausgewählter Mitgliedsorganisationen, BISp-Reihe Bd. 43/1985)
Am Beispiel der Position der Vereinsvorsitzenden wird deutlich, daß ehrenamtliche Tätigkeiten im Sport über einen längeren Zeitraum ausgeübt werden. 68% der Vereinsvorsitzenden in den alten bzw. 58% in den neuen Bundesländern üben ihr Amt länger als 4 Jahre aus. Die Mehrzahl von ihnen war schon vorher in anderen Positionen ehrenamtlich im Verein tätig. Nach den vom Deutschen Turnerbund (DTB) im Jahre 1988 erhobenen Angaben ergibt sich für die einzelnen Funktionen der DTB-Vereine folgende durchschnittliche Amtsdauer: Oberturnwart 10 Jahre, 1. Vorsitzender/Kassierer/Frauenwartin 9 Jahre, 2. Vorsitzender/Pressewart 6 Jahre, Jugendwart 5 Jahre (Quelle: Digel u. a., Turn- und Sportvereine).
Schöffen sollen an nicht mehr als 12 Sitzungstagen pro Jahr, d. h. durchschnittlich einem Sitzungstag im Monat, tätig sein. Ist ein Schöffe zu mehr als doppelt so vielen Einsätzen herangezogen worden, kann er seine Streichung von der Schöffenliste beantragen. Als Schöffe soll ferner nicht berufen werden, wer 8 Jahre als Schöffe tätig war und dessen letzte Dienstleistung weniger als 8 Jahre zurückliegt. Diese Vorschriften sollen eine unangemessene Belastung vermeiden. Insbesondere bei den Großen Strafkammern kann aber in umfangreichen, langwierigen Verfahren oft nicht verhindert werden, daß Schöffen über Monate oder sogar Jahre hinweg mehrmals in der Woche im Einsatz sind.
Die Seniorinnen und Senioren, die sich wegen eines ehrenamtlichen Engagements an ein Seniorenbüro wenden, sind bereit, durchschnittlich 15 Stunden pro Monat einzusetzen. Dabei zeigen sich Unterschiede nach dem Alter, in denen sich die individuellen Belastungsgrenzen spiegeln: Ehrenamtliche unter 60 Jahren wollen sich mit ca. 20 Stunden pro Monat engagieren, 60- bis 69jährige mit 12 Stunden und über 70jährige mit etwa 8 Stunden.
Während die traditionellen Vereine und Verbände auf feste Mitgliederstrukturen zurückgreifen können, die auch über einen längeren Zeitraum hinweg in ein ehrenamtliches Engagement einmünden, findet sich bei den Initiativen und neueren Bewegungen ohne feste Mitgliederstrukturen eine starke Fluktuation. Dies läßt sich quantitativ nicht über eine Befragung der Organisationen erfassen. Im Hospizbereich z. B. wird eine Begrenzung des Einsatzes auf ca. ein Jahr in der Regel.für erforderlich gehalten, um die Belastungsgrenze der Ehrenamtlichen nicht zu überschreiten. [...1]

III. Bereitschaft zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeit
10. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, aus welchen Beweggründen Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich tätig sind?

Die persönlichen Motive für ehrenamtliche Tätigkeit sind sehr vielfältig. So breit wie das Spektrum ehrenamtlicher Tätigkeit ist, so vielschichtig sind auch die Beweggründe dafür. Eine vollständige Aufzählung aller denkbaren oder genannten Motive ist unmöglich.
Ehrenamtliches Engagement folgt oft der Erkenntnis, daß es in einer freiheitlichen Gesellschaft engagierter Bürgerinnen und Bürger nicht ausreicht, in allen Bereichen und zur Lösung von jedem Problem nach dem Staat zu rufen. Ehrenamtlich Tätige fühlen sich mitverantwortlich für die Gestaltung ihres persönlichen - ggf. auch ihres beruflichen - Umfeldes, der Gesellschaft oder der Politik, sie nehmen Verantwortung wahr für sich, für Mitmenschen und für die Gemeinschaft sowie die Umwelt. Ehrenamtliches Engagement hat seinen Ausgangspunkt oft auch ganz einfach in dem Wunsch, die Freizeit sinnvoll mit anderen Menschen gemeinsam zu gestalten, Spaß und Freude zu haben und Anerkennung zu erfahren, Hobbys zu pflegen, Kenntnisse zu vertiefen und Fähigkeiten zu verbessern, Qualifikationen zu erwerben oder zu erweitern, entsprechend der Devise : Indem ich etwas für andere tue, tue ich auch etwas für mich.
In der Motivation zum Ehrenamt wird in verschiedenen Studien der empirischen Forschung und in den Zuschriften nahezu aller Verbände in den letzten Jahrzehnten eine Wertverschiebung beobachtet : Waren früher für die Übernahme von Ehrenämtern häufiger Pflichtgefühl sowie - bewußt oder unbewußt - aufgrund geringerer sozialstaatlicher Absicherungen die Abhängigkeit auch vom freiwilligen Engagement anderer und damit das Erfordernis gegenseitiger Hilfe maßgebend, so hat heute die durch die ehrenamtliche Tätigkeit vermittelte persönliche Befriedigung und Erfüllung einen höheren Stellenwert erhalten. Wichtig ist Menschen heute vielfach die Berücksichtigung persönlicher Fähigkeiten und Neigungen. Es besteht jedoch kein Widerspruch zwischen freiwilligem Engagement und der Selbstverwirklichung des einzelnen. Der Einsatz für andere oder den Umwelt- und Naturschutz kann im Gegenteil oft wesentlich zur Selbstverwirklichung beitragen. In manchen Ehrenämtern sind die persönlichen Interessen und die der Gruppe, in der man aktiv mitarbeitet, identisch. Spezifische Ziele oder Anliegen und ihre Vertretung oder Durchsetzung innerhalb der Gesellschaft hat man sich zu eigen gemacht oder sind der eigentliche Grund für das freiwillige Engagement.

11. Teilt die Bundesregierung die von Organisationen, Verbänden und Vereinen geäußerten Klagen über ein spürbar nachlassendes ehrenamtliches Engagement?
Wenn ja, worin sieht sie die Ursachen?
Ist der Bundesregierung bekannt, in welchen Tätigkeitsfeldern besonders gravierende Rückgänge zu verzeichnen sind?
Wenn ja, in welchen?

12. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, daß die Ursachen für die fehlende Bereitschaft, ehrenamtliche Tätigkeiten auszuüben, in der zunehmenden Professionalisierung einerseits - u. a. bedingt durch eine Expansion staatlich gewährter Leistungen mit dem Ziel einer allseitigen Versorgung - und dem immer stärker werdenden Streben nach Individualisierung der Lebensformen andererseits liegen?
Wenn ja, wie begründet sie dieses?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß das Nachlassen ehrenamtlichen Engagements die Ursachen auch in den Strukturen der Vereine, Verbände und Organisationen haben kann?
Wenn ja, wie begründet sie dieses?

Die Fragen 11 bis 13 werden zusammenhängend beantwortet.
Nicht alle Verbände und Organisationen klagen über Probleme, ehrenamtlich Tätige zu finden. Mitunter sind in den letzten Jahren auch Zuwächse zu verzeichnen. Eine Erhebung der Caritas-Konferenzen aus den Jahren 1993/94 zeigt z.B., daß in der Caritasarbeit im Erzbistum Köln mehr Personen für die Übernahme eines Ehrenamtes gewonnen werden konnten, als Ehrenamtliche ausgeschieden sind. In der Katholischen und der Evangelischen Kirche allgemein ist jedoch ein Rückgang an Ehrenamtlichen zu verzeichnen. Andere Organisationen, wie z. B. Seniorenverbände, Träger der Familienarbeit oder manche Organisationen, die im Umwelt- und Naturschutz aktiv sind, haben nach eigenen Angaben keine Rückgänge zu beklagen. Andere wiederum bestätigen eine Zunahme der Aktivität in den neuen Bundesländern bei gleichzeitig abnehmendem Engagement in den alten Ländern.
Insgesamt teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es in den meisten Bereichen der Gesellschaft zunehmend schwieriger wird, Menschen zur Mitgliedschaft in und damit zur Bindung an Vereine und Organisationen zu gewinnen. Dies gilt verstärkt für ehrenamtliche Mitarbeit und für das Eingehen dauerhafter Verpflichtungen gegenüber gesellschaftlichen Organisationen. Dort, wo Schwierigkeiten aufgrund von Rückgängen oder wachsendem Bedarf gesehen werden, gibt es laut Verbänden und Untersuchungen die unterschiedlichsten Ursachen.
Das folgende Zitat des Deutschen Caritasverbandes läßt sich auf die meisten Bereiche ehrenamtlicher Arbeit übertragen: "Wenn persönliche Betroffenheit und Mitwirkungsmöglichkeit an Lösungen gegeben sind und wenn Aufgaben zeitlich befristet angegangen werden können, dann gibt es genügend engagierte Menschen. Ehrenamtliche, die alles tun und die über einen langen Zeitraum hinweg viele Stunden pro Woche investieren können, gibt es immer weniger."
Insbesondere die folgenden Tendenzen, die zum Teil kennzeichnend für den Wandel in der Gesellschaft sind und die von vielen Trägern ehrenamtlicher Arbeit bestätigt werden, tragen zu den steigenden Schwierigkeiten bei der Gewinnung ehrenamtlicher Mitarbeiter bei: Die Pluralisierung der Gesellschaft hat für eine Vielfalt von neuen ehrenamtlichen Arbeitsmöglichkeiten und -feldern gesorgt. Das vergrößert für den einzelnen die Chance, eine zu ihm besonders gut passende, quasi individuell zugeschnittene ehrenamtliche Tätigkeit zu finden, macht es den Organisationen gleichzeitig aber auch schwerer, den "geeigneten" Ehrenamtlichen für die jeweilige Aufgabe zu erreichen.
Die zunehmende Differenzierung und Pluralisierung der Gesellschaft haben auch dazu geführt, daß die Prägekraft tradierter Bindungen und Lebensformen innerhalb gesellschaftlicher Milieus gemindert wurde. Die Mitgliedschaft z.B. in gewerkschaftlichen, politischen oder konfessionellen Organisationen wird heute nicht mehr unreflektiert von Generation zu Generation weitergegeben, die Menschen prüfen vielmehr kritisch unter Berücksichtigung unterschiedlicher Anforderungen und Ansprüche an sich selbst, ihre Familien und ihr weiteres persönliches Umfeld, auf welche Bindungen sie sich einlassen. Einer Arbeit, die unmittelbar am Ergebnis orientiert ist, wird oft der Vorrang vor einer dauerhaften Mitgliedschaft in Vereinen gegeben.
Die Zahl der Väter, die mehr Zeit als bisher mit ihrer Familie verbringen, ist in den letzten Jahren gewachsen. Dieses familiäre Engagement verkleinert zwar das für außerberufliche und ehrenamtliche Tätigkeiten zur Verfügung stehende Zeitbudget, dennoch scheint dies sich nicht negativ auf die außerfamiliäre Engagementbereitschaft auszuwirken, wie die Antwort zu Frage 3 belegt.
Hinzu kommt : In den letzten Jahren hat nicht nur eine Expansion des kommerziellen Freizeit- und des kulturellen Angebotes stattgefunden, auch das Spektrum der Vereins- und Verbandslandschaft ist breiter geworden. So zeigen Studien des Deutschen Kulturrates e.V. deutlich, daß in den 80er Jahren auf der Bundesebene eine rege Verbandsgründungstätigkeit festzustellen war. Da meist dem Zusammenschluß zu Bundesverbänden die Gründung von Organisationen auf kommunaler, regionaler und Landesebene vorausgeht, kann angenommen werden, daß diese Gründungsaktivität auch auf den genannten anderen Ebenen stattgefunden hat. Das bedeutet, daß einer bestimmten Anzahl an bereits aktiv oder potentiell ehrenamtlich Engagierten eine Vielzahl von möglichen Vereinen, Verbänden und Organisationen gegenübersteht. Wenn man davon ausgeht, daß die Zahl derer, die sich ehrenamtlich engagieren, nicht beliebig vergrößerbar ist, bedeutet dies, daß Verluste an ehrenamtlich Engagierten bei einigen Vereinen mit Gewinnen bei anderen einhergehen.
Auch innerhalb der Gruppe der freiwillig und ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürger vollzieht sich ein Strukturwandel zu Lasten dauerhafter Bindungen und Verpflichtungen, der jedoch durch eine Ausweitung des kurzzeitigen, überschaubaren und projektbezogenen Engagements mindestens ausgeglichen wird. Dieses Engagement kann zwar dauerhafte Tätigkeit Ehrenamtlicher nicht ersetzen, wohl aber wirkungsvoll unterstützen und ergänzen. Es liegt daher insbesondere auch im Interesse des Ehrenamts, das nach wie vor bestehende unausgeschöpfte Potential an solcher Freiwilligenarbeit noch besser auszuschöpfen.
Der geschilderte Strukturwandel beweist: Individualität und Solidarität schließen sich gegenseitig nicht aus. Es besteht keine generelle Scheu gegenüber ehrenamtlichem Engagement, jedoch gehen der Übernahme von Verantwortung heute verstärkt Willensbildungs-, Abwägungs- und Entscheidungsprozesse voraus. Dem entsprechen vielfach die Bedingungen der Selbsthilfe und Selbstorganisation von Initiativen besonders gut, die dadurch an Attraktivität gewinnen. Hieran knüpfen die Rahmenbedingungen ehrenamtlicher Arbeit insgesamt offensichtlich noch nicht überall in ausreichendem Maße an. Manche Organisationen beobachten die Tendenz freiwillig Tätiger, sich verstärkt vor Ort zu engagieren, während die Möglichkeit, Ziele auf Landes- oder Bundesebene zu verwirklichen, eher als gering eingeschätzt wird.
Vor diesem Hintergrund werden seit einiger Zeit in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene neue Wege der Förderung des freiwilligen Engagements diskutiert. So wird z.B. im Modellprogramm Seniorenbüro der Bundesregierung bereits seit 1992 u. a. die Förderung des freiwilligen Engagements älterer Menschen "für sich und andere" erfolgreich erprobt. Die Seniorenbüros informieren über Aktivitätsmöglichkeiten vor Ort, beraten zu individuellen Neigungen und Bedürfnissen sowie den vorhandenen Möglichkeiten eines - auch generationenübergreifenden - ehrenamtlichen Engagements und vermitteln an Träger, Initiativen und Organisationen, die ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen. Durch die Seniorenbüros, die inzwischen an beinahe 100 Standorten in der Bundesrepublik Deutschland - mehr als die Hälfte von ihnen außerhalb des Modellprogramms - existieren, konnten in erheblichem Umfang neue Aktivitätspotentiale auch für die Gesellschaft erschlossen werden.
Mit Aufmerksamkeit beobachtet die Bundesregierung auch die Arbeit der in einigen Kommunen bestehenden Freiwilligenzentren, -agenturen oder Ehrenamtsbörsen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, an freiwilliger oder ehrenamtlicher Arbeit Interessierte verschiedener Altersgruppen in entsprechende Tätigkeiten bei geeigneten Trägern zu vermitteln. Auf fachlichen Rat des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert die Stiftung Jugendmarke das Projekt "Freiwilligenzentrum" des Jugendrings Dortmund, das der Förderung der freiwilligen Tätigkeit in der Jugendarbeit dient.
Im Rahmen der Untersuchung des Deutschen Kulturrates e.V. "Stand und Perspektiven ehrenamtlicher Arbeit im Kulturbereich" haben zwar ca. 64% der Verbände angegeben, daß sie den Eindruck haben, die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement sinke. Als Begründung wurde jedoch vornehmlich die kürzere zeitliche Dauer des Engagements ehrenamtlich Tätiger angesprochen. Verschiedene Verbände machten dabei deutlich, daß sie für konkrete Vorhaben, z. B. eine Ausstellung, ein Konzert, eine Unterschriftenaktion, eine Lesung, eine kulturpolitische Initiative u.v.m. durchaus auf ausreichend ehrenamtliche Kräfte zurückgreifen können. Doch möchte sich ein großer Teil der ehrenamtlichen Mitarbeiter eher kurz- bis mittelfristig einbinden lassen als langfristige Verpflichtungen eingehen; offenbar wollen viele Menschen in zunehmendem Maß eher ergebnisorientiert arbeiten als sich über einen langen Zeitraum einem Verein verschreiben(3).
Insgesamt ist das Freizeitbudget der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten angewachsen. Dennoch wurden offenbar aus dem insgesamt angestiegenen Zeitbudget der Bevölkerung für die Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit bislang keine Vorteile gezogen. Dies liegt zum Teil daran, daß die weiteren Wege und das größere Maß an notwendiger Mobilität und Flexibilität manchen Zeitgewinn der Berufstätigen wieder aufheben. Auch die stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen hat zur Folge, daß immer mehr von ihnen im Ehrenamt nicht nur auf ihre Familien, sondern auch auf betriebliche Erfordernisse Rücksicht nehmen müssen. Das verlangt eine stärkere Rücksichtnahme auf das Zeitbudget der Ehrenamtlichen, wenn die unverändert bestehende Bereitschaft zum Ehrenamt genutzt werden soll. Insbesondere bei jungen Menschen erschwert die zunehmend geforderte Mobilität in Beruf und Ausbildung die kontinuierliche Arbeit und längerfristige Bindungen in Ehrenämtern. Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und das Gefühl der Unsicherheit des eigenen Arbeitsplatzes führen bei manchen auch dazu, sich noch stärker, mitunter sogar allein auf die berufliche Tätigkeit (und auf die Familie) zu konzentrieren. Diese Gewichtung geht dann zu Lasten ehrenamtlicher Tätigkeit.
In nahezu allen Bereichen, in denen traditionell ehrenamtliche Tätigkeit besonderes Gewicht hat, hat es zugleich in den letzten Jahrzehnten einen Prozeß zunehmender Professionalisierung gegeben, der sich auch auf die Tätigkeit ehrenamtlicher Kräfte selbst auswirkt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der bestehenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt stellen sich viele Menschen die Frage, ob sich ehrenamtliche Arbeit für sie lohnt, wenn andere für eben diese Arbeit eine Bezahlung bekommen. Eine fehlende Abgrenzung zwischen ehrenamtlicher und hauptamtlicher Arbeit kann auch ein Grund für einen Rückgang von freiwilligem und ehrenamtlichem Engagement sein.
In den Tätigkeitsbereichen, in denen für die Wahrnehmung ehrenamtlicher Aufgaben andere als die beruflichen Qualifikationen notwendig sind, sind die Anforderungen an Ehrenamtliche in den letzten Jahrzehnten durch die Komplexität der Aufgabenfelder, die zunehmende Verrechtlichung und die Ansprüche an das Fachwissen gestiegen. Dies hat zusätzliche Herausforderungen und Chancen für die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebracht, gleichzeitig aber auch das Zeitbudget erhöht, das erforderlich ist, um den Anforderungen gerecht zu werden.
Das Verhältnis zwischen hauptamtlich professionellen und ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ist nicht immer angemessen und spannungsfrei. Hauptamtlich Tätige sind bisher häufig weder vom Arbeitszuschnitt noch von ihrer Ausbildung her ausreichend für den Umgang mit ehrenamtlichen Mitarbeitern gerüstet. Dies mindert die Attraktivität ehrenamtlicher Tätigkeit und reduziert die Zahl von Menschen, die bereit sind, sich in bestehende Strukturen ehrenamtlicher Dienste einzubinden. Es wäre zu begrüßen, wenn schon während der Ausbildung in einschlägigen Berufen z.B. im sozialen Bereich dem Aspekt der Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen stärker Rechnung getragen wird.
Wie die Untersuchung des Deutschen Kulturrates e.V. festgestellt hat, kann im Kulturbereich nicht davon gesprochen werden, daß eine stärkere Professionalisierung zu einer Abnahme ehrenamtlichen Engagements führt. Im Gegenteil: Hier wird von den verschiedenen Verbänden vielmehr die Auffassung vertreten, daß durch die Einstellung hauptamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ehrenamtliches Engagement geweckt werden kann. In dem Maße, in dem der Vorstand und auch andere ehrenamtlich Tätige von administrativen Aufgaben entlastet werden, können sie sich verstärkt ihrem "eigentlichen" Anliegen widmen. Entsprechendes gilt gemäß verschiedener Untersuchungen auch für den Bereich des Sports, für den Seniorenbereich, wie die Ergebnisse des Modellprogramms Seniorenbüro zeigen, sowie nach eigenen Angaben für den Wirkungsbereich des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Darüber hinaus wurde von verschiedenen rein ehrenamtlich arbeitenden Verbänden im Kulturbereich auf die Erfahrung verwiesen, daß gerade von seiten der Verwaltung und Politik große Vorbehalte gegenüber ausschließlich ehrenamtlich arbeitenden Vereinigungen bestehen. Ehrenamtliche hätten den Eindruck, daß ihnen unterstellt werde, ein Vorhaben nicht professionell durchführen zu können, und zum Teil von daher eine Ablehnung der Unterstützung bestimmter Vorhaben erfolge. Auf die Dauer führe dies entweder zum Erlahmen des ehrenamtlichen Engagements aufgrund häufiger Erfolglosigkeit oder aber zu einer nicht immer gewünschten Professionalisierung, um Teilbereiche erfolgreicher abwickeln zu können oder um die Interessen gegenüber der politischen Ebene besser durchsetzen zu können. In diese Richtung tendieren auch Aussagen anderer Verbände und Organisationen.
Die Untersuchung des Deutschen Kulturrates e.V. hat darüber hinaus ergeben, daß die Strukturen in verschiedenen Verbänden, Vereinen und Organisationen des Kulturbereichs zum Teil hinderlich sind, neue ehrenamtlich Aktive zu gewinnen. Der Wunsch nach Kontinuität der Verbandsarbeit nach innen und außen führt teilweise dazu, daß sich immer dieselben engagieren und andere potentielle Interessenten aufgrund ihres Erfahrungsrückstandes den Mut verlieren und sich zurückziehen. Hier mag bei einigen Verbänden Handlungsbedarf bestehen. Verschiedene kulturelle Vereinigungen haben sich aus diesem Grunde entschlossen, ihren Mitgliedern eher projektorientierte Aktivitäten anzubieten. Insgesamt ist ein Trend zu offeneren Angebotsformen festzustellen.
Der Bundesregierung sind keine Längsschnittuntersuchungen bekannt, die ein Nachlassen des ehrenamtlichen Engagements generell oder in einzelnen Tätigkeitsfeldern im Sport eindeutig quantitativ belegen. Die absolute Zahl der ehrenamtlich Tätigen im Sport hat nach den Ergebnissen einer Studie in Nordrhein-Westfalen zwischen 1986 und 1992 - nach einem bundesweiten Rückgang zwischen 1982 und 1986 - sogar um 2,5% zugenommen. Andererseits sehen nach Erhebungen durch die angeführte FISAS-Studie 1991 85,6% der befragten Sportvereine in der Mitarbeitergewinnung ihr größtes Problem ; etwa 25 % der benötigten Ehrenämter seien nicht besetzt. Eine Ursache für diesen vordergründigen Widerspruch liegt darin, daß die Mitgliederzahl in den Sportvereinen überproportional gegenüber dem Zuwachs bei der Zahl ehrenamtlich Tätiger gewachsen ist. (Quelle: Friedrich/Puxi, Arbeitswelt, Lebensstile, Freizeitverhalten und die Auswirkungen auf den Sport - in Nordrhein-Westfalen -, 1994)
Nach der FISAS-Studie 1991 ist die Bereitschaft des einzelnen Vereinsmitglieds, sich in seinem Sportverein zu engagieren, besonders von drei Faktoren abhängig:
· der Anreizstruktur der Aufgabe,
· der Einbindung der Mitarbeiter in den Vereinen und
· der Bindung an den Sport.
Für Vereine und Verbände ergibt sich die Notwendigkeit einer aktiven Personalpolitik auch für ehrenamtliche Mitarbeiter, die diese Faktoren berücksichtigt und langfristig vorbereitet, wer wann welche Position einnehmen soll. Dazu gehören die Motivation der Mitglieder, ihre persönliche Ansprache und Einbindung in den Verein mit Beteiligung bei bestimmten Aufgaben bzw. Projekten, die Qualifizierung, frühe Einbeziehung der Jugendlichen sowie die Förderung des Zusammenwirkens mit hauptamtlichen Mitarbeitern und "Funktionären". Gerade die oft angeführte zunehmende Individualisierung in der Gesellschaft weist auf die Notwendigkeit angepaßter Mitarbeiterrekrutierung vor allem durch persönliche Kontakte und Basisnähe des Vorstandes hin. Aus der FISAS-Studie 1991 gibt es ernstzunehmende Hinweise, daß Klagen über die Schwierigkeit, ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen, häufig eher eine Folge des Rekrutierungsprozesses als mangelnder Motivation der Mitglieder sein könnten. Der Deutsche Sportbund hat mit seinem Personalentwicklungs-Programm im Rahmen der Kampagne "Sportvereine - für alle ein Gewinn" die Verbesserung der Mitarbeitergewinnung eingeleitet.
Die Ausweitung staatlichen Handelns hat in den letzten Jahrzehnten nicht nur zur sozialen Absicherung gegen die großen Risiken in unserer Gesellschaft geführt, sondern darüber hinaus auch in weiten Teilen der Gesellschaft zu einem Rückgang eigenverantwortlichen Handelns. Vielfach wird die Verantwortung für die Behebung von Problemen statt beim einzelnen beim Staat und anderen Institutionen gesucht. Wo der einzelne sich nicht mehr als "Nächster" oder zumindest als der Nähere in der Verantwortung sieht, ist er auch weniger bereit, sich ohne Gegenleistung zu engagieren.
Ein tendenziell größerer Teil der Gesellschaft scheint den Wert einer Tätigkeit heute zunehmend anhand der finanziellen Gegenleistung zu bemessen. Auch dies hat Auswirkungen auf das Ansehen ehrenamtlicher Tätigkeit, die "umsonst" erbracht wird. Die Stärkung des Bewußtseins für die Eigenverantwortlichkeit und des Gemeinsinns ist daher neben der Beachtung der vielfältigen Motive zu ehrenamtlicher Arbeit eine wichtige Grundlage für die Förderung ehrenamtlichen Engagements.
Verschiedene Untersuchungen zeigen ein scheinbares Desinteresse von Frauen an der Politik und am Engagement in politischen Parteien. Bei Frauen zwischen 20 und 30 Jahren stagniert das politische Interesse, während es sich bei Männern in dieser Altersspanne sprunghaft weiterentwickelt. Ein entscheidender Grund liegt vermutlich darin, daß sich zentrale Lebensereignisse wie Ausbildungsabschluß und Berufseinstieg, Heirat und Familiengründung bei Frauen häufiger als bei Männern auf diese gedrängte Zeitspanne konzentrieren. Frauen fehlt in diesen Jahren oft die Zeit, sich politisches Wissen anzueignen, was die Anteilnahme und damit auch das Engagement in politischen Fragen behindert. Unterlegenheits- oder Ohnmachtsgefühle können hinzutreten und die Vorbehalte gegenüber politischen Aktivitäten verstärken. Aber auch Frauen, die sich engagieren möchten, stoßen häufig auf Barrieren: Neben dem Zeitfaktor wirken sich insbesondere innerverbandliche Strukturen, Diskussionsstil und Umgangsformen, aber auch zum Teil noch immer vorhandene Vorurteile gegenüber weiblichem Engagement negativ aus. Das erklärt auch, warum Frauen eher bei unkonventionellen Formen des Engagements, z.B. bei Unterschriftensammlungen, Boykottaktionen oder Demonstrationen, genauso aktiv sind wie Männer. [...]

IV Maßnahmen zur Aufwertung ehrenamtlicher Tätigkeit
16. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß ehrenamtliche Tätigkeit mittels einer breit angelegten Kampagne stärker ins Bewußtsein des öffentlichen Interesses gerückt werden muß?
Wenn ja, welche Maßnahmen beabsichtigt sie zu ergreifen?
Wenn nein, welche Gründe stehen dem entgegen ?

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren mit den vielfältigen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit, wie z.B. Studien und Informationsbroschüren, Veranstaltungen und Wettbewerbe, und durch die Förderung der entsprechenden Arbeit bundesweit tätiger Verbände große Anstrengungen unternommen, die dazu beitragen, die Bedeutung, die Möglichkeiten und die Verdienste ehrenamtlich Tätiger im Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit zu verankern.
Bereits in seiner Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 gab der Bundeskanzler das Startzeichen für die bedeutendste derartige Initiative, als er ankündigte : Wir werden einen Wettbewerb sozialer Initiativen ins Leben rufen und besondere Beispiele praktizierter Mitmenschlichkeit auszeichnen. Wir wollen in der Bundesrepublik nicht nur über die schlechten Beispiele klagen, sondern wir wollen durch gute Beispiele Zeichen setzen. Daraus wurde die Aktion "Reden ist Silber. Helfen ist Gold", die 1983/84 für private Initiativen - mit einer Beteiligung von mehr als 3000 Menschen - und 1985/86 für Ehrenamtliche in der Freien Wohlfahrtspflege und der Altenarbeit durchgeführt wurde. Aus diesem breiten Spektrum eindrucksvoller Beispiele hat der Bundeskanzler zweimal stellvertretend für alle, die durch ihr Handeln und ihre praktizierte Mitmenschlichkeit ein Beispiel geben, Vertreterinnen und Vertreter ausgewählter Initiativen in Bonn empfangen und ausgezeichnet.
Darüber hinaus sollen aus der Fülle der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen zur Aufwertung des Ehrenamtes nur einige beispielhaft herausgegriffen werden:
· die Übernahme der Schirmherrschaft über die Kampagne des Deutschen Sportbundes "Sportvereine - für alle ein Gewinn" durch den Bundeskanzler;
· die Informationsbörsen für Frauen, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) betreut werden und die in größeren und kleineren Städten über die vielfältigen Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen vor Ort informieren ;
· die Preise für beispielhafte generationenübergreifende Aktivitäten, die 1995 im Rahmen des Wettbewerbs "Solidarität der Generationen" von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vergeben worden sind;
· oder Informationsdienst KABI (Konzertierte Aktion Bundesjugendplan Innovationen), der, herausgegeben vom BMFSFJ, praktische Erfahrungen der Jugendarbeit vermittelt;
· die Informationsbroschüre des BMFSFJ zum Freiwilligen Sozialen und Freiwilligen Ökologischen Jahr;
· zur Gewinnung ehrenamtlicher Helfer in der Psychiatrie werden über die dem Bundesministerium für Gesundheit nachgeordnete Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Veröffentlichungen gefördert (Broschüre "Partner sein", "Plakatserie zur Förderung des Ehrenamtes" und Faltblätter).

Besonders geeignet erscheinen der Bundesregierung auch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen aus der Mitte der Gesellschaft selbst. So hat z.B. die 1957 gegründete unabhängige bundesweite Bürgerinitiative Aktion Gemeinsinn e.V. in den Jahren 1994/95 unter dem Motto "Mensch ! Tu was!" zu verstärkter ehrenamtlicher Tätigkeit in allen Organisationsbereichen und Selbsthilfegruppen aufgerufen.
Der Vorschlag einer umfassend angelegten Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung zugunsten ehrenamtlicher Arbeit findet bei den Trägern sowohl Ablehnung als auch Unterstützung. Die Befürworter von Öffentlichkeitsmaßnahmen betonen die Notwendigkeit der Einbeziehung der Vereine und Initiativen sowie der Medien, der Durchführung konkreter Aktionen vor Ort und der Darstellung des breiten Spektrums ehrenamtlicher Arbeit. Die vorgebrachten Einwände beziehen sich insbesondere darauf, daß solche Maßnahmen der Bundesregierung angeblich das Ziel hätten, von der Tatsache abzulenken, daß für das Ehrenamt keine weiteren finanziellen Mittel bereitgestellt werden können.
Die Bundesregierung hält diese Einwände für nicht stichhaltig. Sie bleibt bei ihrer Haltung, daß ehrenamtliche Arbeit ehrenamtlich bleiben soll - und das heißt unbezahlt. Gerade das aber macht deutlich, wie wichtig es ist, die Bedeutung und die Verdienste ehrenamtlich Tätiger hervorzuheben und öffentlich zu würdigen sowie öffentlich dafür zu werben. Hier stehen nicht allein die Träger ehrenamtlicher Arbeit sowie die vor Ort in den Ländern und Kommunen Verantwortlichen in der Pflicht, auch die Bundesregierung sieht sich mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit in der Verantwortung für die Würdigung von und Werbung für ehrenamtliche und freiwillige Arbeit.
Die Bundesregierung sieht es als wichtige Aufgabe an, zusammen mit allen Beteiligten, den Kirchen, den Verbänden und Vereinen, den Parteien, den Ländern und Gemeinden, in gemeinsamen Anstrengungen die ehrenamtliche Arbeit aus ihrem häufig anzutreffenden Schattendasein herauszuholen. Gefordert sind insbesondere auch die Medien, sich verstärkt dieses Themas anzunehmen. Die Bundesregierung wird jedenfalls auch in Zukunft dem Ehrenamt im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit große Bedeutung zumessen.
Öffentlichkeitsarbeit allein, sei es durch staatliche Stellen oder durch die Träger, reicht jedoch nicht aus, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen. Entscheidend ist vielmehr auch die persönliche Ansprache von möglichen Interessierten vor Ort.

17. Durch welche finanziellen Maßnahmen fördert die Bundesregierung ehrenamtliche Tätigkeit, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung darüber hinaus?

Steuerliche Maßnahmen

Im Einkommensteuergesetz (EStG) gibt es keine spezielle Regelung für ehrenamtliche Tätigkeiten. Das EStG setzt die Erzielung von Einkünften voraus und nennt in § 2 Abs. 1 die Einkünfte, die der Einkommensteuer unterliegen. Aufwendungen, die im Zusammenhang mit diesen Einkünften stehen, können entweder als Betriebsausgaben im Rahmen des § 4 EStG oder als Werbungskosten im Rahmen des § 9 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte berücksichtigt werden.
Aus Vereinfachungsgründen können nach § 3 Nr. 26 EStG Aufwendungen für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder, Erzieher oder für eine vergleichbare nebenberufliche Tätigkeit sowie die nebenberufliche Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen im Dienst oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke ohne Einzelnachweis pauschal bis zur Höhe von 2400 DM im Jahr von den entsprechenden Einnahmen abgezogen werden. Es handelt sich um eine Aufwandspauschale, die entsprechende Einkünfte voraussetzt. Die sich hieraus ergebenden Steuerausfälle schätzt die Bundesregierung 1996 auf 450 Mio DM.
Forderungen, die Aufwandspauschale des § 3 Nr. 26 EStG anzuheben und sie auch anderen ehrenamtlich oder nebenberuflich Tätigen zu gewähren, sind wiederholt vom Deutschen Bundestag abgelehnt worden. Eine Erhöhung des Betrages müßte wegen des Gleichheitsgrundsatzes alle in § 3 Nr. 26 EStG genannten Tätigkeiten im Dienst oder Auftrag juristischer Personen des öffentlichen Rechts und gemeinnütziger Organisationen umfassen und wäre fiskalisch nicht zu verkraften. Bei Vorlage von Einzelnachweisen können bei jeder Art von ehrenamtlicher Tätigkeit - wie bei anderen Einkünften auch - entsprechend den §§ 4 und 9 EStG auch höhere Aufwendungen von den entsprechenden Einnahmen abgezogen werden.
Hat eine ehrenamtlich tätige Person gegenüber einer Körperschaft, die zum Empfang steuerlich abzugsfähiger Zuwendungen berechtigt ist, einen Vergütungs- oder Aufwendungsersatzanspruch, so kann der Verzicht auf die Vergütung oder Erstattung unter den Sonderausgaben als sogenannte Aufwandsspende steuerlich berücksichtigt werden (§ 1Ob Abs. 3 Satz 3 und 4 EStG). Dies setzt voraus, daß aufgrund eines Vertrages oder einer Satzung ein Anspruch auf die Vergütung oder die Erstattung der Aufwendungen besteht und auf die Erstattung des wirksam entstandenen Anspruchs verzichtet worden ist. Der Anspruch darf jedoch nicht unter der Bedingung des Verzichts eingeräumt worden sein.
Mittelbar wird ehrenamtliche Tätigkeit im gemeinnützigen Bereich auch dadurch gefördert, daß den gemeinnützigen Körperschaften erhebliche Steuervergünstigungen gewährt werden. So war es das erklärte Ziel des Vereinsförderungsgesetzes vom 18. Dezember 1989, die ehrenamtlich in den gemeinnützigen Vereinen tätigen Bürger durch eine Vereinfachung der Vereinsbesteuerung soweit wie möglich von aus steuerlichen Gründen notwendigen Arbeiten zu entlasten. Dieses Ziel wurde u. a. durch die Einführung einer Besteuerungsgrenze, nach der bei Bruttoeinnahmen aus steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben bis zu insgesamt 60000 DM im Jahr keine Körperschaft- und Gewerbesteuern erhoben werden (§ 64 Abs. 3 der Abgabenordnung), erreicht.
Eine darüber hinausgehende steuerliche Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit ist nach Ansicht der Bundesregierung derzeit nicht möglich. Auch unabhängig von Haushaltserwägungen wäre es gesellschaftspolitisch fragwürdig, jedwedes ehrenamtliche, gemeinnützige oder altruistische Engagement steuerlich oder durch eine Prämie zu "entlohnen".

Berücksichtigung ehrenamtlicher Tätigkeiten in der Sozialversicherung

Rentenversicherung

Die gesetzliche Rentenversicherung beruht auf dem Versicherungsprinzip; ihre Leistungen werden in der Hauptsache durch Beiträge finanziert. Eine Rente kann daher grundsätzlich nur aus Zeiten gewährt werden, in denen eine Vorleistung gegenüber der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten erbracht worden ist.
Daher berücksichtigt das geltende Rentenrecht ehrenamtliche Tätigkeit in den Fällen, wo ein Zusammenhang mit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung besteht, aus der Anwartschaften in der Rentenversicherung begründet werden:
1. Es wird eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt, deren Arbeitsentgelt wegen einer daneben ausgeübten nichtversicherungspflichtigen ehrenamtlichen Tätigkeit gemindert ist. Hier gilt auch der Betrag zwischen dem tatsächlichen - wegen der ehrenamtlichen Tätigkeit geminderten - Entgelt und dem Entgelt, das ohne die ehrenamtliche Tätigkeit erzielt worden wäre (höchstens jedoch bis zur Beitragsbemessungsgrenze), als Arbeitsentgelt, soweit der Arbeitnehmer dies beim Arbeitgeber beantragt. Dies gilt jedoch nur, wenn die ehrenamtliche Tätigkeit für bestimmte Institutionen ausgeübt wird, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen.
2. Es wird eine versicherungspflichtige ehrenamtliche Tätigkeit aufgenommen, und im vergangenen Kalenderjahr sind freiwillige Beiträge entrichtet worden. Voraussetzung für die Versicherungspflicht der ehrenamtlichen Tätigkeit ist, daß die gezahlte Aufwandsentschädigung als Arbeitsentgelt anzusehen ist. In einem solchen Fall gilt jeder Betrag zwischen dem Arbeitsentgelt und der Beitragsbemessungsgrenze als Arbeitsentgelt, wenn der Versicherte dies beim Arbeitgeber beantragt. Dies gilt nur für ehrenamtliche Tätigkeiten für Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Die Sicherung von ehrenamtlich tätigen Pflegepersonen ist mit dem Pflege-Versicherungsgesetz erheblich verbessert worden. Die Träger der Pflegeversicherung entrichten seit 1. April 1995 für Pflegepersonen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen und daneben nicht oder zumindest nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig sind, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Die Höhe der Beitragszahlung richtet sich nach der Pflegestufe des Pflegebedürftigen und dem Umfang der wöchentlichen Pflegetätigkeit. Die monatliche Beitragszahlung der Pflegekassen bewegt sich zwischen rund 211 DM und 634 DM monatlich. Damit wird die ehrenamtliche Pflegetätigkeit rentenversicherungsrechtlich weitgehend einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Die Pflegezeiten wirken sich seither als Pflichtbeitragszeiten sowohl rentenbegründend als auch rentensteigernd aus.
Regelungen, die eine Ausweitung des Katalogs der beitragsfreien Zeiten für ehrenamtlich Tätige, die keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, vorsehen, ohne daß für diese Zeiten Beiträge gezahlt werden oder der Rentenversicherung der aus der Anrechnung solcher Zeiten resultierende Aufwand ersetzt wird, können nicht in Betracht gezogen werden. Dem sozialen Charakter der Rentenversicherung entsprechend können zwar auch Zeiten, in denen Versicherte aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen an einer Beitragsleistung gehindert waren, angerechnet werden; solche Zeiten lassen sich jedoch nicht weiter ausweiten. Dies gilt erst recht in einer Zeit, in der zur Bewältigung der Probleme aufgrund der Wirtschaftsentwicklung und ihrer Auswirkungen auf die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung Einschränkungen bereits notwendig waren und künftig sein werden.
Von daher besteht für ehrenamtlich Tätige, die nicht einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, nur die Möglichkeit, eine rentenrechtliche Absicherung durch eigene oder durch den Träger erfolgende freiwillige Beitragszahlungen herbeizuführen.


Unfallversicherung

Ein Versicherungsschutz für Ehrenamtliche gegen Unfallgefahren infolge der ehrenamtlichen Tätigkeit durch die gesetzliche Unfallversicherung besteht nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter folgenden Voraussetzungen:

1. Personen sind gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten kraft Gesetzes versichert, wenn sie im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege - auch selbständig, unentgeltlich oder ehrenamtlich - tätig sind, soweit die Tätigkeit berufsmäßig oder überwiegend ausgeübt wird. Eine Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege muß geprägt sein durch planmäßige, zum Wohl der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte vorbeugende oder abhelfende unmittelbare Hilfeleistung für gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete Mitmenschen.

2. Ferner sind die für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder eine andere Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen kraft Gesetzes vom Unfallversicherungsschutz erfaßt.

Gemäß Angaben des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand sind nach § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO rund 1,7 Millionen ehrenamtlich Tätige versichert. Hierbei handelt es sich um einen Personenkreis, der auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene ehrenamtliche Tätigkeiten wahrnimmt.

Maßnahmen auf der Ausgabenseite

Die Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeiten erfolgt zudem durch finanzielle Maßnahmen aus dem Bundeshaushalt. Hier sind in erster Linie die Erstattung von Reisekosten und von solchen Ausgaben zu nennen, die aus der ehrenamtlichen Tätigkeit erwachsen.
Darüber hinaus erhalten zahlreiche Organisationen, insbesondere die Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Stiftungen, Selbsthilfegruppen, Arbeitsgemeinschaften und Vereine sowie kommunale Träger Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt, die auch ehrenamtliche Tätigkeiten, die Qualifikation und Fortbildung Ehrenamtlicher sowie die Gewinnung ehrenamtlicher Helfer unterstützen.
Sowohl die nicht unerhebliche indirekte Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeiten als auch die Höhe der Zuwendungsmittel, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeiten bei den o.a. Zuwendungsempfängern stehen, lassen sich jedoch nicht zahlenmäßig darstellen oder als konkrete finanzielle Größe haushaltsbezogen erfassen.
Die Bundesregierung sieht angesichts der schwierigen Haushaltslage keine Möglichkeit, ehrenamtliche Tätigkeiten aus dem Bundeshaushalt über das bisherige Maß hinaus ohne entsprechende Einsparungen bzw. Umschichtungen an anderer Stelle zu fördern. Auch in einer solchen Zeit wird die ehrenamtliche Tätigkeit in unserer Gesellschaft nichts an Bedeutung einbüßen.
Durch die Verfassung sind die Möglichkeiten des Bundes begrenzt. Die Hauptverantwortung für die Unterstützung der klassischen Bereiche ehrenamtlicher Tätigkeit liegt bei den Ländern und Kommunen, die ebenfalls mit unterschiedlichsten Ansätzen ehrenamtliche Tätigkeit fördern. Dem Bund bleibt jedoch die Möglichkeit, Modellprojekte und bundeszentrale, überregionale Strukturen zu fördern. Dieser Verantwortung kommt die Bundesregierung in großem Umfang nach.
Darüber hinaus ergänzt der Bund den Katastrophenschutz der Länder aus Gründen des Zivilschutzes in den Aufgabenbereichen Brandschutz, ABC-Schutz, Sanitätswesen und Betreuung und finanziert hierzu Einsatzfahrzeuge, Ausstattung und Ausbildung für Zivilschutzzwecke in Höhe von rund 110 Mio DM (für 1996). Er trägt dadurch dazu bei, daß ehrenamtliche Helfer in ihren Organisationen im Katastrophenschutz der Länder und Kommunen mitwirken. Die ehrenamtlichen Helfer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) nehmen im Zivilschutz die Aufgabe "Bergung" wahr und verstärken dadurch ebenfalls den vom Bund ergänzten Katastrophenschutz der Länder und Kommunen. Hierfür steht dem THW jährlich ein Betrag von 190 Mio DM zur Verfügung. Neben der finanziellen Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit werden auch weiterhin Helfer für den Dienst im Katastrophenschutz vom Wehrdienst freigestellt (vgl. Antworten zu den Fragen 6 und 7). Der Arbeitskreis V der Konferenz der Innenminister der Länder berät gegenwärtig über Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Attraktivität ehrenamtlicher Tätigkeit im Brand- und Katastrophenschutz.

18. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, daß eine bessere finanzielle Ausstattung den Zugang zu ehrenamtlicher Tätigkeit für Bürgerinnen und Bürger erleichtern würde oder ist sie der Auffassung, daß eine über das bisherige Maß hinausgehende finanzielle Ausstattung ehrenamtlicher Tätigkeit deren gesellschaftlicher Bewertung Abbruch tun würde?

In der öffentlichen Diskussion finden in bezug auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für ehrenamtliche Arbeit die Vorschläge die größte Beachtung, die eine direkte finanzielle Förderung des Ehrenamts zum Ziel haben. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß eine solche Diskussion der Natur des Ehrenamts nicht nur nicht gerecht wird, sondern ihm sogar schadet. Diese Auffassung wird von vielen Verbänden und Organisationen ausdrücklich geteilt. Einige von ihnen messen der Förderung von konkreten Projekten, in denen ehrenamtliche Arbeit geleistet wird, eine größere Bedeutung zu als einer generellen finanziellen Förderung des Ehrenamts.
Es darf nicht die Erwartung geweckt werden, als wäre am Ende die bezahlte ehrenamtliche Arbeit möglich. Ehrenamtliche Arbeit muß mehr Anerkennung finden, aber sie muß ehrenamtlich bleiben, will sich die Gesellschaft nicht ihrer Ressourcen an Menschlichkeit berauben. Die Träger sind in der Pflicht, dafür zu sorgen, daß ehrenamtliche Tätigkeit allen Bürgerinnen und Bürgern möglich ist. Freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeit sollte nicht von der finanziellen Leistungskraft des einzelnen abhängen.
Im übrigen verweist die Bundesregierung auf ihre diesbezüglichen Ausführungen zu den Fragen 1, 10 und 17.

19. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um bei Arbeitgebern - auch bei den öffentlichen - mehr Verständnis für die ehrenamtliche Tätigkeit der Beschäftigten zu wecken und diese auch im beruflichen Werdegang und bei der beruflichen Qualifizierung anzuerkennen und anzurechnen?

Die Bundesregierung weist darauf hin, daß von vielen privaten Arbeitgebern die in der ehrenamtlichen Arbeit erworbenen Qualifikationen bereits bei der Einstellung anerkannt und gewürdigt werden und hofft, daß sich diese Praxis noch stärker durchsetzt. Auch ist eine zunehmende Unterstützung der ehrenamtlichen Tätigkeit durch private Arbeitgeber zu beobachten, die sich an die Regelungen des öffentlichen Dienstes anlehnt. Insbesondere Mitarbeiter, welche ein (kommunal)-politisches Mandat anstreben oder innehaben, werden in größeren Unternehmen häufig hierfür freigestellt, ohne berufliche oder finanzielle (etwa Anrechte auf Betriebsrenten) Nachteile zu erleiden. Für bestimmte berufliche Tätigkeiten im sozialen Bereich sind einschlägige Erfahrungen durch privates, ehrenamtliches Engagement von großem Vorteil, mitunter sogar Einstellungsvoraussetzung.
Da sich ehrenamtliche Tätigkeit grundsätzlich dadurch auszeichnet, daß sie nicht auf geldwerte Vorteile ausgerichtet ist, hält die Bundesregierung es auch nicht für zweckmäßig, durch finanzielle Anreize oder gesetzlich verordnete Anrechnungen bei privaten Arbeitgebern das Verständnis für ehrenamtliche Tätigkeit zu vertiefen. Vielmehr bestände dann die Gefahr, das Feld der eigentlichen Ehrenamtlichkeit zu verlassen und den Bereich des Zweiten Arbeitsmarktes zu betreten. Zudem könnten sich solche Fördermaßnahmen im nachhinein auch als Einstellungshindernis herausstellen.
Das geltende Recht des öffentlichen Dienstes bietet Möglichkeiten, der ehrenamtlichen Tätigkeit von Bediensteten entgegenzukommen. In erster Linie gilt dies für die Vorschriften über den Sonderurlaub und die Arbeitsbefreiung. Entsprechende Regelungen bestehen für die Angestellten und Arbeiter des Bundes nach den jeweiligen Tarifverträgen bzw. auch außerbetrieblich in Anlehnung an die genannten beamtenrechtlichen Bestimmungen. Die Praxis auf diesem Gebiet zeigt auch, daß es an Verständnis für die ehrenamtliche Tätigkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes im allgemeinen nicht fehlt. Dagegen bereitet es Schwierigkeiten, ehrenamtliche Tätigkeiten als solche im beruflichen Werdegang anzurechnen oder sie als Elemente der beruflichen Qualifizierung anzuerkennen. Dies widerspräche dem Leistungsprinzip, welches die berufliche Förderung allein von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung abhängig macht. Dem steht allerdings nicht entgegen, daß bei der Beurteilung der Eignung auch Erfahrungen und Fähigkeiten aus ehrenamtlicher Tätigkeit einbezogen werden, sofern sich diese auch in der beruflichen Qualifikation niederschlagen.
Im Rahmen der dualen Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz bzw. der Handwerksordnung ist jede einschlägige frühere Beschäftigung oder Vorbildung gemäß § 29 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes bzw. § 27a Abs. 2 der Handwerksordnung auf die Ausbildungszeit in dem Umfang anzurechnen, der in bezug auf den jeweiligen Ausbildungsberuf fachlich angemessen ist. Das gilt auch für ehrenamtliche Tätigkeiten.
Die Bundesregierung hält es für erwägenswert, Qualifikationen, die im Zusammenhang mit ehrenamtlicher Tätigkeit erworben werden, auch im Rahmen der Zulassung zu einschlägigen schulischen und hochschulischen Ausbildungs- und Studiengängen und deren Durchführung anzuerkennen. Sie fordert die hierfür in erster Linie zuständigen Länder auf, die entsprechenden Zulassungs-, Ausbildungs- und Studienordnungen auf die Möglichkeiten der stärkeren Anerkennung hin zu überprüfen.

20. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um bürokratische Hemmnisse (Verwendungsnachweise, Genehmigungsverfahren etc.) bei Bund, Ländern und Gemeinden für ehrenamtlich Tätige abzubauen?

Die Bundesregierung ist grundsätzlich bemüht, bei der Konkretisierung der durch das Verwaltungsverfahrensgesetz vorgegebenen sehr weiten Rahmenbedingungen die ehrenamtlich Tätigen nicht mehr als notwendig zu belasten. Wegen der Vielzahl und Vielfalt freiwilliger Tätigkeiten kann meist nur am konkreten Einzelfall geprüft werden, ob Vorschriften möglicherweise zu eng gefaßt oder Verwaltungsabläufe zu kompliziert gestaltet sind. Entsprechenden Hinweisen geht die Bundesregierung nach, um auftretenden Schwierigkeiten jeweils mit geeigneten Maßnahmen zu begegnen.
Ehrenamtliche Tätigkeiten, die in der Mehrzahl der Fälle im kommunalen Raum angesiedelt sind, unterliegen insbesondere einer Vielzahl von Regelungen, die durch die Länder und Kommunen erlassen werden. Hierauf hat die Bundesregierung keinen Einfluß.
Für ihre eigene Zuständigkeit hat die Bundesregierung, z. B. für den Kinder- und Jugendplan des Bundes (KP), bereits in den vergangenen Jahren die Finanzierung weitgehend auf die vereinfachte Form der Festbetragsfinanzierung umgestellt. Gemeinsam mit dem Förderausschuß des Bundesjugendkuratoriums werden darüber hinaus die Verwaltungsabläufe ständig auf mögliche Erleichterungen untersucht und soweit wie möglich sofort umgesetzt.

21 Ist der Bundesregierung bekannt, welche Maßnahmen die einzelnen Bundesländer zur Aufwertung ehrenamtlicher Tätigkeit getroffen haben?
Wenn ja, welche sind diese?

Aus Berichten der Länderregierungen und den zahlreichen Antworten auf parlamentarische Anfragen der Länderparlamente ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundesländer es angesichts der allgemein sehr hoch bewerteten Bedeutung ehrenamtlichen Engagements für die Gesellschaft als ihre Aufgabe ansehen, die Rahmenbedingungen und Grundlagen für die Entfaltung dieses Engagements zu erhalten und zu verbessern. Die meisten Gleichstellungs- bzw. Frauenfördergesetze der Länder enthalten Klauseln über die Berücksichtigung der Familienarbeit und teilweise der ehrenamtlichen Sozialarbeit als Qualifikationsmerkmal in geeigneten Fällen bei Einstellung und beruflichem Aufstieg. Hinzu kommen Rechtsvorschriften in bezug auf Sonderurlaub, Aufwandsentschädigungen und Versicherungsschutz für ehrenamtlich Tätige, steuerrechtliche Regelungen für Körperschaften und Vereine, bereichsspezifische Förderprogramme sowie Richtlinien für institutionelle und projektbezogene finanzielle Zuwendungen. Auch werden Überlegungen zur Betreuung der Kinder ehrenamtlich Tätiger angestellt.
Darüber hinaus bestehen zahlreiche Formen der Information, der Beratung und der Fortbildung im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich durch Institutionen und Einrichtungen der Länder sowie durch Verbände und Hilfsorganisationen.
Zu den von einigen Landesregierungen gesetzten Rahmenbedingungen zählt auch die Verwendung von bestimmten Erträgen der Lottogesellschaften zur Förderung des Sports und der Jugendarbeit.
Aus den Berichten geht hervor, daß die Länderregierungen es als ihre Verpflichtung ansehen, den im ehrenamtlichen Engagement zum Ausdruck gebrachten Bürgersinn für das Gemeinwesen durch Ehrung von verdienten Bürgerinnen und Bürgern und Würdigung ihrer Leistungen immer wieder aufs neue in das Bewußtsein der Gesellschaft zu rufen und damit Achtung und Anerkennung des Ehrenamts in der Gesellschaft wachzuhalten.
Von vielen Ländern wird aber gleichermaßen betont, daß nicht nur die öffentliche Anerkennung des Ehrenamtes für die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement von Bedeutung ist, sondern im gleichen Maße die Anerkennung durch das soziale und gesellschaftliche Umfeld.
Die formellen Würdigungen des Ehrenamtes sowie der äußere Rahmen, in dem diese Ehrungen und Würdigungen vorgenommen werden, sind von Land zu Land unterschiedlich und entsprechen ebenso unterschiedlich langen Traditionen. Dies drückt sich z.B. in der Vielfalt der Auszeichnungen wie z. B. Verdienstmedaillen und Ehrenzeichen als sichtbares Zeichen der Ehrung und Würdigung aus.
Die Würdigung der Verdienste im Ehrenamt wird nicht selten vom fachlich zuständigen Ressortminister oder bei herausragenden Anlässen auch vom Ministerpräsidenten selbst im Rahmen eines Festaktes (z. B. beim Neujahrsempfang) vorgenommen.
Auszeichnungen dieser Art können sogar, wie z.B. der Bürgerpreis des Landes Baden-Württemberg, mit einer Geldprämie verbunden sein.
Vielfach wird aber auch eingeräumt, daß traditionelle Formen der Würdigung von Leistung und der Verleihung von Ehrenzeichen vor allem bei jüngeren Menschen nicht unbedingt einen Anreiz zum Engagement bewirken.
Angesichts der auch von den Hilfsorganisationen und Sportverbänden geäußerten Besorgnis, daß es immer schwerer falle, vor allem junge Menschen für ehrenamtliche Mandate zu motivieren, sind aus der Sicht der Landesregierungen neue Konzeptionen notwendig, um dem Ehrenamt wieder mehr soziale Beachtung und höhere öffentliche Anerkennung zu verschaffen. Diese neueren Konzeptionen sind zum Teil schon mit Erfolg realisiert worden.
· So haben z. B. der Landessportbund Nordrhein-Westfalen und das Kultusministerium des Landes unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten das Jahr 1993 zum "Jahr des Ehrenamts" erklärt. In über 400 Veranstaltungen wurden Grundsätze und Probleme ehrenamtlichen Engagements aufgearbeitet und ehrenamtliche Leistungen öffentlich hervorgehoben.
· Baden-Württemberg hat 1993 in vier Städten des Landes in Modellprojekten, den "Seniorengenossenschaften", neue Formen bürgerschaftlichen Engagements und der Selbsthilfe älterer Menschen erprobt und ausgehend von diesen Erfahrungen die "Initiative 3. Lebensalter" ins Leben gerufen. Diese Initiative wurde im Rahmen der Zusammenarbeit europäischer Regionen als "Europäisches Netzwerk bürgerschaftlichen Engagements und Selbsthilfe im dritten Lebensalter" von der Europäischen Union gefördert.
· Bayern hat 1994 zum "Jahr des Ehrenamts" erklärt. In besonderen Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Ehrungen wurden die großen, durch ehrenamtliches Engagement erbrachten gesellschaftlichen Leistungen verstärkt ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Das Jahr des Ehrenamts hat darüber hinaus wichtige, in die Zukunft weisende Denkanstöße gegeben. Im Juli 1994 hat der Bayerische Landtag das Gesetz über das Ehrenzeichen des Bayerischen Ministerpräsidenten beschlossen, das jährlich bis zu 2 000 Personen für langjährige ehrenamtliche Tätigkeit würdigt.
· Rheinland-Pfalz hat seit 1971 mit dem Ehrensoldgesetz eine Rechtsgrundlage, nach der früheren ehrenamtlichen Bürgermeistern, Beigeordneten und Ortsvorstehern ein lebenslanger Ehrensold gewährt werden kann. Er gilt als Anerkennung für die langjährige Tätigkeit im gemeindlichen Dienst und als Ausgleich für Einbußen, die möglicherweise im Berufsleben bzw. in der Alterssicherung entstanden sind.
· Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern hat 1995 erstmals einen Landespräventionspreis zum Leitthema "Schutz älterer Mitbürger vor Kriminalität" ausgelobt. Der Preis soll die beispielhaften ehrenamtlichen Vorbeugungsinitiativen würdigen und ihnen eine erhöhte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verschaffen, aber er soll auch zur aktiven Mitarbeit in der Kriminalitätsvorbeugung anregen.
· In Sachsen trat 1993 die "Aktion 55" mit Beschluß des Kabinetts in Kraft. Die Aktion soll helfen, ein neues Verständnis bürgerschaftlicher Mitsorge, Mitverantwortung und Mithilfe zu schaffen, und die Bereitschaft fördern, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Das Programm wendet sich in erster Linie an die 55- bis 60jährigen, die, trotz großer Berufs- und Lebenserfahrung, mit dem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben konfrontiert sind. Ihnen werden in Projekten der Jugendlichen- und Seniorenbetreuung, im Umweltschutz, in der Arbeitslosen- und Ausländerbetreuung und anderen Projektbereichen die Möglichkeit und Gelegenheit für eine sinnvolle und befriedigende ehrenamtliche Tätigkeit außerhalb des Arbeitsmarktes, aber mitten in der Gesellschaft geboten. Den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird unter bestimmten Förderungsvoraussetzungen eine steuerfreie Aufwandsentschädigung von monatlich 200 DM gezahlt.
· In Brandenburg besteht seit 1994 das Förderprogramm "55 Aufwärts", das sich an den gleichen Personenkreis wie in der sächsischen "Aktion 55" wendet. Die Landesregierung macht jedoch auch deutlich, daß ehrenamtliche Tätigkeit kein Ersatz für nicht vorhandene Beschäftigungsmöglichkeiten ist. Gefördert wird das soziale Engagement in gemeinnützigen Vereinen und Verbänden. Selbsthilfeeinrichtungen, Kirchengemeinden und Gebietskörperschaften für alte, behinderte und kranke Menschen, für Kinder, Jugendliche und für Familien in schwierigen Situationen, für Aussiedler und Ausländer, Inhaftierte und Haftentlassene sowie für Obdachlose. Bei der pauschalierten Aufwandsentschädigung von monatlich 200 DM wird von mindestens 20 Stunden gemeinnütziger Tätigkeit ausgegangen. Diese Aufwandsentschädigung ist kein Hinzuverdienst im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes.

Die Sportministerkonferenz der Länder hat auf ihrer Sitzung im Dezember 1995 die Sportreferentenkonferenz beauftragt, gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund konkrete Vorschläge für Maßnahmen zur Unterstützung des Ehrenamtes im Sport zu entwickeln.
In den letzten Jahren haben sich in Städten, aber auch im ländlichen Raum eine Fülle von neuen Initiativen im sozialen Bereich und im Sport, soziokulturelle Zentren, Kulturwerkstätten, freie Zentren, freie Theatergruppen etc., zumeist in der Trägerschaft eingetragener Vereine, entwickelt und allgemeine Akzeptanz gefunden. Diese Einrichtungen sind traditionell eng verbunden mit den Ideen der Selbsthilfe, Selbstorganisation und Selbstbestimmung, und sie beziehen in ihre Arbeit auch die Bedürfnisse sozial benachteiligter Menschen und gesellschaftlicher Randgruppen ein.
Ihre übergreifende Orientierung und Angebotsvielfalt haben sie zu wesentlichen Faktoren des kommunalen kulturellen Lebens und zu einer Ergänzung des traditionellen Kulturlebens werden lassen.
Die Förderung dieser Einrichtungen wird in den Ländern unterschiedlich gehandhabt:
o Baden-Württemberg fördert seit 1987 Maßnahmen zur Ausstattung von Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren sowie seit 1991 auch Baumaßnahmen.
o Hessen hat erstmals 1992 Fördermittel für soziokulturelle Projekte in den Haushalt aufgenommen.
o Schleswig-Holstein fördert institutionell die Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur sowie herausragende Projekte einzelner Zentren.
o Niedersachsen fördert seit 1989 Projekte der Soziokultur und gibt seit 1991 auch Zuschüsse für Baumaßnahmen sowie für die Geschäftsstelle des Landesverbandes, in dem sich die Zentren zusammengeschlossen haben.
o In den neuen Bundesländern erfolgt die gesamte Vereinsförderung im Kulturbereich unter dem Etikett "Soziokultur". Schwerpunkte der Förderung liegen hier bei Bau- und Sanierungsmaßnahmen und in Projekten und Veranstaltungen gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit.
Die an den genannten Beispielen aufgezeigte Förderung macht deutlich, daß auch die Länder dem ehrenamtlichen Engagement als Ausdruck einer humanen Gesellschaft und lebendigen Demokratie große Aufmerksamkeit widmen und vielfältige Anstrengungen mit dem Ziel unternehmen, den hohen Stellenwert des Ehrenamts für das Gemeinwohl zu erhalten und auf Dauer zu sichern.

V. Auszeichnungen
22. Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung staatlichen Ehrungen im Hinblick auf die Bereitschaft zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeit zu und welche Möglichkeiten sieht sie, durch Einführung besonderer Auszeichnungen für ehrenamtlich Tätige dies auf Bundesebene zu dokumentieren?

Die Bundesregierung sieht in staatlichen Auszeichnungen und Ehrungen eine angemessene und ermutigende Anerkennung ehrenamtlichen Engagements.
Seit Stiftung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland durch Bundespräsident Theodor Heuss im Jahre 1951 wird dieser regelmäßig vom jeweiligen Bundespräsidenten auch für ehrenamtlich erbrachte Leistungen verliehen. Insgesamt spielt das Ehrenamt in der heutigen Verleihungspraxis des Verdienstordens eine hervorgehobene Rolle. So werden mit der Verdienstmedaille und dem Verdienstkreuz am Bande Menschen ausgezeichnet, die durch regelmäßigen Einsatz über längere Zeit Gemeinsinn, Belastungsbereitschaft, Ausdauer sowie Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung bewiesen haben. Als Beispiele seien genannt: jahrelange Pflege z.B. von Familienangehörigen, ehrenamtliches Engagement in der sozialen, karitativen oder Kulturarbeit, langjährige aktive Mitarbeit in Pfarrgemeinderäten, Vereinen, Personalräten, Tätigkeit als ehrenamtlicher Bürgermeister, Richter oder Schöffe.
Es ist im übrigen vorgesehen, die Bedeutung der Verdienstmedaille gerade für den Bereich des Ehrenamtes noch stärker hervorzuheben. Einer besonderen, d. h. neu zu schaffenden Auszeichnung für ehrenamtlich Tätige durch die Bundesregierung bedarf es daher nicht.
Die Bundesregierung unterstützt dabei auch das besondere Anliegen des Bundespräsidenten, mehr Frauen auszuzeichnen. Der derzeitige Frauenanteil der Ordensträger entspricht in keiner Weise der Bedeutung der Frauen in Staat und Gesellschaft und dem Umfang der Verdienste, die sich Frauen in unserem Gemeinwesen erworben haben. Gerade Frauen sind im Bereich ehrenamtlicher sozialer Tätigkeit in starkem Maß engagiert. Zunehmend wirken und entscheiden sie aber auch im politisch-gesellschaftlichen Bereich mit. Auszeichnungen könnten gerade hier motivierend sein und die gewürdigten Personen eine Vorbildfunktion ausüben.
Neben dem Verdienstorden werden für verschiedene gesellschaftliche Bereiche weitere Auszeichnungen verliehen, mit denen ehrenamtliches Engagement gewürdigt wird, z.B. die vom Bundespräsidenten gestifteten Plaketten für Musik- und Chorvereinigungen sowie für Wander- und Sportvereine, mit denen die Vereinigungen, nicht aber einzelne Vereinsmitglieder ausgezeichnet werden.
Unterhalb der o.g. staatlichen Ehrungen gibt es vielfältige Formen der Auszeichnung ehrenamtlicher Tätigkeiten, z.B. Einladungen zu Empfängen des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und anderer Regierungsmitglieder oder von Abgeordneten oder Gespräche mit ihnen sowie verbandsinterne Auszeichnungen und Ehrungen.

23. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einführung eines "Tages des Ehrenamtes" auf Bundesebene und sieht sie in der Hervorhebung des "International Volunteers Day" der Vereinten Nationen eine Möglichkeit, ehrenamtliche Tätigkeit stärker in das Bewußtsein der Bevölkerung zu bringen?

Anläßlich der 10. Wiederkehr des "International Volunteers Day", des internationalen Entwicklungshelfertags für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf die besondere Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements in einer Grundsatzrede zum 5. Dezember 1995 hingewiesen, die sie im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Bedeutung des Ehrenamtes gehalten hat. Die Präsidentin des Deutschen Bundestages hat sich zur Bedeutung des Ehrenamtes im gleichen Sinne geäußert.
Solche Veranstaltungen an bestimmten "Gedenk"tagen können Anlaß sein, sich bewußt mit dem Thema zu beschäftigen und es in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken.
Auch wenn die Ausweitung einer einzelnen Widmung oder die Einführung eines neu gewidmeten Tages - derzeit gibt es allein z. B. rund 35 jährliche "Gedenk"tage der Vereinten Nationen - das Gewicht jedes einzelnen schmälern kann, steht die Bundesregierung der in vielen Bereichen zu beobachtenden Begehung des 5. Dezember als "Tag des Ehrenamts" offen und zustimmend gegenüber. Die Bundesregierung sieht vor, auch in Zukunft am 5. Dezember die Bedeutung ehrenamtlicher Arbeit hervorzuheben und die Leistungen ehrenamtlich Tätiger zu würdigen. Länder und Kommunen könnten vor allem auch mit dezentralen Veranstaltungen vor Ort diese Zielsetzung unterstützen. Besonders geeignet erscheinen der Bundesregierung Veranstaltungsformen, bei denen einzelne ehrenamtlich Tätige in den Mittelpunkt gestellt und so auch anderen zur Nachahmung empfohlen werden. Auch die Medien sind in diesem Zusammenhang aufgefordert, dem Thema die ihm zukommende Bedeutung beizumessen.
Ein Beispiel für mögliche Veranstaltungsformen ist der erste "European Day an Volunteering", der am 5. Dezember 1995 in Brüssel stattfand und zu dem europaweit Organisationen, die mit Freiwilligen arbeiten, eingeladen waren. Veranstalter des 1. Europäischen Tags des Ehrenamts war das "European Volunteer Centre", ein Zusammenschluß von Freiwilligenzentralen aus neun europäischen Ländern (Frankreich, Großbritannien, Schottland, Belgien, Italien, Dänemark, den Niederlanden, Spanien, Schweden). [...]

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag anerkennt:
Ehrenamtliche Tätigkeit ist unverzichtbarer Bestandteil unseres Gemeinwesens

Der Deutsche Bundestag dankt den Millionen ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer für ihren selbstlosen, uneigennützigen und engagierten Einsatz für unsere Gesellschaft. Bürgersinn, Mitwirkungs- und Verantwortungsbereitschaft sind unverzichtbare Elemente unseres demokratischen Staatswesens. Sie prägen unser Verständnis von einer solidarischen Gesellschaft.
Millionen von Bürgerinnen und Bürgern haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aus innerer Bereitschaft freiwillig und unentgeltlich für unser Gemeinwesen engagiert und sich für ihre Mitmenschen eingesetzt. Sie tun dies aus idealistischen und aus persönlichen Motiven : zum einen, um einen Beitrag zur Gestaltung und zur Sicherung der Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft zu leisten, zum anderen, weil sie es als eine Bereicherung des eigenen Lebens empfinden, einen Teil ihrer freien Zeit einer Aufgabe zu widmen, die der Allgemeinheit zugute kommt.
Ehrenamtliche Tätigkeit ist somit ein Wert an sich. Sie ist freiwillig und unentgeltlich, der Lohn ist die breite gesellschaftliche Anerkennung. Ohne Gemeinsinn, ohne praktizierte Nächstenliebe, ohne Zuwendung zum Nächsten und Hilfe am Nächsten ist unser freiheitliches Gemeinwesen nicht denkbar, wäre langfristig um vieles ärmer und auf Dauer nicht lebensfähig.
Die Qualität und Vielfalt unseres Lebens hängen deshalb davon ab, daß seine Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, Verantwortung zu übernehmen und sich für den Nächsten einzusetzen. Dies anzuerkennen und zu stützen ist auch künftig Aufgabe des Staates.
Die Familie ist die wichtigste Verantwortungsgemeinschaft unserer Gesellschaft. Hier werden persönliche Bindungen und Hilfen für den Nächsten am unmittelbarsten erfahren und gelebt. Im frühen Kindesalter werden die Voraussetzungen für Verständnis, Einsicht, Toleranz, Verantwortungsbewußtsein und Rücksichtnahme gelegt; Tugenden, die für die Übernahme ehrenamtlicher Verantwortung von grundsätzlicher Bedeutung sind.

II. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Ehrenamt verdient öffentliche Anerkennung

Ehrenamtliches Engagement ist immer weniger selbstverständlich und findet geringere öffentliche Anerkennung in einer Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger glauben, ihren Beitrag zur Gestaltung des Gemeinwesens durch hohe Abgaben und Steuern geleistet zu haben. Die Ausweitung staatlichen Handelns hat zur sozialen Absicherung vieler individueller Lebensrisiken geführt. Viele Bürgerinnen und Bürger empfinden sich durch die allgegenwärtige staatliche Daseinsvorsorge zunehmend mehr als Empfänger und Nutzer staatlicher Leistungen denn als Geber und Gestalter des Gemeinwesens.
Aufgabe des Staates ist es, den für ehrenamtliche Tätigkeiten erforderlichen Handlungsrahmen zu gewähren, nicht aber regulierend in dessen Ausgestaltung einzugreifen. Die Bereitschaft zum Ehrenamt muß aus der Gesellschaft heraus erwachsen und der Freiwilligkeit des einzelnen überlassen bleiben. Staat, Politik und gesellschaftliche Gruppen müssen dazu beitragen, gesellschaftliches Bewußtsein zu fördern und den einzelnen zur Ausübung zu motivieren. Die Vielfalt und der Grad der Bereitschaft jedes einzelnen und aller Gruppen des gesellschaftlichen Lebens zur Übernahme bürgerschaftlicher Verantwortung sind ein Spiegelbild des Zustandes unseres Gemeinwesens.

Das traditionelle Ehrenamt verliert Zuspruch

Vor allem die traditionellen Organisationsformen unseres gesellschaftlichen Lebens wie Wohlfahrtsverbände, Organisationen, Vereine, Stiftungen, Parteien oder Kirchengemeinden beklagen ein Nachlassen ehrenamtlicher Bereitschaft. Dagegen erfahren Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeinitiativen und Bürgerinitiativen starken Zuspruch. Nicht die generelle Bereitschaft zur Übernahme sozialer oder auch politischer Verantwortung sinkt, sondern die Verdrossenheit gegenüber Großorganisationen nimmt zu.
Ein besonderes Akzeptanzproblem für die traditionellen Organisationen, Verbände und Vereine ergibt sich durch die Professionalisierung vieler Aufgaben und das Verhältnis zwischen hauptamtlich und ehrenamtlich tätigen Mitarbeitern. Originär ehrenamtliche Tätigkeiten in vielen Bereichen werden zurückgedrängt und durch hauptamtlich Tätige ausgeführt. Wo dies nicht geschieht, haben Bürokratisierung, Verrechtlichung und die Komplexität der Aufgabenfelder dazu geführt, daß Ehrenamtliche aufgrund ihrer Kompetenzen und/ oder ihrer zeitlichen Disposition viele Anforderungen nicht mehr erfüllen können.
Die zunehmende Differenzierung, Pluralisierung und die stark in Interessenverbände gegliederte Gesellschaft haben die Prägekraft tradierter Bindungen und Lebensformen gemindert. Sowohl im Hinblick auf Einschränkungen in der persönlichen Lebensgestaltung als auch hinsichtlich des Sinns, der Realisierbarkeit und der Anforderung möglicher Aufgabenstellungen wird ehrenamtliches Engagement heute kritischer geprüft als bisher. Tendenziell bezieht sich die Bereitschaft immer stärker auf überschaubare, projektbezogene und am Ergebnis orientierte Einsatzmöglichkeiten. Bürgerinnen und Bürger prüfen kritischer, ob sie die Aufgaben für richtig und interessant halten und was sie durch ihren Einsatz für einzelne Menschen oder bestimmte Gruppen in ihrem jeweiligen eigenen Lebensraum positiv gestalten können. Sie prüfen, wie sie ihr Engagement mit Familie, Schule, Ausbildung und Beruf vereinbaren können und wie sich dieses Engagement mit ihren privaten Interessen verbinden läßt. Die neuen Formen ehrenamtlicher Betätigung entsprechen stärker dem Bedürfnis nach mehr Freiraum und Gestaltung, Selbstbestimmung und Entscheidungsfreudigkeit. Dadurch kann erforderliche dauerhafte Tätigkeit nicht ersetzt, aber ergänzt werden.
Organisationen, Verbände und Vereine müssen sich dieser Entwicklung stellen. Sie müssen das Verhältnis zu den hauptamtlichen Kräften überdenken und neue, den anspruchsvolleren Erwartungen der Ehrenamtlichen angepaßte Abgrenzungen und Definitionen der Arbeitsbereiche und der Kompetenzen vornehmen.
Beide Arten ehrenamtlicher Tätigkeiten - in traditionellen Organisationen und in neueren Formen - zeugen von großem bürgerlichen Engagement. Beide Arten verdienen gleichwertige Unterstützung.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf

· zu prüfen, inwieweit durch eine breit angelegte öffentliche Kampagne, in die alle Gruppierungen unseres gesellschaftlichen Lebens einzubeziehen sind, Bürgerinnen und Bürger ermutigt werden können, ihre Zurückhaltung gegenüber ehrenamtlicher Tätigkeit aufzugeben und ihre fachlichen Kenntnisse und persönlichen Erfahrungen in gemeinschaftliche Verantwortung für eine solidarische Gesellschaft einzubringen
· zu prüfen, inwieweit Menschen, insbesondere auch Jugendliche, für ehrenamtliche Tätigkeiten gewonnen werden können. In einigen europäischen Ländern sind Freiwilligenagenturen und Bürgerbüros fester Bestandteil bei der Vermittlung von ehrenamtlichen Aufgaben. Da es in Deutschland bisher nur wenig Erfahrungen damit gibt, ist zu prüfen, inwieweit durch deren Förderung mehr Bürgerinnen und Bürger zu ehrenamtlichem Engagement ermutigt werden können; dies gilt auch für Seniorenbüros
· bei gesetzlichen Regelungen die ideellen oder materiellen Auswirkungen auf Bedingungen ehrenamtlicher Tätigkeiten zu berücksichtigen. Ziel muß es sein, bürokratische Hemmnisse abzubauen, Handlungsrahmen und Gestaltungsmöglichkeiten für ehrenamtlich Tätige zu verbessern, zu erweitern und damit zu verhindern, daß immer mehr ursprünglich ehrenamtliche Betätigungsfelder durch die Arbeit hauptamtlicher Kräfte ersetzt werden. Der seit Jahrzehnten zu beobachtende Trend zu mehr Professionalisierung und Bürokratisierung ist zu stoppen und sinnvoll umzukehren
· die Verdienste der ehrenamtlich Tätigen verstärkt im Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit zu verankern. Bürgerinnen und Bürger sowie gesellschaftlich tätige Gruppen, die sich durch langjährige selbstlose ehrenamtliche Arbeit hervorgetan haben, sind für ihre Arbeit auszuzeichnen und zu würdigen. Der von den Vereinten Nationen proklamierte "Volunteers day" am 5. Dezember sollte für den nationalen Bereich als "Tag des Ehrenamtes" eingeführt werden.

IV Der Deutsche Bundestag appelliert

· an die Medien, in einem besonderen Maße dazu beizutragen, Wert und Bedeutung ehrenamtlichen Engagements für die Gemeinschaft hervorzuheben und somit einen Beitrag zur positiven Bewußtseinsbildung zu leisten. Es ist unverständlich, warum ehrenamtliche Tätigkeit von nahezu 12 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in den Medien fast verschwiegen wird. Den Medien kommt bei der Vermittlung von Werten eine große Verantwortung zu
· an die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, im gegenseitigen Einvernehmen Lösungen anzustreben, ehrenamtliches Engagement auch innerbetrieblich stärker anzuerkennen. Aufgrund der Arbeitsplatz- und Arbeitsmarktsituation hat das Verständnis für ehrenamtlich tätige Arbeitnehmer nachgelassen. Ehrenamtliche Tätigkeit wird häufig verschwiegen, weil innerbetriebliche Nachteile bei der Einstellung und Beförderung befürchtet werden ; von Möglichkeiten der Freistellung zu Weiterqualifizierungsmaßnahmen wird häufig Abstand genommen. Die Arbeitgeber sollten sich aber bewußt werden, daß im Ehrenamt erworbene Qualifikationen sich in der Regel positiv auf die berufliche Einstellung und Tätigkeit auswirken und von Mitarbeitern als vorbildhaft empfunden werden. Verständnis und Rücksichtnahme zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind erforderlich, um einerseits den betrieblichen Belangen und Erfordernissen Rechnung zu tragen, andererseits aber den Arbeitnehmern die Möglichkeit zu eröffnen, durch ehrenamtliche Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe leisten zu können. Eine vernünftige Kooperation der Beteiligten dient der Sache mehr als gesetzliche Regelungen
· an Länder und Kommunen, gemeinschaftliches Engagement als einen wesentlichen Bestandteil des erzieherischen Auftrages von Schule und Ausbildung zu werten und diesen Auftrag Schüler und Jugendliche als wichtige Grundlage des Zusammenlebens in einer Gemeinschaft begreifen zu lassen. Es ist deshalb von großer Bedeutung, Schüler und Jugendliche frühzeitig an eigenverantwortliches Handeln für den Nächsten heranzuführen und durch entsprechende Lerninhalte abzusichern. Dies scheint umso dringlicher, da früher hier wirksame traditionelle Bindungen weitgehend ihren Einfluß und ihre Prägekraft verloren haben. Kooperationsmodelle zwischen Schulen und Gruppen aus den sozialkaritativen, kulturellen, sportlichen und sonstigen Bereichen sind zu fördern und können praxisorientierte Einblicke in die Werte einer der Solidarität verpflichteten Gesellschaft geben
· an die Länder, bei der Vergabe von Studienplätzen zu berücksichtigen, daß Studentinnen und Studenten ihre ehrenamtliche Tätigkeit fortsetzen können. Es wird ausdrücklich begrüßt, daß Wehr- und Zivildienstleistende ihren Einsatzort bereits so wählen können, daß die Fortführung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit gewährleistet wird
· daß die für unsere Gesellschaft geleistete ehrenamtliche Tätigkeit als persönliche Qualifikation und Leistung durch ein Zertifikat hervorzuheben und zu bestätigen ist
· an Organisationen, Verbände, Vereine, Parteien, Gruppen und Initiativen sowie an jeden einzelnen, an einer Bewußtseinsänderung mitzuarbeiten und eine neue Kultur der Ehrenamtlichkeit entwickeln zu helfen.

(1) Bemerkenswert ist, daß nach dieser Studie der Anteil der unter 25jährigen, die sich freiwillig engagieren, mit 23% überdurchschnittlich hoch ist, während der Anteil der über 65jährigen mit 13% in dieser Untersuchung im Gegensatz zu anderen wesentlich niedriger liegt. Im internationalen Vergleich der EuroVol-Studie ist der Anteil freiwillig Engagierter in Deutschland zwar relativ niedrig, doch engagieren sich diejenigen, die aktiv sind, durchschnittlich intensiver als die Vergleichspersonen in den anderen Ländern. Die Ergebnisse der EuroVol-Studie sind nicht unumstritten. In manchen Bereichen, insbesondere im Hinblick auf Senioren, widersprechen sie Ergebnissen gezielter Einzeluntersuchungen, die jeweils als weitgehend gesichert angesehen werden können. zurück

(2) In dieser Untersuchung hat der Deutsche Kulturrat e.V. 211 auf Bundesebene tätige Mitgliedsverbände und -organisationen sowie andere ausgewählte Verbände des Kulturbereichs aus den Sparten Darstellende Künste, Literatur, Film/Audiovision, Musik, Bildende Künste, Design, Soziokultur befragt. Der Rücklauf der Antworten beträgt 60%. Um auch die Landes- und Kommunalebene zu berücksichtigen, hat der Deutsche Kulturrat e.V. entsprechende Befragungen der Landes- und Regionalverbände des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) in die Auswertung mit einbezogen. Einen genauen Überblick über die Anzahl der kommunal verankerten Zusammenschlüsse, die ehrenamtlich im weitesten Sinne für das Kulturleben tätig sind, gibt es nicht und kann es auch kaum geben, da diese einem ständigen Wandel unterliegen. zurück

(3) Die Untersuchung des Deutschen Kulturrates e.V. hat gezeigt, daß sich die früher vermehrt anzutreffende lebenslange Verbundenheit zu einem Verein, Verband oder einer spezifischen kulturellen Ausdrucksform zu einem Engagement gewandelt hat, das den individuellen unterschiedlichen Lebenszusammenhängen eher entspricht. So ist beispielsweise in der kirchlichen evangelischen Büchereiarbeit eine Verjüngung der ehrenamtlichen Mitarbeiter - und vor allem der Mitarbeiterinnen - zu beobachten, hier sind im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten derzeit vielfach Frauen anzutreffen, die sich in der sogenannten Familienphase befinden, sich aber nicht ganz auf den häuslichen Bereich zurückziehen wollen, sondern sich bis zur Rückkehr in den Beruf ehrenamtlich engagieren. Ihr Engagement verändert sich mit der Rückkehr in die Berufstätigkeit. zurück


erschienen in: Musikforum H. 85/1996