BEDEUTUNG EHRENAMTLICHER
TÄTIGKEIT FÜR UNSERE GESELLSCHAFT
ANTWORT DER BUNDESREGIERUNG AUF DIE GROSSE ANFRAGE DER FRAKTIONEN DER CDU/CSU
UND DER F.D.P. UND DER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG DER REGIERUNGSFRAKTIONEN
Die von den Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachte Große
Anfrage (Drucksache 13/2652) wurde am 1. Oktober 1996 von der Bundesregierung
(Drucksache 13/5674) beantwortet. Am 5. Dezember 1996 fand die Bundestagsdebatte
über die Große Anfrage statt. Der Entschließungsantrag (Drucksache
13/6386) der Regierungsfraktionen wurde angenommen. Im folgenden werden die
Große Anfrage und die Antwort der Bundesregierung - teilweise gekürzt
- sowie der Entschließungsantrag wiedergegeben.
Unser freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen lebt davon, daß Bürgerinnen
und Bürger an seiner Gestaltung mitwirken und einen Teil ihrer Lebenszeit
für das Gemeinwohl einsetzen. Unser
Gemeinwesen wäre nicht denkbar, wären nicht Millionen von Menschen
aus freiem Entschluß bereit, sich in Wohlfahrtsverbänden, Kirchengemeinden,
Vereinen, Parteien, Verbänden, Organisationen, Bürgerinitiativen und
Selbsthilfegruppen für eine am Gemeinwohl orientierte Aufgabe zu engagieren.
Von der Vielzahl und Vielfalt freiwilliger Tätigkeiten hängt die Qualität
des Lebens in unserem Lande entscheidend ab.
Dies herauszustellen ist wichtig auch im Hinblick auf die Erfahrung, welche
die Menschen in den neuen Ländern im Laufe von vier Jahrzehnten gemacht
haben. Zentral organisierte, allseitige Versorgung und staatlich verordnete
gesellschaftliche Arbeit haben die Selbstbestimmung, Selbstverantwortung der
Bürger und die Fähigkeit zur Selbsthilfe eingeschränkt und dadurch
das Gemeinwesen geschwächt. Dennoch wurde unter erschwerten Bedingungen
Erhebliches an ehrenamtlicher Tätigkeit geleistet, wodurch sich die Menschen
Freiraum selbständiger und selbstbestimmter Lebensführungen geschaffen
und gesichert haben. Dies war eine der Voraussetzungen für den Neuaufbau
wirklich freier ehrenamtlicher Tätigkeit.
In Verbänden, Vereinen und Organisationen der alten Länder ist in
den vergangenen Jahren ein Nachlassen ehrenamtlicher Tätigkeit zu erkennen.
Der immer stärker werdende Drang zur Individualisierung der Lebensformen,
einhergehend mit einer immer vielfältiger gegliederten Gesellschaft, deren
Aufgaben professionalisiert und hauptberuflich von dafür ausgebildeten
Fachleuten wahrgenommen werden, hat die Bereitschaft, über das eigene berufliche
und familiäre Interesse hinausgehend freiwillige Aufgaben wahrzunehmen,
zurückgedrängt.
Doch gibt es außerhalb der klassischen ehrenamtlichen Strukturen eine
noch nicht ausgeschöpfte Bereitschaft an demokratischem Engagement, sozialer
Sensibilität und Bereitschaft zur bürgerlichen Mitwirkung.
Die Gesellschaft muß diesen Wandel ehrenamtlichen Engagements erkennen
und nutzen. Sie muß die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger
zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten mehr anerkennen, würdigen
und unterstützen und somit die Selbstverantwortung wieder stärker
in das Gemeinwohl einbinden. Denn Selbstverantwortung und Mithilfe entspricht
unserem freiheitlichen Verständnis vom Staat.
Unsere Gesellschaft lebt von der ehrenamtlichen Tätigkeit.
Vorbemerkung
Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement der Bürgerinnen und Bürger
ist nicht nur Ausdruck gelebter Solidarität und praktizierter Subsidiarität,
sondern auch der Freiheitlichkeit unseres Gemeinwesens. Die Verantwortungs-
und Leistungsbereitschaft, die in ehrenamtlicher Arbeit zum Ausdruck kommt,
hebt Ehrenamtliche in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft heraus und macht
sie zu Vorbildern. Ehrenamtlich Tätige nehmen ihre Verantwortung für
die Sicherung und Erhaltung der Freiräume wahr. Sie verdeutlichen in ihrer
Arbeit den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung, was dem Selbstverständnis
unseres Gemeinwesens entspricht.
Gerade in der Freiheitlichkeit unseres Gemeinwesens liegt es begründet,
daß freiwillige und ehrenamtliche Arbeit häufig unbeobachtet stattfindet,
auch ohne direkte Kenntnisnahme durch staatliche Stellen. Ein freiheitlicher
Staat nimmt für sich nicht in Anspruch, vollständig über Art
und Ausmaß, Qualität und Quantität freiwilliger Leistungen seiner
Bürgerinnen und Bürger informiert zu sein.
Dennoch ist es für zahlreiche gesellschaftspolitische Entscheidungen und
für die weitere Entwicklung unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaates
wichtig, daß staatliche Stellen einen hinreichenden Überblick über
Entwicklungen und Tendenzen im Bereich bürgerschaftlichen Engagements haben.
Diesen verschafft sich die Bundesregierung vor allem durch ein dichtes Netz
von Kontakten mit Organisationen und Verbänden aus allen Bereichen der
Gesellschaft, die auch auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sind.
Aufgrund der Vielfalt sowie der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Ausprägungen
stellt die empirische Erfassung ehrenamtlichen Engagements eine große
Herausforderung an die Forschung dar. Grundsätzlich wird unter ehrenamtlicher
Tätigkeit jede freiwillig erbrachte, nicht auf Entgelt ausgerichtete außerberufliche
Tätigkeit verstanden, die am Gemeinwohl orientiert ist, auch wenn sie für
einen einzelnen erbracht wird. Kostenerstattungen oder Aufwandsentschädigungen
stehen der Ehrenamtlichkeit grundsätzlich nicht entgegen. Es entstehen
jedoch Abgrenzungsprobleme, z. B. wenn die finanzielle Anerkennung ehrenamtlicher
Arbeit ein Ausmaß erreicht, bei dem nicht mehr von Unentgeltlichkeit gesprochen
werden kann, sondern von nebenberuflicher Erzielung von Einkünften. Insbesondere
die Unentgeltlichkeit macht den Wert des Ehrenamtes aus. Die fließenden
Übergänge zwischen unbezahlter ehrenamtlicher und bezahlter Arbeit,
d. h. zwischen Ehrenamt und nebenberuflicher bzw. hauptamtlicher Tätigkeit,
aber auch die fließenden Grenzen zwischen Selbsthilfe und Ehrenamt führen
bei der Beantwortung einzelner Fragen zu Unschärfen.
Die Recherchen im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage ergaben,
daß systematische, alle Bereiche der ehrenamtlichen Tätigkeit und
das ganze soziale Spektrum der ehrenamtlich Tätigen abdeckende Untersuchungen
derzeit nicht vorliegen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend plant daher, im Rahmen seiner Haushaltsmittel eine entsprechende
Untersuchung in Auftrag zu geben, in deren Rahmen in Form einer repräsentativen
Umfrage Daten zur Struktur des Ehrenamtes, den Bereichen ehrenamtlicher Tätigkeit
und zum Umfang ehrenamtlicher Arbeit erhoben werden sollen.
I. Bedeutung ehrenamtlicher
Tätigkeit für unser Gemeinwesen
2. Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung der ehrenamtlichen Tätigkeit
für die Funktionsfähigkeit und das Selbstverständnis unseres
Gemeinwesens bei?
Ehrenamtliche Tätigkeit im allgemeinen
Die Bundesregierung teilt die in der Vorbemerkung von den Fragestellern zum
Ausdruck gebrachte Einschätzung der Bedeutung ehrenamtlicher Tätigkeit
für unser Gemeinwesen.
Ehrenamtliche Arbeit in allen ihren Facetten und Tätigkeitsfeldern ist
Ausdruck von Verantwortungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger,
von Solidarität für die Gemeinschaft. Ehrenamtliches Engagement ist
auch Ausdruck von Subsidiarität, nach der der Staat auf die Übernahme
von Aufgaben verzichtet, die von einzelnen, von kleineren Gemeinschaften oder
von freien Trägern erfüllt werden können. Es ist Pflicht des
Staates, diese subsidiäre Aufgabenwahrnehmung sich entfalten zu lassen.
Funktionsfähigkeit und Selbstverständnis unseres Gemeinwesens sind
auf diese Art gelebter Solidarität und Subsidiarität angewiesen.
Ein wichtiger Leitgedanke des Sozialstaates Bundesrepublik Deutschland ist die
Erkenntnis, daß gemeinnützige Träger soziale Aufgaben oftmals
besser und bürgernäher bewältigen können als der Staat.
Angesichts neuer Herausforderungen ist unsere Gesellschaft in Zukunft mehr denn
je auf die freiwillige und ehrenamtliche Mitarbeit von Männern und Frauen,
von Bürgerinnen und Bürgern aller Generationen angewiesen.
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, wie sie in der Kernaussage der "Berliner
Resolution zum Ehrenamt", die anläßlich der Anhörung des
Deutschen Sportbundes zum Ehrenamt am 6. November 1995 von den Verbänden
der Freien Wohlfahrtspflege, von den demokratischen im Deutschen Bundestag vertretenen
Parteien, von den Kirchen, vom Deutschen Frauenrat sowie von zahlreichen bedeutsamen
Trägern und Organisationen aus dem Bereich des Katastrophenschutzes, des
Umweltschutzes, der Entwicklungshilfe und anderer Bereiche verabschiedet wurde,
zum Ausdruck kommt: "Die Qualität einer Demokratie hängt entscheidend
davon ab, ob eine große Zahl von Menschen bereit ist, durch freiwilliges
und unbezahltes Engagement an ihrer Gestaltung mitzuwirken." In den neuen
Bundesländern trägt freiwilliges und ehrenamtliches Engagement zum
Auf- und Ausbau von demokratischen Strukturen und einer sozialen Infrastruktur
sowie zur Entwicklung einer Gesellschaft engagierter Bürgerinnen und Bürger
bei.
Im Einigungsvertrag von 1990 heißt es in Artikel 32: "Die Verbände
der Freien Wohlfahrtspflege und die Träger der Freien Jugendhilfe leisten
mit ihren Einrichtungen und Diensten einen unverzichtbaren Beitrag zur Sozialstaatlichkeit
des Grundgesetzes." Und in der Denkschrift zum Vertrag ist zu Artikel 32
ausgeführt: "Die Tätigkeit freier gesellschaftlicher Kräfte,
insbesondere der Träger der Freien Wohlfahrtspflege und der Träger
der Freien Jugendhilfe, ist ein Wesensmerkmal des demokratischen und sozialen
Rechtsstaats im Sinne der Ordnung des Grundgesetzes. Sie entspricht den tragenden
Prinzipien der Pluralität und Subsidiarität." (Drucksache 11/7760,
S.372)
Ehrenamtliche Arbeit in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft
Ehrenamtliche Arbeit prägt
jeden einzelnen Bereich der Gesellschaft, in dem sie geleistet wird, und hat
dementsprechend in jedem dieser Tätigkeitsfelder ihren eigenen Charakter
und ihre spezifische Bedeutung.
Es war das soziale Ehrenamt, das die Entwicklung des Wohlfahrtswesens und der
öffentlichen Sozialarbeit in Deutschland bis in die 30er Jahre prägte,
bevor nach dem Zweiten Weltkrieg die Professionalisierung im sozialen Bereich
einsetzte. Es ist auch heute noch so, daß Ehrenamtliche soziale Netze
schaffen, die den Erfolg professioneller Sozialarbeit sichern helfen. Das soziale
Ehrenamt ist eine Stütze des Sozialstaates. Die beste staatliche Sozialordnung
kann nicht auf praktizierte Nächstenliebe verzichten. Sozialer Arbeit,
die weder aufgrund einer Pflicht noch wegen einer Bezahlung, sondern nur der
Sache wegen ausgeübt wird, kommt hier eine besondere Bedeutung zu.
Ehrenamtliche Tätigkeit trägt grundlegend zur Verbesserung der Situation
im Pflegebereich und bei der Betreuung und Unterstützung behinderter Menschen
bei und prägt den Bereich der Selbsthilfe Behinderter. Auch wäre ohne
Unterstützung durch Ehrenamtliche die Verwirklichung der Hospizziele nicht
zu erreichen. Ehrenamtliche Tätigkeit in den Hospizdiensten leistet einen
Beitrag, das verschüttete Selbstverständnis unseres Gemeinwesens hinsichtlich
der letzten Lebensphase wieder neu zu beleben.
Freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeit beschränkt sich nicht auf
soziale Aufgaben, sondern umfaßt nahezu alle Bereiche der Gesellschaft
und auch des Staates: Politik, Kultur, Justiz, Freizeit, Jugendarbeit, Sport,
Kirchen und Religionsgemeinschaften, Gesundheit und Sozialwesen, Katastrophenschutz
und Rettungswesen, Freiwillige Feuerwehren, Arbeitsschutz, Tarifparteien in
der Wirtschaft, Wissenschaft, Umwelt- und Naturschutz etc. Von vielen Trägern
ehrenamtlicher Arbeit wird betont, daß das Ehrenamt, sei es in Leitungsfunktionen
oder als Tätigkeit "an der Basis", eine Qualität habe, die
durch professionelle Arbeit nicht erreicht werden könne, und daß
ohne Ehrenamt das Verbandswesen nicht denkbar sei. Hinzu kommt das Engagement
im "Neuen Ehrenamt", das nicht im Kontext von traditionellen Vereinen
und Verbänden stattfindet, sondern in neugegründeten Organisationen
und Initiativen das Element der Selbsthilfe mit Elementen des klassischen Ehrenamtes
verbindet.
Durch freiwillige Arbeit in Vereinen, Organisationen und Initiativen erfahren,
erlernen und praktizieren Menschen Gemeinschaftsempfinden, Fairneß, Toleranz,
Einsatzfreude, Selbstdisziplin, Durchhaltevermögen - Werte und Tugenden,
die für den Zusammenhalt der Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind.
Junge Menschen lernen durch ehrenamtliche Arbeit, z. B. in der Jugendhilfe oder
im Sport, frühzeitig die Bedeutung eigenen Engagements für andere,
für die Gesellschaft und für sich zu erkennen. Freiwillige und ehrenamtliche
Tätigkeit ist daher ein wichtiges Angebot für junge Menschen, ihre
Kompetenz und Einsatzbereitschaft zu zeigen und Anerkennung in der Gemeinschaft
zu finden.
Den größten Teil der ehrenamtlichen Arbeit "vor Ort" leisten
Frauen, vor allem im sozialkaritativen Bereich. In Parteien und vielen Verbänden
sind sie jedoch unterrepräsentiert, an der Spitze dieser Organisationen
kaum vertreten. Die zunehmende Partizipation von Frauen in Verbänden und
Parteien ist ein Schritt hin zu mehr tatsächlicher Gleichberechtigung von
Frauen und Männern.
Ehrenamtliches Engagement leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration vieler
Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen in das Gemeinwesen:
o Die Interessenvertretung Behinderter, ihre aktive Teilhabe an gesellschaftlichen
Entwicklungsprozessen, die Entfaltung ihrer Persönlichkeit als Voraussetzung
und Ergebnis eines selbstbestimmten Lebens wie auch die vielfältigen Formen
der Hilfe und Betreuung durch Nichtbehinderte wären ohne ehrenamtliche
Tätigkeit undenkbar. Der Selbsthilfegedanke findet gerade in dieser Form
uneigennütziger, gegenseitiger Solidarität einen beredten Ausdruck.
o Die von älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern in den unterschiedlichsten
Organisationen und Organisationsformen geleistete ehrenamtliche Arbeit verdeutlicht,
in welch hohem Maß Seniorinnen und Senioren nicht nur in der Lage, sondern
auch bereit sind, aktiv ihr Leben selbst zu gestalten, ihre Erfahrungen einzubringen,
ihre Interessen zu vertreten und sich für andere und für die Gemeinschaft
einzusetzen. Viele ehrenamtlich getragene Initiativen leisten auch einen Beitrag
zum Dialog zwischen den Generationen.
o In der Ausländerarbeit werden zusätzlich zu den Maßnahmen
des Bundes, der Länder und auf kommunaler Ebene umfangreiche ehrenamtliche
Tätigkeiten ausgeübt, z. B. in kommunalen Ausländerbeiräten,
Initiativen von Ausländern und Deutschen in der Nachbarschaftshilfe, in
der Betreuung von Flüchtlingen (z.B. Flüchtlingsräte), im sozialen
und kulturellen Bereich und in der Bildungsarbeit. Diese ehrenamtlichen Aktivitäten
von Ausländern und Deutschen, die zu einem großen Teil in die Arbeit
von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und zahlreichen anderen Trägern eingebettet
sind, aber auch oft ohne institutionelle Unterstützung durchgeführt
werden, fördern die Integration der in Deutschland lebenden Ausländerinnen
und Ausländer. Als Zeichen zunehmender Integration bewertet die Bundesregierung
auch die Beobachtung, daß Ausländer immer häufiger in Bereichen
ehrenamtlich tätig sind, die keinen Bezug zur Ausländerarbeit haben.
o In der Vertriebenen- und Aussiedlerarbeit engagieren sich Angehörige
dieser Gruppen oder deren Nachkommen, u. a. im Bund der Vertriebenen und den
Landsmannschaften, aber auch andere ehrenamtliche Mitarbeiter insbesondere in
Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Schulen oder als Einzelpersonen. Zusätzlich
zu den erheblichen Leistungen von Bund, Ländern und Gemeinden trägt
auch dieses breite ehrenamtliche Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger
wesentlich zur ganz überwiegend gelungenen Integration von Aussiedlern
und Spätaussiedlern, zur Bewältigung der Folgen der Vertreibung und
zur Versöhnung mit den östlichen Nachbarn bei.
Ehrenamtliche Arbeit bedeutet Teilhabe, Mitgestaltung und -wirkung, Bürgernähe
und Einflußnahme in allen Bereichen der Gesellschaft.
o Die beste staatliche Umwelt- und Naturschutzpolitik kann wenig bewirken, wenn
sie nicht von Bürgerinnen und Bürgern unterstützt und mitgetragen
wird. Ehrenamtlich im Umwelt- und Naturschutz Tätige sind unverzichtbare
Partner. Sie vermitteln und aktivieren die Sachkunde, das Verantwortungsbewußtsein
und die Mitarbeit anderer Menschen. Darüber hinaus tragen sie mit dazu
bei, durch Informations- und Beratungsarbeit das Umweltbewußtsein in Gesellschaft
und Politik zu schärfen.
o Ohne das breite ehrenamtliche Engagement wäre auch das vielfältige
kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur ärmer, sondern
z. T. auch kaum realisierbar. Erinnert sei nur an die zahlreichen Vereinigungen
und Gesellschaften der unterschiedlichsten Sparten des kulturellen Lebens. Der
Sport in den Vereinen und Verbänden wäre ohne die freiwillige, unentgeltliche
Tätigkeit nicht finanzierbar.
o Ehrenamtliche Tätigkeit in Parteien sowie bei der Ausübung kommunaler
Mandate und Ämter sorgt für mehr Bürgernähe von Staat und
Politik und gibt dem einzelnen Bürger die Möglichkeit zur Einflußnahme.
o Auch in der Justiz hat ehrenamtliche Arbeit einen hohen Stellenwert. Insbesondere
in der Strafrechtspflege und in der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit bringen
die in zahlreichen Verfahrensordnungen vorgesehenen ehrenamtlichen Richter und
Schöffen das Rechtsbewußtsein und die Wertvorstellungen der Bevölkerung
und ihren Sachverstand in die Beratungen des Gerichts ein und sind Ausdruck
dafür, daß Urteile "Im Namen des Volkes" ergehen.
o Die Mitarbeit ehrenamtlicher Helfer im Strafvollzug und in der Straffälligenhilfe
und ihre Brückenfunktion zwischen straffälligen Menschen und der Gesellschaft
sind Ausdruck davon, daß es sich hierbei nicht nur um eine Angelegenheit
staatlicher Organe, sondern um eine Aufgabe und Verpflichtung der Gesellschaft
insgesamt handelt.
o Die Vormundschaft über Minderjährige und die Betreuung Volljähriger,
die ihre Angelegenheiten nicht oder nicht in vollem Umfang selbst zu besorgen
vermögen, bilden wichtige Aufgaben im Bereich der vorsorgenden Rechtspflege,
die nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches im Grundsatz ehrenamtlich
wahrgenommen werden.
Auch im Berufsleben hat ehrenamtliche Arbeit - eng mit der beruflichen Tätigkeit verknüpft - einen hohen Stellenwert. Dies betrifft z. B. in den Bereichen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz Betriebs- und Personalratsmitglieder, Tarifausschußmitglieder, Beisitzer in Heimarbeits- oder Entgeltausschüssen sowie Mitglieder in zahlreichen Ausschüssen und Beiräten im Bereich des Arbeitsschutzes. So würden z.B. ohne das Engagement der Betriebs- und der Personalratsmitglieder das Betriebsverfassungsgesetz und das Personalvertretungsgesetz leerlaufen; in den Betrieben und Dienststellen fände keine Mitbestimmung statt. Ehrenamtliche in Ausschüssen und Beiräten im Bereich des Arbeitsschutzes leisten ihrerseits einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsschäden sowie zur humanen Gestaltung der Arbeitsbedingungen.
II. Statistische Angaben
zu ehrenamtlichen Tätigkeiten
2. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Zahl der in der Bundesrepublik
Deutschland ehrenamtlich Tätigen ein, wie hoch die Zahl der ehrenamtlichen
Tätigkeiten, und wie schlüsseln sich diese ehrenamtlichen Tätigkeiten
auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche auf (z.B. Soziales, Sport,
Kultur etc.)?
Die ehrenamtliche Tätigkeit wird trotz ihrer Bedeutung für unsere
Gesellschaft bisher nicht systematisch und flächendeckend erfaßt.
In den letzten Jahren wurden zwar Einzelstudien zu bestimmten Feldern ehrenamtlicher
Tätigkeit durchgeführt, umfassende Angaben liegen derzeit jedoch nicht
vor. Wie bereits in der Vorbemerkung angemerkt, plant das Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend deshalb, im Rahmen seiner Haushaltsmittel
eine entsprechende Studie in Kürze in Auftrag zu geben.
Um schon jetzt einen gewissen Überblick über den Umfang ehrenamtlicher
Tätigkeiten in Deutschland zu erhalten, wurden seitens der Bundesregierung
rund 200 Verbände, meist Dach-oder Spitzenverbände, aus allen gesellschaftlichen
Bereichen befragt. Die Antworten hierauf waren sehr umfangreich und unterschiedlich
detailliert; zum Teil fehlen Zahlenangaben oder Daten aus neuerer Zeit vollständig.
Dennoch wurde versucht, die Zusendungen möglichst umfassend für die
Beantwortung auszuwerten. Im Anhang ist eine Liste von Verbänden und Organisationen
aufgeführt, die der Bundesregierung Angaben zur Verfügung gestellt
haben.
Erste wichtige Anhaltspunkte über den Umfang ehrenamtlicher Tätigkeit
in Deutschland lassen sich einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes
über die Zeitverwendung der Bevölkerung in Deutschland (Zeitbudget-Studie)
entnehmen, die 1991/92 im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für
Familie und Senioren erstellt wurde. In 7 200 Haushalten wurde die Zeitverwendung
aller Haushaltsmitglieder ab zwölf Jahren anhand von Tagebuchaufzeichnungen
und eines Haushaltsinterviews erhoben. Diese Studie war allerdings nicht spezifisch
auf die Erhebung ehrenamtlicher Tätigkeiten zugeschnitten.
o Den Befragten lag keine
eindeutige Definition des Begriffs Ehrenamt vor. Auskünfte dazu beruhten
auf der eigenen Einschätzung dessen, was als ehrenamtlich zu bezeichnen
sei.
o Bei der Auswertung wurde zwischen Ehrenamt (Wahrnehmung von Aufgaben innerhalb
von Institutionen, Verbänden, Vereinen, die über die einfache Mitgliedschaft
hinausgehen, z.B. im Vereinsvorstand, als Schöffen oder Schiedsleute, im
Elternbeirat, in der Freiwilligen Feuerwehr) und sozialer Hilfe (Betreuung und
Pflege von Personen im Rahmen z.B. von Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen)
unterschieden.
Damit sind viele Tätigkeiten nicht unter dem Begriff Ehrenamt erfaßt
worden, die im Verständnis der Bevölkerung ehrenamtliche Tätigkeit
ausmachen und vor allem von Frauen erbracht werden. Es muß weiter davon
ausgegangen werden, daß insbesondere kurzfristige, projektbezogene ehrenamtliche
Arbeit durch die Studie nur unzureichend erfaßt ist. Außerdem hat
sich die Studie nicht mit dem Aspekt der Unentgeltlichkeit befaßt, so
daß ihr Angaben zum finanziellen Aufwand der Befragten für ihre ehrenamtliche
Tätigkeit nicht zu entnehmen sind.
Generell sind die Gesamtzahl ehrenamtlich und freiwillig Tätiger sowie
die Bereitschaft, ein Amt zu übernehmen, in den letzten Jahrzehnten enorm
gestiegen. Anfang der 60er Jahre rechnete man - nach Angaben der Deutschen Gesellschaft
für Freizeit e.V. - mit einem Anteil von 5% Ehrenamtlicher an der Gesamtbevölkerung
in Westdeutschland, d. h. 2,5 Millionen. Seither hat sich die Zahl ehrenamtlich
Tätiger fast verfünffacht.
Nach den Ergebnissen der Zeitbudget-Studie übten in Deutschland 1991/92
rund 12 Millionen Personen ab zwölf Jahren (d. h. 17%) ein Ehrenamt (ohne
soziale Hilfe) aus. Mit knapp 20% lag der Beteiligungsgrad im früheren
Bundesgebiet (knapp 11 Millionen Personen) mehr als doppelt so hoch wie in den
neuen Bundesländern mit 9% (gut eine Million Personen). Durch das Ausklammern
der "sozialen Hilfe" (z. B. Pflege und Betreuung von Personen), die
weitgehend von Frauen wahrgenommen wird, wurde allerdings der Anteil ehrenamtlich
tätiger Frauen mit 15% gegenüber einem Anteil von 20% bei den Männern
untererfaßt.
Der Grund für den geringeren Beteiligungsgrad in den neuen Bundesländern
liegt in der unterschiedlichen Tradition ehrenamtlicher Arbeit. Sie fand - allerdings
in anderem Bezugsrahmen - als "freiwillig erzwungene", "gesellschaftliche
Tätigkeit" statt. Mit Hilfe von Sonderprogrammen wurden auch von der
Bundesregierung vielfältige umfangreiche Start- und Aufbauhilfen zur erfolgreichen
Schaffung einer pluralistischen, insbesondere auch von ehrenamtlicher Arbeit
getragenen Verbandsinfrastruktur gegeben.
Die Daten der Zeitbudget-Studie zum Umfang ehrenamtlicher Tätigkeit wurden
in den neuen Ländern in der Zeit des politischen und gesellschaftlichen
Umbruchs erhoben und sind sicherlich so nicht mehr aktuell. Vielmehr äußern
Verbände und Organisationen häufig, daß in den alten Ländern
zwar ein Rückgang, in den neuen Ländern jedoch eine Zunahme ehrenamtlichen
Engagements zu beobachten sei.
Im übrigen entsprechen die genannten Ergebnisse der Zeitbudget-Studie in
der Tendenz weitgehend Ergebnissen anderer Untersuchungen, die in den letzten
Jahren durchgeführt worden sind, sowie Erkenntnissen aus der Verbändeumfrage.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß sowohl bei den einzelnen Trägern
ehrenamtlicher Tätigkeit als auch in den verschiedenen wissenschaftlichen
Arbeiten unterschiedliche Definitionen des Ehrenamtes und des freiwilligen Engagements
zugrunde gelegt werden, was Vergleiche und Gegenüberstellungen zum Teil
schwierig macht. Auch ist bei den Angaben nicht immer zu erkennen, ob die Zahl
der ehrenamtlich Tätigen oder die Zahl der Ehrenämter - mit Mehrfachnennungen
von Personen als Folge - zugrunde gelegt wurden. Ehrenamtliche sind häufig
in mehreren Funktionen auch in unterschiedlichen Bereichen gleichzeitig tätig.
Auch ist die Zuordnung einzelner Träger nicht immer eindeutig möglich
; so gibt es z. B. in der Jugendarbeit Träger und Tätigkeitsfelder,
die gleichzeitig dem kirchlichen Bereich zuzuordnen sind.
Die vom Volunteer Centre UK in London koordinierte und in Deutschland von der
Robert Bosch Stiftung mitfinanzierte europaweite Studie zur freiwilligen Arbeit
(EuroVol-Studie), die 1996 in deutscher Sprache veröffentlicht wird, geht
- nach einer Vorabinformation der Robert Bosch Stiftung - für 1994 von
einem Anteil von 18% der erwachsenen Bundesbürger aus, die sich in irgendeiner
Form (sozial, politisch, sportlich, ökologisch etc.) freiwillig für
andere engagieren(1).
Auf der Datenbasis des Sozioökonomischen Panels 1994 engagierten sich nach
Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin
gut 14% der Gesamtbevölkerung in Westdeutschland mindestens einmal im Monat
ehrenamtlich.
Alle bekannten Studien stimmen darin überein, daß in Deutschland
die Bereiche Gesundheit und Soziales an der Spitze der Tätigkeitsfelder
ehrenamtlicher Tätigkeit stehen, gefolgt von Sport und Freizeit.
Wegen der bereits angemerkten Untererfassung freiwilliger und ehrenamtlicher
Arbeit im Rahmen der Zeitbudget-Studie ist insbesondere im Hinblick auf die
von Frauen geleistete Arbeit ein erheblich höherer Anteil anzunehmen. Die
1993 vom damaligen Bundesministerium für Familie und Senioren in Auftrag
gegebene Untersuchung "Ältere Menschen im sozialen Ehrenamt",
die die Bedingungen ehrenamtlichen Engagements exemplarisch an drei Standorten
untersucht hat, kam zu dem Ergebnis, daß 75% aller Ehrenamtlichen im sozialen
Bereich Frauen sind. Unter allen Ehrenamtlichen über 65 Jahre betrage der
Frauenanteil ebenfalls 75%.
Erkenntnisse über ehrenamtlich Tätige im Kulturbereich hat die Bundesregierung
aus der durch den Deutschen Kulturrat e.V. 1995 durchgeführten Untersuchung
"Stand und Perspektiven" ehrenamtlicher Arbeit im Kulturbereich"
erhalten(2).
Angaben zur Zahl aller ehrenamtlichen Tätigkeiten/Funktionen und wie sich
diese aufschlüsseln, können jedoch aus den vorliegenden Unterlagen
der amtlichen Statistik und aus den genannten Untersuchungen nicht ermittelt
werden.
Auch wenn kein vollständiges Gesamtbild gegeben werden kann, vermitteln
zahlreiche Angaben aus einzelnen zentralen gesellschaftlichen Bereichen eine
eindrucksvolle Anschauung der Vielfalt und Intensität des Engagements.
Allein in der Freien Wohlfahrtspflege mit ihren Spitzenverbänden Arbeiterwohlfahrt,
Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches
Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und Zentralwohlfahrtsstelle
der Juden in Deutschland, die sich die Hilfe für Menschen in Not zur Aufgabe
gemacht haben, sind schätzungsweise ca. 1,5 bis 1,7 Millionen ehrenamtliche
Helferinnen und Helfer tätig. Sie tragen dazu bei, die soziale Arbeit in
vielen Bereichen wesentlich zu verbreitern und zu vertiefen. Einsatzgebiete
von Ehrenamtlichen in den Wohlfahrtsverbänden sind u. a. Besuchsdienste,
Kranken- und Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, Familien- und Altenhilfe.
Mit ihren unterschiedlichen Lebens- und Berufserfahrungen unterstützen
Ehrenamtliche oftmals in besonderer Weise das vielfältige, unterschiedlichen
Bedürfnissen entsprechende Angebot der Freien Wohlfahrtspflege.
Im Kommunalbereich gibt es nach Angaben des Deutschen Städtetages vielfältige
Aufgaben, die von ehrenamtlich Tätigen wahrgenommen werden. Zu nennen sind
vor allem:
· ehrenamtliche Ratsmitglieder: Die Zahl der Gemeinderäte einschließlich der Stadträte in kreisfreien Städten betrug im Jahr 1994 207 700. In den Kreistagen waren im Jahre 1994 22200 Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich tätig ;
· sachkundige Bürger, Beiräte, wie z.B. Frauenbeiräte, Ausländerbeiräte oder Seniorenvertretungen: In der Bundesrepublik Deutschland existieren derzeit z.B. in über 700 Kommunen Seniorenbeiräte, -räte oder -vertretungen mit rund 8 500 ehrenamtlichen Mitgliedern sowie rund 500 ehrenamtliche Seniorenvertreter auf Ebenen der Länder und des Bundes ;
· ehrenamtliche Bürgermeister bzw. Beigeordnete: Die Anzahl ist der Bundesregierung nicht bekannt, u. a. auch deshalb, weil die Kommunalverfassungen zwar Höchstzahlen für derartige Ehrenämter festlegen, es im übrigen den Kommunen überlassen, von dieser Zahl nach unten abzuweichen;
· ehrenamtliche Wahlhelfer - allein rund 700000 ehrenamtliche Wahlhelfer waren bei der Bundestagswahl 1994 tätig - und Volkszähler: Bei der Volkszählung 1987 waren rund 510000 Zähler im Einsatz, deren Engagement in einer Zeit geringer Akzeptanz von Volkszählungen besonders gewürdigt werden muß.
Angesichts der Neuorganisation
der kommunalen Haushalte findet die soziale Bewegung des Bürgerengagements
neue Bedeutung und breite Unterstützung. Es sind - vorerst noch nicht quantifizierbare
- Tendenzen erkennbar, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger
an Aufgaben im kommunalen Bereich zu erweitern. Beispiele sind die ehrenamtliche
Betreuung von Stadtteilbibliotheken, Museumsausstellungen, Schwimmbädern
etc, die vielerorts ohne die Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger
nicht offengehalten werden könnten.
Im Bereich der Justiz liegt der Bundesregierung statistisches Zahlenmaterial
nur für die Schöffen in den alten Bundesländern vor. Danach sind
für die laufende Amtsperiode der Schöffen (Anfang 1993 bis Ende 1996)
45 807 Schöffen tätig. Zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern in
den neuen Bundesländern und denen der anderen Gerichtszweige wird die Zahl
der Laienrichter in Deutschland auf rund 80000 geschätzt. In bisher zwölf
Bundesländern gibt es außerdem ca. 10000 Schiedsmänner und Schiedsfrauen,
deren Aufgabe die außergerichtliche Beilegung kleinerer Rechtsstreitigkeiten
ist. Auch bei einigen Bundesgerichten sind ehrenamtliche Richter tätig.
Über die Anzahl der im Sport ehrenamtlich Tätigen gibt es keine gesicherten
Angaben. Nach Hochrechnungen des Deutschen Sportbundes sind derzeit ca. 2,5
Millionen Menschen in 85 519 Sportvereinen mit 25,9 Millionen Mitgliedern ehrenamtlich
tätig. Dazu kommt die große Anzahl der Personen, die Freiwilligenarbeit
(z. B. Fahrdienste, Betreuungstätigkeit, Mitwirkung bei Veranstaltungen,
Durchführung von Projektarbeit) in den Sportorganisationen leisten, ohne
ein Amt übernommen zu haben.
Auch im Bereich der Jugendverbände liegen keine gesicherten Angaben vor.
Zum breiten Spektrum ehrenamtlicher Arbeit in Jugendverbänden gehören
die verantwortliche Leitung von Kinder- und Jugendgruppen, das Engagement in
Projekten, bei Bildungsmaßnahmen, die Mitwirkung in Leitungsgremien und
anderes mehr. Der 8. Jugendbericht (1990) weist für den Bereich der Jugendarbeit
in den alten Bundesländern ca. 600000 ehrenamtlich Tätige aus, wobei
diese Zahl den Bereich der Arbeit mit Kindern nicht berücksichtigt. Bedingt
durch die Wiedervereinigung, unter Hinzunahme des nicht unbeträchtlichen
Teils von Arbeit mit Kindern und im Hinblick auf die wenigen exakt erhobenen
Daten ist von einer höheren Zahl der in der Jugendarbeit ehrenamtlich Engagierten
auszugehen.
Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der Bundesrepublik Deutschland
e.V. (aej) hat versucht, ehrenamtliches Engagement für den Gesamtbereich
der Evangelischen Jugend zu erfassen. Nach ihren Hochrechnungen kommt sie auf
eine Größe von mindestens 150000 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern. Gegenüber dieser hohen Zahl an ehrenamtlich Engagierten
stellen hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Evangelischen
Jugend nach verbandsinternen Schätzungen nur weniger als 5%. Ähnliche
Relationen zwischen haupt- und ehrenamtlichem Engagement gelten auch für
andere Jugendverbände, wie z.B. den Bund der Deutschen Katholischen Jugend.
In der Elternmitwirkung an Schulen sind Schätzungen des Bundeselternrats
zufolge bundesweit fast eine Million Mütter und Väter ehrenamtlich
als Klassen- oder Schulelternsprecherinnen und -sprecher oder in Schulelternbeiräten
tätig. Als Schul- oder Klassensprecher oder -sprecherin sind nach den gleichen
Schätzungen rund 750000 Schülerinnen und Schüler aktiv. Für
den Bereich der Kindertageseinrichtungen kann die Zahl der als Elternvertreter
oder in Elterninitiativen ehrenamtlich tätigen Personen auf mindestens
150000 geschätzt werden.
Für die Seniorenorganisationen liegen keine vollständigen Angaben
über den Umfang des ehrenamtlichen Engagements vor. Nach Auskunft der Bundesarbeitsgemeinschaft
der Seniorenorganisationen (BAGSO) sind bei den von insgesamt 48 Mitgliederorganisationen
erfaßten 32 Organisationen 154000 Personen kontinuierlich ehrenamtlich
tätig. Daneben existiert eine nicht näher quantifizierbare Zahl an
freiwilligen Helferinnen und Helfern, die sich unregelmäßig oder
mit geringer Stundenzahl in die Verbandsarbeit einbringen.
Für den Bereich der Frauenverbände liegen keine genauen Angaben zur
Zahl der ehrenamtlich Tätigen vor. Vorstands- und überwiegend auch
Geschäftsführungsaufgaben werden ehrenamtlich wahrgenommen. Besonders
in den konfessionell gebundenen Frauenorganisationen werden von den Mitgliedern
ehrenamtliche Tätigkeiten auf (Kirchen)/Gemeindeebene in sehr erheblichem
Umfang wahrgenommen. Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands als größter
deutscher Frauenverband hat in einer Mitgliederbefragung 1991 ermittelt, daß
47% ihrer Mitglieder ehrenamtlich tätig sind, hiervon liegt bei ca. 20%
der Frauen ihr Zeiteinsatz auf einem Niveau, das fast die Qualität eines
Teilzeitarbeitsverhältnisses erreicht. Größter nicht konfessionell
gebundener Frauenverband ist der Deutsche Landfrauenverband als Interessenvertretung
der Frauen im ländlichen Raum mit mehr als 550000 Mitgliedern. Die Ehrenamtsträgerinnen
des Landfrauenverbandes sind sowohl in den eigenen Gremien als auch in Gremien
des Landwirtschaftlichen Berufsstandes, der berufsständischen Selbstverwaltung
und vielen frauen- und anderen gesellschaftspolitischen sowie kirchlichen Institutionen
und Gremien aktiv.
Die Kirchen können die Zahl ihrer Ehrenamtlichen nicht exakt angeben, weil
es für die Kirche keinen feststehenden Begriff der "ehrenamtlich Tätigen"
gibt. Mit diesem Vorbehalt schätzt das Katholische Büro, daß
im Bereich der Katholischen Kirche 2,5 Millionen ehrenamtliche Mitarbeiter tätig
sind, davon 500000 in den sozialen Einrichtungen der Caritas, 100000 in den
Dritte-Welt-Gruppen, 60000 im Bund der Deutschen Katholischen Jugend, 52000
im Sportbund Deutsche Jugend-Kraft und 35 000 in kirchlichen Büchereien.
Nach einer Statistik der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahr 1992
sind in den westlichen Gliedkirchen 671000, in den östlichen Gliedkirchen
23000 Personen ehrenamtlich tätig gewesen (jeweils ohne Entwicklungsdienst
und Schuldienst). Es kann davon ausgegangen werden, daß in beiden Kirchen
zusammen 4,5 bis 5 Millionen Menschen freiwillig und ehrenamtlich tätig
sind. Sie engagieren sich in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern (Caritas/Diakonie
und Soziales; Liturgie, Pastoral, Seelsorge, Glaubensverkündigung; Kultur,
Bildung, Freizeit und Sport; Gesellschaftspolitik; Dritte-Welt-Aktivitäten)
und Organisationsformen (Verbände, Vereinigungen, Einrichtungen, Kirchengemeinden,
kirchlich-soziale Netze, Selbsthilfe- und Betroffeneninitiativen, kirchlich-soziale
Initiativen). Insbesondere in den Gebieten der Caritas/Diakonie und im Bildungsbereich
wäre die Wahrnehmung der Aufgaben in ihrer Vielfalt und Fülle, besonders
auf Gemeindeebene, ohne den Einsatz Ehrenamtlicher personell und finanziell
nicht durchführbar.
Im Bereich des Brand- und Katastrophenschutzes sowie des Rettungswesens liegen
Daten verschiedener Organisationen vor. Neben den in diesem Bereich ehrenamtlich
tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Deutschen Roten Kreuzes verfügt
die Johanniter-Unfall-Hilfe über 24000, der Arbeiter-Samariter-Bund über
7200 und der Malteser Hilfsdienst über 31 000 ehrenamtliche Helferinnen
und Helfer (Stand: Dezember 1994). Die Malteser-Jugend zählte 7300 Mitglieder.
Die Helfervereinigung des Technischen Hilfswerks (THW), die als Dachverband
alle ehren-, aber auch hauptamtlichen Helfer im THW vertritt, gibt die Zahl
der Aktiven mit über 65000 an. Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft
(DLRG) gibt an, daß über 20000 ehrenamtlich aktive Mitglieder im
Ausbildungsbereich, fast 45000 im Einsatzbereich, mehr als 12000 in der Selbstverwaltung
der Vereine und ca. 25000 in den Vorständen der Gliederungen arbeiten.
Hinzu kommen im Bereich Rettungssport rund 10000 Trainer bzw. Übungsleiter
und ca. 4000 Kampfrichter. Mehrfachnennungen sind naturgemäß eingeschlossen.
Die DLRG schätzt, daß ca. 30% ihrer Mitglieder zum Kreis der ehrenamtlich
Tätigen gezählt werden können. Für den Bereich der Feuerwehren
weist das Feuerwehr-Jahrbuch 1995/ 96 des deutschen Feuerwehrverbandes rund
1,4 Millionen ehrenamtliche Aktive aus. Die weitaus meisten davon gehören
zu den Freiwilligen Feuerwehren.
Das hohe Umweltbewußtsein in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland
spiegelt sich auch in der Mitgliederzahl und in der Zahl der ehrenamtlich in
Umweltverbänden Tätigen wider. Mehr als 4 Millionen Bürgerinnen
und Bürger sind Mitglieder von lokalen, regionalen und bundesweiten Umwelt-
und Naturschutzorganisationen. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) schätzt
aufgrund einer Umfrage bei seinen Mitgliedsverbänden die Zahl der ehrenamtlich
Tätigen auf weit über 175000 Personen.
Im Bereich der Wirtschaft weisen der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT)
und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) die höchste Zahl an
ehrenamtlich Tätigen aus. Nach Angaben des DIHT sind bundesweit 250000
ehrenamtliche Unternehmer oder Unternehmensvertreter in den insgesamt 83 Industrie-
und Handelskammern tätig, davon 120000 als Mitglieder der Prüfungsausschüsse
im Bereich der Berufsbildung und beruflichen Weiterbildung. In den weltweit
49 deutschen Auslandshandelskammern sind über 1000 Ehrenamtliche engagiert,
als Präsident oder Vorstandsmitglied. Der ZDH schätzt, daß über
200000 Ehrenamtsträger in der deutschen Handwerksorganisation mit ihrer
vielgliedrigen Organisationsstruktur tätig sind.
Nach dem vom Deutschen Gewerkschaftsbund ermittelten Gesamtergebnis der Betriebsratswahl
1994 sind zur Zeit 220245 Personen - davon 23% Frauen - ehrenamtlich als Betriebsratsmitglieder
im Bereich Soziales tätig. Entsprechende Zahlen liegen für Tätigkeiten
im Personalrat nicht vor, ebensowenig für Beauftragtenfunktionen wie Frauenbeauftragte
oder Schwerbehindertenbeauftragter. In den 36 Heimarbeitsausschüssen (26
auf Bundesebene und zehn auf Überlandsebene) sind insgesamt 432 Personen
ehrenamtlich für den Bereich Soziales tätig. In den beim Bundesministerium
für Arbeit und Sozialordnung und bei den obersten Arbeitsbehörden
der jeweiligen Bundesländer eingerichteten Tarifausschüssen sind insgesamt
406 (102 ordentliche, 304 stellvertretende) Tarifausschußmitglieder bestellt.
Im Bereich des staatlichen Arbeitsschutzes sind in den Beiräten und Ausschüssen,
einschließlich der Unterausschüsse und Arbeitskreise, ca. 1400 Mitglieder
(ohne Stellvertreter) ehrenamtlich tätig.
Neue Formen des Engagements
Neben das traditionelle Engagement im Bereich der großen Verbände sind in den letzten Jahren neue Formen der Selbstorganisation getreten. Es handelt sich zumeist um kleinere Gruppen, die aus eigener Initiative als Selbsthilfegruppe, Bürgerinitiative, Bürgerbewegung, Initiativgruppe, Betroffenenorganisation, selbstverwaltetes Projekt etc. ein gemeinsames Ziel verfolgen. Es gibt solche Gruppen in faktisch allen Handlungsfeldern und -bereichen unserer Gesellschaft. Dazu gehören Selbsthilfegruppen im psychosozialen und Gesundheitsbereich ebenso wie Frauengruppen, Elterninitiativen, Familienselbsthilfe, Friedens- und Umweltgruppen, Senioren- und Jugendinitiativen, Integrations- und Resozialisationsgruppen, Nachbarschaftshilfen und Dritte-Welt-Gruppen. Zur zahlenmäßigen Größenordnung wird auf die Antwort 6 zu Frage 9 verwiesen. [...]
5. Ist der Bundesregierung
bekannt, wie hoch der Anteil der Jugendlichen ist, die sich ehrenamtlich engagieren
und ob sich die Einstellung Jugendlicher zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeiten
in den letzten Jahrzehnten verändert hat?
Wenn ja, worauf führt die Bundesregierung dieses zurück?
Nach den Ergebnissen der Zeitbudget-Studie übten 1991/92 3,8% der Jugendlichen
im Alter von zwölf bis unter 20 Jahren ein Ehrenamt aus (ehrenamtliche
Tätigkeiten ohne soziale Hilfe, z.B. Pflege und Betreuung von Personen).
Männliche Jugendliche waren hier mit 4,3% etwas stärker vertreten
als weibliche Jugendliche (3,4%). Jugendliche sind damit weitaus weniger häufig
ehrenamtlich engagiert als Erwachsene. Die Ergebnisse für Jugendliche sind
statistisch allerdings weniger gesichert als die für Erwachsene. Dies hängt
mit der relativ geringen Zahl an Befragten in dieser Altersklasse zusammen.
Eine systematische Untererfassung ehrenamtlich Aktiver gerade in der Altersgruppe
von zwölf bis unter 20 Jahren resultiert auch daraus, daß in den
zugrundeliegenden Interviews oft nur ein Elternteil befragt wurde und Eltern
die Tätigkeit ihrer Kinder (z. B. Gruppenleitung) meistens nicht als ehrenamtliche
Arbeit ansehen. Insofern stellen die vorliegenden Zahlen zum ehrenamtlichen
Engagement Jugendlicher eine Untergrenze dar. Eine gewisse Skepsis gegenüber
den Daten der Zeitbudget-Studie wird auch unterstützt durch die o. g. EuroVol-Studie,
nach der sich 23% der unter 25jährigen freiwillig engagieren.
Eine - allerdings von einer geringen Stichprobengröße ausgehende
und daher methodisch fragwürdige - Trendanalyse des B.A.T. Freizeit-Forschungs-Instituts,
Hamburg, behauptet, daß angeblich immer mehr Jugendliche ihre Freizeit
ohne Einschränkung genießen wollen. Die Hauptsache sei Spaß
- Pflichten und Verpflichtungen würden aus ihrer privaten Freizeitgestaltung
zunehmend ausgeblendet. Demnach betrachtete 1995 jeder dritte Jugendliche die
Mitarbeit in einem Verein "in keinem Fall" mehr als Freizeit. Für
die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen habe mittlerweile auch die Mitarbeit
in einer Partei oder Gewerkschaft nichts mehr mit Freizeit zu tun (1991 : 41
%; 1995: 56%). Nach Einschätzung der Freizeitforscher fordere das Zeitalter
der Individualisierung seinen Tribut. Soziale Verpflichtungen würden eher
als Störfaktoren empfunden, die den Lebensgenuß in der Freizeit beeinträchtigen.
Mit der wachsenden Kommerzialisierung der Freizeit nehme auch die Entsolidarisierung
im Alltag zu.
Dies deckt sich jedoch nicht mit den Ergebnissen des Jugendsurveys des Deutschen
Jugendinstituts "Jugend und Demokratie in Deutschland" von 1995. Der
kommt zu dem Schluß, daß von der häufig beklagten Organisationsmüdigkeit
junger Menschen in West- und Ostdeutschland wenig zu spüren sei. Der Jugendsurvey
widerspricht auch der Behauptung, junge Leute hielten sich mit Aktivitäten
in Organisationen, Vereinen und Verbänden oder auch informellen Gruppierungen
generell zurück. Etwas mehr als 40% der 16- bis 29jährigen engagieren
sich demnach im Westen wie auch im Osten in Verbänden, Organisationen oder
informellen Gruppen.
In diesem Sinne geht die Bundesregierung von einer ungebrochenen Bereitschaft
junger Menschen zu freiwilliger Mitarbeit aus. Möglicherweise wird allerdings
gesellschaftliches Engagement weniger im Sinne dauerhafter Pflichterfüllung
verstanden, sondern stärker anknüpfend an die aktuellen persönlichen
Neigungen und Interessen. Bei den Themen und Zielen, die freiwillig Engagierte
unterstützen wollen, sind ihnen persönlicher Bezug und Autonomie im
Handlungsfeld wichtig. Es wird kein formelles, auf Dauer oder gar lebenslang
verpflichtendes Engagement angestrebt, sondern eher ein Engagement auf Zeit,
oft spontan auf eine bestimmte Situation bezogen und möglichst mit konkreten
Resultaten bzw. Folgen. [. ..]
6. Wie hoch schätzt
die Bundesregierung die Zahl derjenigen ein, die
o ohne jegliches Entgelt und Kostenerstattung ehrenamtlich tätig sind,
o für ihre ehrenamtliche Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung
erhalten,
o für ihre ehrenamtliche Tätigkeit die sogenannte "Übungsleiterpauschale"
oder
o eine zeitliche Vergütung in Form der Freistellung von der Arbeit oder
vom Wehrdienst in Anspruch nehmen?
7. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung darüber vor, ob und in
welchem Umfang ehrenamtlich Tätige einen persönlichen finanziellen
Aufwand in ihre Arbeit einbringen?
Die Fragen 6 und 7 werden zusammenhängend beantwortet.
Die Zeitbudget-Studie stellt keine Angaben zu diesen Fragen zur Verfügung.
Eine halbwegs zuverlässige Schätzung ist aufgrund der Vielfalt ehrenamtlicher
Tätigkeiten kaum möglich. Allerdings können zu einzelnen Bereichen
exemplarisch Angaben gemacht werden.
Im kommunalen Bereich werden für ehrenamtliche Ratsmitglieder, für
ehrenamtliche Bürgermeister und Beigeordnete, für Volkszähler
und für ehrenamtliche Feuerwehrkräfte jeweils festgelegte Aufwandsentschädigungen
gezahlt. Ehrenamtliche Wahlhelfer erhalten ein "Erfrischungsgeld".
Ehrenamtliche Richter erhalten für die Wahrnehmung ihrer Tätigkeit
eine gesetzlich festgelegte Entschädigung, die Zeitversäumnis, Fahrtkosten,
Aufwand sowie bare Auslagen umfaßt. (Ehrenamtliche) Handelsrichter bekommen
nur Tage- und Übernachtungsgelder oder Fahrtkosten erstattet.
In den erfaßten Einrichtungen aus dem Bereich der Sozialversicherung werden
ehrenamtlich Tätigen Aufwandsentschädigungen und Kostenerstattungen
nach § 41 SGB IV (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung)
gezahlt. Für ehrenamtliche Funktionsträger in den Industrie- und Handelskammern
z. B. werden in erheblich geringerem Umfang, häufig sogar überhaupt
keine Aufwandsentschädigungen oder Fahrtkosten gezahlt.
Betriebs- und Personalratsmitglieder sind zur Durchführung ihrer ehrenamtlichen
Tätigkeit im erforderlichen Maß von ihrer beruflichen Tätigkeit
ohne Minderung des Arbeitsentgelts freizustellen. Zum Ausgleich für Betriebs-
und Personalratsarbeit, die aus betriebs- bzw. dienstbedingten Gründen
außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, besteht ein Anspruch
auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Entgelts. Die Beisitzer
der Heimarbeitsausschüsse erhalten für ihre Tätigkeit eine Entschädigung
nach dem Gesetz über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter.
Ehrenamtliche Tätigkeit in den Kirchen wird von ihrem Verständnis
her grundsätzlich ohne Entgelt und Kostenerstattung wahrgenommen. In einzelnen
Bereichen werden jedoch Auslagen (z.B. Fahrtkosten, Telefonkosten, Porto) erstattet.
Eine Vergütung wird nur in seltenen Fällen gezahlt (z.B. für
nichthauptamtliche Kirchenmusiker, Rendanten).
Nach Auskunft des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
bieten 79% der Wohlfahrtsverbände ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern Auslagenersatz
an. Zeitliche Freistellungen sind vor allem im Jugendbereich möglich und
auf Länderebene geregelt.
Für den Bereich der Mitgliedsverbände des Deutschen Frauenrates hat
das Institut Frau und Gesellschaft ermittelt, daß für ehrenamtliche
Tätigkeit dort in erheblichem Umfang Eigenmittel eingebracht werden. Während
gewerkschaftliche Verbände, kirchliche und Sportverbände durchschnittlich
gut 70% der Reisekosten ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen decken können,
ist dies bei berufsständischen Verbänden zu 58% und bei politischen
Verbänden zu 42% möglich. Telefon- und sachkostendeckend erfolgt die
Erstattung zu 100% in der gewerkschaftlichen Arbeit, in den kirchlichen Frauenorganisationen
und Sportverbänden zu ca. 70%. Ehrenamtlich tätige Frauen in berufsständischen
und politischen Verbänden erhalten 50 bis 60% ihrer Telefonkosten und Sachmittelkosten
erstattet. Die Auswertung und Dokumentation der Erhebungen zur ehrenamtlichen
Caritasarbeit im Erzbistum Köln stellt fest, daß ungefähr 50%
der ehrenamtlich Tätigen im sozialen Ehrenamt eine Auslagenerstattung auf
Antrag gewährt wird.
Aus einer im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend in drei Kommunen durchgeführten Erhebung ist bekannt, daß
beinahe die Hälfte der im sozialen Bereich ehrenamtlich tätigen Senioren
keinerlei Aufwandsentschädigungen oder Kostenerstattungen erhalten. Die
ehrenamtlichen Mitarbeiter der Seniorenbüros erhalten in der Regel eine
Kostenerstattung von bis zu 50 DM pro Monat.
Nach einer Erhebung bei ehrenamtlichen Übungsleitern und Trainern in Sportvereinen
in den alten Bundesländern aus dem Jahre 1984 erhielten 35% keine Vergütung,
26,3% eine Aufwandsentschädigung und 38,1% eine "Übungsleiterpauschale"
(Quelle: Mrazek/Rittner, Übungsleiter und Trainer im Sportverein, BISp-Reihe
Bd. 75/1991).
Die Bundesregierung schätzt die Gesamtzahl der Ehrenamtlichen, die die
"Übungsleiterpauschale" nach § 3 Nr. 26 EStG in Anspruch
nehmen, auf rund 750000. Die daraus resultierenden Steuerausfälle werden
für 1996 auf rund 450 Mio DM geschätzt.
Das Gesetz über den Zivilschutz (ZSG), das Gesetz über die Erweiterung
des Katastrophenschutzes (KatSG) und das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse
der Helfer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW-He1fRG) sehen vor, daß
im Zivil- und Katastrophenschutz mitwirkende freiwillige ehrenamtliche Helfer,
die während der Arbeitszeit an Einsätzen und Ausbildungsveranstaltungen
teilnehmen, unter Weitergewährung des Arbeitsentgelts von der Arbeitsleistung
freigestellt sind. Die landesrechtlichen Vorschriften zum Katastrophenschutz
und Brandschutzwesen enthalten ähnliche Regelungen. Erkenntnisse liegen
nicht vor, inwieweit und in welchem Umfang von den genannten gesetzlichen Regelungen
hinsichtlich der Freistellung von der Arbeitsleistung Gebrauch gemacht wird.
Solche Angaben könnten, wenn überhaupt, nur mit einem unverhältnismäßig
hohen Aufwand erhoben werden.
Nach dem Wehrpflichtgesetz, dem Zivildienstgesetz und dem Katastrophenschutzgesetz
werden Wehrpflichtige oder Zivildienstpflichtige, die sich vor Vollendung des
25. Lebensjahres mit Zustimmung der zuständigen Behörde auf mindestens
sieben Jahre zum ehrenamtlichen Dienst als Helfer im Zivilschutz oder Katastrophenschutz
verpflichtet haben, nicht zum Wehrdienst oder Zivildienst herangezogen. Dieser
Personenkreis hat große Bedeutung für die Unterstützung ehrenamtlicher
Tätigkeit. Denn er ist aus der Infrastruktur der Zivil-und Katastrophenschutzorganisationen
kaum wegzudenken. Häufig wird darüber hinaus nach Ableistung der Mindestverpflichtungszeit
das Engagement in diesen Organisationen ehrenamtlich fortgesetzt. Das Bundesministerium
des Innern und das Bundesministerium der Verteidigung haben unter angemessener
Berücksichtigung des Personalbedarfs der Bundeswehr, des Zivilschutzes
und des Katastrophenschutzes vereinbart, daß bis zu 27000 Helfer eines
Geburtsjahrgangs vom Wehrdienst freigestellt werden können. Zur Zeit sind
aus allen noch zum Wehrdienst oder Zivildienst heranziehbaren Geburtsjahrgängen
aufgrund der genannten gesetzlichen Regelungen ca. 102100 Helfer vom Wehrdienst
und ca. 8800 vom Zivildienst freigestellt.
Insgesamt ergibt die Auswertung der Umfrage bei den Trägern ehrenamtlicher
Arbeit, daß in der Frage der Erstattung Unterschiede bestehen, daß
aber der weitaus überwiegende Teil der Ehrenamtlichen ohne jegliches Entgelt
oder mit nur geringen Kostenerstattungen oder Aufwandsentschädigungen arbeitet.
Meist decken diese Erstattungen den Kostenaufwand nur zum Teil ab. Viele Ehrenamtliche
nehmen die Möglichkeit von Entschädigungen oder Erstattungen kaum
oder gar nicht in Anspruch. Kostenerstattungen oder Aufwandsentschädigungen
in etwas größerem Umfang erhalten ehrenamtliche Mandats- oder Funktionsträger
in Organisationen auf Landes- oder Bundesebene. Ein großer Teil der Ehrenamtlichen
opfert einen Teil des Urlaubs für das freiwillige und unentgeltliche Engagement.
Der Eigenaufwand ist je nach Tätigkeitsfeld unterschiedlich und kann nicht
generell beziffert werden. Praxisberichte verweisen darauf, daß viele
Ehrenamtliche im Rahmen ihrer Tätigkeit regelmäßig eigene Mittel
einsetzen, ohne hierfür einen Auslagenersatz zu verlangen. Nach Einschätzung
der erfaßten Organisationen werden zwischen 20 und 80% der für die
ehrenamtlich Tätigen selbst erbracht. Der von den Ehrenamtlichen eingebrachte
Eigenbeitrag erfolgt insbesondere für Fahrten, Verpflegung, Telefon, Porto,
Arbeits- und Büromaterial, Kopien, Literatur, Kleidung, Eintrittsgelder,
kleine Geschenke, Nutzung privater Geräte und Räumlichkeiten, Kinderbetreuung,
Fort- und Weiterbildung. Zu diesem finanziellen Eigenbeitrag kommt - insbesondere
bei freiberuflich und selbständig Tätigen - mitunter noch ein je nach
zeitlichem Aufwand nicht unbeträchtlicher Verdienstausfall.
Für viele Vereine, Organisationen und Initiativen ist die Arbeit ohne die
von Ehrenamtlichen privat übernommenen Kosten nicht denkbar.
8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die durchschnittliche wöchentliche Beanspruchung ehrenamtlich Tätiger und über die Dauer (Lebenszeit) ihrer Tätigkeit?
Gemäß der Zeitbudget-Studie beträgt die durchschnittliche wöchentliche
Beanspruchung ehrenamtlich Tätiger (ohne soziale Hilfe, z.B. Pflege und
Betreuung von Personen) für die Ausübung ihres Amtes (ohne die dazugehörenden
Wegezeiten) 4,5 Stunden. Männer sind mit durchschnittlich fünf Stunden
mehr als eine Stunde in der Woche länger ehrenamtlich tätig als Frauen
(3,75 Stunden); vgl. Antwort zu Frage 2. Die Wegezeiten im Zusammenhang mit
der ehrenamtlichen Arbeit erhöhen den wöchentlichen Zeitaufwand nochmals
um durchschnittlich rund 20%. Die durchschnittliche Beanspruchung ehrenamtlich
Tätiger über die Dauer (Lebenszeit) ihrer Tätigkeit wird von
der amtlichen Statistik nicht erhoben.
Den meisten der befragten Verbände und Organisationen waren weder konkrete
Aussagen zum zeitlichen wöchentlichen Umfang noch zur Dauer ehrenamtlicher
Tätigkeit im Hinblick auf die Lebenszeit möglich. Die wöchentliche
Belastung wird - auch in Abhängigkeit von der wahrgenommenen Position und
der Tätigkeit an sich - zwischen 1,5 Stunden und einem Umfang "wie
ein zweites Beschäftigungsverhältnis" angegeben. Deutlich wurde
allerdings, daß es sich meist nie um ein kurzzeitiges ehrenamtliches Engagement
handelt, sondern vielmehr um ein Engagement, das über Jahre bis zu Jahrzehnten
reicht. Einige Organisationen sprechen von einem Zeitraum zwischen einem und
15 Jahren. Bei den Angaben handelt es sich meist um Schätzwerte. Nur für
wenige Bereiche des Ehrenamtes liegen genauere Daten vor.
Einige Studien machen Aussagen zum zeitlichen Einsatz Ehrenamtlicher. Die Untersuchung
des Instituts für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität
Hannover zu Jugend und gesellschaftlicher Mitwirkung weist für Niedersachsen
für den Bereich der Jugendarbeit einen durchschnittlichen wöchentlichen
Einsatz von 3,8 Stunden nach. In der Jugendarbeit wird nach Untersuchungen des
Landesjugendringes Baden-Württemberg von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern im Durchschnitt ein Engagement für den Verband oder die
Gruppe in einem Umfang von 20 Stunden pro Monat erbracht, was in etwa einer
wöchentlichen Stundenzahl von 5 Stunden entspricht.
Nach Angabe des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
geht die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege von durchschnittlich
20 Wochenstunden ehrenamtlicher Tätigkeit für den Bereich des sozialen
Ehrenamtes aus.
Aus den Ergebnissen einer Umfrage des Deutschen Naturschutzringes (DNR) e.V.
bei seinen Mitgliedsverbänden lassen sich durchschnittlich rund 6 Wochenstunden
ehrenamtlicher Tätigkeit für den Umwelt- und Naturschutz errechnen.
Die durchschnittliche wöchentliche Beanspruchung ehrenamtlicher Mitarbeiter
beläuft sich auf rund 4 Stunden in den Sportvereinen der alten Bundesländer
und auf rund 5 Stunden in den neuen Bundesländern. Durchschnittlich wird
die Vereinstätigkeit in den alten Bundesländern mit 323 Stunden und
in den neuen Bundesländern mit 369 Stunden im Monat durch ehrenamtliche
Mitarbeiter getragen.
Die ehrenamtlichen Funktionsträger der Sportverbände, z.B. als Präsident
eines Fachverbandes, wenden im Durchschnitt ca. 15 Stunden in der Woche für
ihre gesamte ehrenamtliche Tätigkeit im Sport auf. Etwa die Hälfte
(49%) ist bis zu 10 Stunden in der Woche tätig. Ein Viertel der ehrenamtlichen
Funktionsträger in Sportverbänden widmet 5 bis 10 Stunden und 16%
mehr als 25 Stunden in der Woche ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. (Quelle:
Winkler, J. u.a., Verbände im Sport. Eine empirische Analyse des Deutschen
Sportbundes und ausgewählter Mitgliedsorganisationen, BISp-Reihe Bd. 43/1985)
Am Beispiel der Position der Vereinsvorsitzenden wird deutlich, daß ehrenamtliche
Tätigkeiten im Sport über einen längeren Zeitraum ausgeübt
werden. 68% der Vereinsvorsitzenden in den alten bzw. 58% in den neuen Bundesländern
üben ihr Amt länger als 4 Jahre aus. Die Mehrzahl von ihnen war schon
vorher in anderen Positionen ehrenamtlich im Verein tätig. Nach den vom
Deutschen Turnerbund (DTB) im Jahre 1988 erhobenen Angaben ergibt sich für
die einzelnen Funktionen der DTB-Vereine folgende durchschnittliche Amtsdauer:
Oberturnwart 10 Jahre, 1. Vorsitzender/Kassierer/Frauenwartin 9 Jahre, 2. Vorsitzender/Pressewart
6 Jahre, Jugendwart 5 Jahre (Quelle: Digel u. a., Turn- und Sportvereine).
Schöffen sollen an nicht mehr als 12 Sitzungstagen pro Jahr, d. h. durchschnittlich
einem Sitzungstag im Monat, tätig sein. Ist ein Schöffe zu mehr als
doppelt so vielen Einsätzen herangezogen worden, kann er seine Streichung
von der Schöffenliste beantragen. Als Schöffe soll ferner nicht berufen
werden, wer 8 Jahre als Schöffe tätig war und dessen letzte Dienstleistung
weniger als 8 Jahre zurückliegt. Diese Vorschriften sollen eine unangemessene
Belastung vermeiden. Insbesondere bei den Großen Strafkammern kann aber
in umfangreichen, langwierigen Verfahren oft nicht verhindert werden, daß
Schöffen über Monate oder sogar Jahre hinweg mehrmals in der Woche
im Einsatz sind.
Die Seniorinnen und Senioren, die sich wegen eines ehrenamtlichen Engagements
an ein Seniorenbüro wenden, sind bereit, durchschnittlich 15 Stunden pro
Monat einzusetzen. Dabei zeigen sich Unterschiede nach dem Alter, in denen sich
die individuellen Belastungsgrenzen spiegeln: Ehrenamtliche unter 60 Jahren
wollen sich mit ca. 20 Stunden pro Monat engagieren, 60- bis 69jährige
mit 12 Stunden und über 70jährige mit etwa 8 Stunden.
Während die traditionellen Vereine und Verbände auf feste Mitgliederstrukturen
zurückgreifen können, die auch über einen längeren Zeitraum
hinweg in ein ehrenamtliches Engagement einmünden, findet sich bei den
Initiativen und neueren Bewegungen ohne feste Mitgliederstrukturen eine starke
Fluktuation. Dies läßt sich quantitativ nicht über eine Befragung
der Organisationen erfassen. Im Hospizbereich z. B. wird eine Begrenzung des
Einsatzes auf ca. ein Jahr in der Regel.für erforderlich gehalten, um die
Belastungsgrenze der Ehrenamtlichen nicht zu überschreiten. [...1]
III. Bereitschaft zur Übernahme
ehrenamtlicher Tätigkeit
10. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, aus welchen Beweggründen
Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich tätig sind?
Die persönlichen Motive für ehrenamtliche Tätigkeit sind sehr
vielfältig. So breit wie das Spektrum ehrenamtlicher Tätigkeit ist,
so vielschichtig sind auch die Beweggründe dafür. Eine vollständige
Aufzählung aller denkbaren oder genannten Motive ist unmöglich.
Ehrenamtliches Engagement folgt oft der Erkenntnis, daß es in einer freiheitlichen
Gesellschaft engagierter Bürgerinnen und Bürger nicht ausreicht, in
allen Bereichen und zur Lösung von jedem Problem nach dem Staat zu rufen.
Ehrenamtlich Tätige fühlen sich mitverantwortlich für die Gestaltung
ihres persönlichen - ggf. auch ihres beruflichen - Umfeldes, der Gesellschaft
oder der Politik, sie nehmen Verantwortung wahr für sich, für Mitmenschen
und für die Gemeinschaft sowie die Umwelt. Ehrenamtliches Engagement hat
seinen Ausgangspunkt oft auch ganz einfach in dem Wunsch, die Freizeit sinnvoll
mit anderen Menschen gemeinsam zu gestalten, Spaß und Freude zu haben
und Anerkennung zu erfahren, Hobbys zu pflegen, Kenntnisse zu vertiefen und
Fähigkeiten zu verbessern, Qualifikationen zu erwerben oder zu erweitern,
entsprechend der Devise : Indem ich etwas für andere tue, tue ich auch
etwas für mich.
In der Motivation zum Ehrenamt wird in verschiedenen Studien der empirischen
Forschung und in den Zuschriften nahezu aller Verbände in den letzten Jahrzehnten
eine Wertverschiebung beobachtet : Waren früher für die Übernahme
von Ehrenämtern häufiger Pflichtgefühl sowie - bewußt oder
unbewußt - aufgrund geringerer sozialstaatlicher Absicherungen die Abhängigkeit
auch vom freiwilligen Engagement anderer und damit das Erfordernis gegenseitiger
Hilfe maßgebend, so hat heute die durch die ehrenamtliche Tätigkeit
vermittelte persönliche Befriedigung und Erfüllung einen höheren
Stellenwert erhalten. Wichtig ist Menschen heute vielfach die Berücksichtigung
persönlicher Fähigkeiten und Neigungen. Es besteht jedoch kein Widerspruch
zwischen freiwilligem Engagement und der Selbstverwirklichung des einzelnen.
Der Einsatz für andere oder den Umwelt- und Naturschutz kann im Gegenteil
oft wesentlich zur Selbstverwirklichung beitragen. In manchen Ehrenämtern
sind die persönlichen Interessen und die der Gruppe, in der man aktiv mitarbeitet,
identisch. Spezifische Ziele oder Anliegen und ihre Vertretung oder Durchsetzung
innerhalb der Gesellschaft hat man sich zu eigen gemacht oder sind der eigentliche
Grund für das freiwillige Engagement.
11. Teilt die Bundesregierung
die von Organisationen, Verbänden und Vereinen geäußerten Klagen
über ein spürbar nachlassendes ehrenamtliches Engagement?
Wenn ja, worin sieht sie die Ursachen?
Ist der Bundesregierung bekannt, in welchen Tätigkeitsfeldern besonders
gravierende Rückgänge zu verzeichnen sind?
Wenn ja, in welchen?
12. Hat die Bundesregierung
Erkenntnisse darüber, daß die Ursachen für die fehlende Bereitschaft,
ehrenamtliche Tätigkeiten auszuüben, in der zunehmenden Professionalisierung
einerseits - u. a. bedingt durch eine Expansion staatlich gewährter Leistungen
mit dem Ziel einer allseitigen Versorgung - und dem immer stärker werdenden
Streben nach Individualisierung der Lebensformen andererseits liegen?
Wenn ja, wie begründet sie dieses?
13. Teilt die Bundesregierung
die Auffassung, daß das Nachlassen ehrenamtlichen Engagements die Ursachen
auch in den Strukturen der Vereine, Verbände und Organisationen haben kann?
Wenn ja, wie begründet sie dieses?
Die Fragen 11 bis 13 werden
zusammenhängend beantwortet.
Nicht alle Verbände und Organisationen klagen über Probleme, ehrenamtlich
Tätige zu finden. Mitunter sind in den letzten Jahren auch Zuwächse
zu verzeichnen. Eine Erhebung der Caritas-Konferenzen aus den Jahren 1993/94
zeigt z.B., daß in der Caritasarbeit im Erzbistum Köln mehr Personen
für die Übernahme eines Ehrenamtes gewonnen werden konnten, als Ehrenamtliche
ausgeschieden sind. In der Katholischen und der Evangelischen Kirche allgemein
ist jedoch ein Rückgang an Ehrenamtlichen zu verzeichnen. Andere Organisationen,
wie z. B. Seniorenverbände, Träger der Familienarbeit oder manche
Organisationen, die im Umwelt- und Naturschutz aktiv sind, haben nach eigenen
Angaben keine Rückgänge zu beklagen. Andere wiederum bestätigen
eine Zunahme der Aktivität in den neuen Bundesländern bei gleichzeitig
abnehmendem Engagement in den alten Ländern.
Insgesamt teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es in den meisten
Bereichen der Gesellschaft zunehmend schwieriger wird, Menschen zur Mitgliedschaft
in und damit zur Bindung an Vereine und Organisationen zu gewinnen. Dies gilt
verstärkt für ehrenamtliche Mitarbeit und für das Eingehen dauerhafter
Verpflichtungen gegenüber gesellschaftlichen Organisationen. Dort, wo Schwierigkeiten
aufgrund von Rückgängen oder wachsendem Bedarf gesehen werden, gibt
es laut Verbänden und Untersuchungen die unterschiedlichsten Ursachen.
Das folgende Zitat des Deutschen Caritasverbandes läßt sich auf die
meisten Bereiche ehrenamtlicher Arbeit übertragen: "Wenn persönliche
Betroffenheit und Mitwirkungsmöglichkeit an Lösungen gegeben sind
und wenn Aufgaben zeitlich befristet angegangen werden können, dann gibt
es genügend engagierte Menschen. Ehrenamtliche, die alles tun und die über
einen langen Zeitraum hinweg viele Stunden pro Woche investieren können,
gibt es immer weniger."
Insbesondere die folgenden Tendenzen, die zum Teil kennzeichnend für den
Wandel in der Gesellschaft sind und die von vielen Trägern ehrenamtlicher
Arbeit bestätigt werden, tragen zu den steigenden Schwierigkeiten bei der
Gewinnung ehrenamtlicher Mitarbeiter bei: Die Pluralisierung der Gesellschaft
hat für eine Vielfalt von neuen ehrenamtlichen Arbeitsmöglichkeiten
und -feldern gesorgt. Das vergrößert für den einzelnen die Chance,
eine zu ihm besonders gut passende, quasi individuell zugeschnittene ehrenamtliche
Tätigkeit zu finden, macht es den Organisationen gleichzeitig aber auch
schwerer, den "geeigneten" Ehrenamtlichen für die jeweilige Aufgabe
zu erreichen.
Die zunehmende Differenzierung und Pluralisierung der Gesellschaft haben auch
dazu geführt, daß die Prägekraft tradierter Bindungen und Lebensformen
innerhalb gesellschaftlicher Milieus gemindert wurde. Die Mitgliedschaft z.B.
in gewerkschaftlichen, politischen oder konfessionellen Organisationen wird
heute nicht mehr unreflektiert von Generation zu Generation weitergegeben, die
Menschen prüfen vielmehr kritisch unter Berücksichtigung unterschiedlicher
Anforderungen und Ansprüche an sich selbst, ihre Familien und ihr weiteres
persönliches Umfeld, auf welche Bindungen sie sich einlassen. Einer Arbeit,
die unmittelbar am Ergebnis orientiert ist, wird oft der Vorrang vor einer dauerhaften
Mitgliedschaft in Vereinen gegeben.
Die Zahl der Väter, die mehr Zeit als bisher mit ihrer Familie verbringen,
ist in den letzten Jahren gewachsen. Dieses familiäre Engagement verkleinert
zwar das für außerberufliche und ehrenamtliche Tätigkeiten zur
Verfügung stehende Zeitbudget, dennoch scheint dies sich nicht negativ
auf die außerfamiliäre Engagementbereitschaft auszuwirken, wie die
Antwort zu Frage 3 belegt.
Hinzu kommt : In den letzten Jahren hat nicht nur eine Expansion des kommerziellen
Freizeit- und des kulturellen Angebotes stattgefunden, auch das Spektrum der
Vereins- und Verbandslandschaft ist breiter geworden. So zeigen Studien des
Deutschen Kulturrates e.V. deutlich, daß in den 80er Jahren auf der Bundesebene
eine rege Verbandsgründungstätigkeit festzustellen war. Da meist dem
Zusammenschluß zu Bundesverbänden die Gründung von Organisationen
auf kommunaler, regionaler und Landesebene vorausgeht, kann angenommen werden,
daß diese Gründungsaktivität auch auf den genannten anderen
Ebenen stattgefunden hat. Das bedeutet, daß einer bestimmten Anzahl an
bereits aktiv oder potentiell ehrenamtlich Engagierten eine Vielzahl von möglichen
Vereinen, Verbänden und Organisationen gegenübersteht. Wenn man davon
ausgeht, daß die Zahl derer, die sich ehrenamtlich engagieren, nicht beliebig
vergrößerbar ist, bedeutet dies, daß Verluste an ehrenamtlich
Engagierten bei einigen Vereinen mit Gewinnen bei anderen einhergehen.
Auch innerhalb der Gruppe der freiwillig und ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen
und Bürger vollzieht sich ein Strukturwandel zu Lasten dauerhafter Bindungen
und Verpflichtungen, der jedoch durch eine Ausweitung des kurzzeitigen, überschaubaren
und projektbezogenen Engagements mindestens ausgeglichen wird. Dieses Engagement
kann zwar dauerhafte Tätigkeit Ehrenamtlicher nicht ersetzen, wohl aber
wirkungsvoll unterstützen und ergänzen. Es liegt daher insbesondere
auch im Interesse des Ehrenamts, das nach wie vor bestehende unausgeschöpfte
Potential an solcher Freiwilligenarbeit noch besser auszuschöpfen.
Der geschilderte Strukturwandel beweist: Individualität und Solidarität
schließen sich gegenseitig nicht aus. Es besteht keine generelle Scheu
gegenüber ehrenamtlichem Engagement, jedoch gehen der Übernahme von
Verantwortung heute verstärkt Willensbildungs-, Abwägungs- und Entscheidungsprozesse
voraus. Dem entsprechen vielfach die Bedingungen der Selbsthilfe und Selbstorganisation
von Initiativen besonders gut, die dadurch an Attraktivität gewinnen. Hieran
knüpfen die Rahmenbedingungen ehrenamtlicher Arbeit insgesamt offensichtlich
noch nicht überall in ausreichendem Maße an. Manche Organisationen
beobachten die Tendenz freiwillig Tätiger, sich verstärkt vor Ort
zu engagieren, während die Möglichkeit, Ziele auf Landes- oder Bundesebene
zu verwirklichen, eher als gering eingeschätzt wird.
Vor diesem Hintergrund werden seit einiger Zeit in der Bundesrepublik Deutschland
verschiedene neue Wege der Förderung des freiwilligen Engagements diskutiert.
So wird z.B. im Modellprogramm Seniorenbüro der Bundesregierung bereits
seit 1992 u. a. die Förderung des freiwilligen Engagements älterer
Menschen "für sich und andere" erfolgreich erprobt. Die Seniorenbüros
informieren über Aktivitätsmöglichkeiten vor Ort, beraten zu
individuellen Neigungen und Bedürfnissen sowie den vorhandenen Möglichkeiten
eines - auch generationenübergreifenden - ehrenamtlichen Engagements und
vermitteln an Träger, Initiativen und Organisationen, die ehrenamtliche
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter suchen. Durch die Seniorenbüros, die inzwischen
an beinahe 100 Standorten in der Bundesrepublik Deutschland - mehr als die Hälfte
von ihnen außerhalb des Modellprogramms - existieren, konnten in erheblichem
Umfang neue Aktivitätspotentiale auch für die Gesellschaft erschlossen
werden.
Mit Aufmerksamkeit beobachtet die Bundesregierung auch die Arbeit der in einigen
Kommunen bestehenden Freiwilligenzentren, -agenturen oder Ehrenamtsbörsen,
die es sich zur Aufgabe gemacht haben, an freiwilliger oder ehrenamtlicher Arbeit
Interessierte verschiedener Altersgruppen in entsprechende Tätigkeiten
bei geeigneten Trägern zu vermitteln. Auf fachlichen Rat des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördert die Stiftung Jugendmarke
das Projekt "Freiwilligenzentrum" des Jugendrings Dortmund, das der
Förderung der freiwilligen Tätigkeit in der Jugendarbeit dient.
Im Rahmen der Untersuchung des Deutschen Kulturrates e.V. "Stand und Perspektiven
ehrenamtlicher Arbeit im Kulturbereich" haben zwar ca. 64% der Verbände
angegeben, daß sie den Eindruck haben, die Bereitschaft zum ehrenamtlichen
Engagement sinke. Als Begründung wurde jedoch vornehmlich die kürzere
zeitliche Dauer des Engagements ehrenamtlich Tätiger angesprochen. Verschiedene
Verbände machten dabei deutlich, daß sie für konkrete Vorhaben,
z. B. eine Ausstellung, ein Konzert, eine Unterschriftenaktion, eine Lesung,
eine kulturpolitische Initiative u.v.m. durchaus auf ausreichend ehrenamtliche
Kräfte zurückgreifen können. Doch möchte sich ein großer
Teil der ehrenamtlichen Mitarbeiter eher kurz- bis mittelfristig einbinden lassen
als langfristige Verpflichtungen eingehen; offenbar wollen viele Menschen in
zunehmendem Maß eher ergebnisorientiert arbeiten als sich über einen
langen Zeitraum einem Verein verschreiben(3).
Insgesamt ist das Freizeitbudget der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten
angewachsen. Dennoch wurden offenbar aus dem insgesamt angestiegenen Zeitbudget
der Bevölkerung für die Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeit
bislang keine Vorteile gezogen. Dies liegt zum Teil daran, daß die weiteren
Wege und das größere Maß an notwendiger Mobilität und
Flexibilität manchen Zeitgewinn der Berufstätigen wieder aufheben.
Auch die stärkere Erwerbstätigkeit von Frauen hat zur Folge, daß
immer mehr von ihnen im Ehrenamt nicht nur auf ihre Familien, sondern auch auf
betriebliche Erfordernisse Rücksicht nehmen müssen. Das verlangt eine
stärkere Rücksichtnahme auf das Zeitbudget der Ehrenamtlichen, wenn
die unverändert bestehende Bereitschaft zum Ehrenamt genutzt werden soll.
Insbesondere bei jungen Menschen erschwert die zunehmend geforderte Mobilität
in Beruf und Ausbildung die kontinuierliche Arbeit und längerfristige Bindungen
in Ehrenämtern. Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt und das Gefühl
der Unsicherheit des eigenen Arbeitsplatzes führen bei manchen auch dazu,
sich noch stärker, mitunter sogar allein auf die berufliche Tätigkeit
(und auf die Familie) zu konzentrieren. Diese Gewichtung geht dann zu Lasten
ehrenamtlicher Tätigkeit.
In nahezu allen Bereichen, in denen traditionell ehrenamtliche Tätigkeit
besonderes Gewicht hat, hat es zugleich in den letzten Jahrzehnten einen Prozeß
zunehmender Professionalisierung gegeben, der sich auch auf die Tätigkeit
ehrenamtlicher Kräfte selbst auswirkt. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund
der bestehenden Probleme auf dem Arbeitsmarkt stellen sich viele Menschen die
Frage, ob sich ehrenamtliche Arbeit für sie lohnt, wenn andere für
eben diese Arbeit eine Bezahlung bekommen. Eine fehlende Abgrenzung zwischen
ehrenamtlicher und hauptamtlicher Arbeit kann auch ein Grund für einen
Rückgang von freiwilligem und ehrenamtlichem Engagement sein.
In den Tätigkeitsbereichen, in denen für die Wahrnehmung ehrenamtlicher
Aufgaben andere als die beruflichen Qualifikationen notwendig sind, sind die
Anforderungen an Ehrenamtliche in den letzten Jahrzehnten durch die Komplexität
der Aufgabenfelder, die zunehmende Verrechtlichung und die Ansprüche an
das Fachwissen gestiegen. Dies hat zusätzliche Herausforderungen und Chancen
für die Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebracht, gleichzeitig
aber auch das Zeitbudget erhöht, das erforderlich ist, um den Anforderungen
gerecht zu werden.
Das Verhältnis zwischen hauptamtlich professionellen und ehrenamtlichen
Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ist nicht immer angemessen und spannungsfrei.
Hauptamtlich Tätige sind bisher häufig weder vom Arbeitszuschnitt
noch von ihrer Ausbildung her ausreichend für den Umgang mit ehrenamtlichen
Mitarbeitern gerüstet. Dies mindert die Attraktivität ehrenamtlicher
Tätigkeit und reduziert die Zahl von Menschen, die bereit sind, sich in
bestehende Strukturen ehrenamtlicher Dienste einzubinden. Es wäre zu begrüßen,
wenn schon während der Ausbildung in einschlägigen Berufen z.B. im
sozialen Bereich dem Aspekt der Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen
stärker Rechnung getragen wird.
Wie die Untersuchung des Deutschen Kulturrates e.V. festgestellt hat, kann im
Kulturbereich nicht davon gesprochen werden, daß eine stärkere Professionalisierung
zu einer Abnahme ehrenamtlichen Engagements führt. Im Gegenteil: Hier wird
von den verschiedenen Verbänden vielmehr die Auffassung vertreten, daß
durch die Einstellung hauptamtlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ehrenamtliches
Engagement geweckt werden kann. In dem Maße, in dem der Vorstand und auch
andere ehrenamtlich Tätige von administrativen Aufgaben entlastet werden,
können sie sich verstärkt ihrem "eigentlichen" Anliegen
widmen. Entsprechendes gilt gemäß verschiedener Untersuchungen auch
für den Bereich des Sports, für den Seniorenbereich, wie die Ergebnisse
des Modellprogramms Seniorenbüro zeigen, sowie nach eigenen Angaben für
den Wirkungsbereich des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Darüber hinaus wurde von verschiedenen rein ehrenamtlich arbeitenden Verbänden
im Kulturbereich auf die Erfahrung verwiesen, daß gerade von seiten der
Verwaltung und Politik große Vorbehalte gegenüber ausschließlich
ehrenamtlich arbeitenden Vereinigungen bestehen. Ehrenamtliche hätten den
Eindruck, daß ihnen unterstellt werde, ein Vorhaben nicht professionell
durchführen zu können, und zum Teil von daher eine Ablehnung der Unterstützung
bestimmter Vorhaben erfolge. Auf die Dauer führe dies entweder zum Erlahmen
des ehrenamtlichen Engagements aufgrund häufiger Erfolglosigkeit oder aber
zu einer nicht immer gewünschten Professionalisierung, um Teilbereiche
erfolgreicher abwickeln zu können oder um die Interessen gegenüber
der politischen Ebene besser durchsetzen zu können. In diese Richtung tendieren
auch Aussagen anderer Verbände und Organisationen.
Die Untersuchung des Deutschen Kulturrates e.V. hat darüber hinaus ergeben,
daß die Strukturen in verschiedenen Verbänden, Vereinen und Organisationen
des Kulturbereichs zum Teil hinderlich sind, neue ehrenamtlich Aktive zu gewinnen.
Der Wunsch nach Kontinuität der Verbandsarbeit nach innen und außen
führt teilweise dazu, daß sich immer dieselben engagieren und andere
potentielle Interessenten aufgrund ihres Erfahrungsrückstandes den Mut
verlieren und sich zurückziehen. Hier mag bei einigen Verbänden Handlungsbedarf
bestehen. Verschiedene kulturelle Vereinigungen haben sich aus diesem Grunde
entschlossen, ihren Mitgliedern eher projektorientierte Aktivitäten anzubieten.
Insgesamt ist ein Trend zu offeneren Angebotsformen festzustellen.
Der Bundesregierung sind keine Längsschnittuntersuchungen bekannt, die
ein Nachlassen des ehrenamtlichen Engagements generell oder in einzelnen Tätigkeitsfeldern
im Sport eindeutig quantitativ belegen. Die absolute Zahl der ehrenamtlich Tätigen
im Sport hat nach den Ergebnissen einer Studie in Nordrhein-Westfalen zwischen
1986 und 1992 - nach einem bundesweiten Rückgang zwischen 1982 und 1986
- sogar um 2,5% zugenommen. Andererseits sehen nach Erhebungen durch die angeführte
FISAS-Studie 1991 85,6% der befragten Sportvereine in der Mitarbeitergewinnung
ihr größtes Problem ; etwa 25 % der benötigten Ehrenämter
seien nicht besetzt. Eine Ursache für diesen vordergründigen Widerspruch
liegt darin, daß die Mitgliederzahl in den Sportvereinen überproportional
gegenüber dem Zuwachs bei der Zahl ehrenamtlich Tätiger gewachsen
ist. (Quelle: Friedrich/Puxi, Arbeitswelt, Lebensstile, Freizeitverhalten und
die Auswirkungen auf den Sport - in Nordrhein-Westfalen -, 1994)
Nach der FISAS-Studie 1991 ist die Bereitschaft des einzelnen Vereinsmitglieds,
sich in seinem Sportverein zu engagieren, besonders von drei Faktoren abhängig:
· der Anreizstruktur der Aufgabe,
· der Einbindung der Mitarbeiter in den Vereinen und
· der Bindung an den Sport.
Für Vereine und Verbände ergibt sich die Notwendigkeit einer aktiven
Personalpolitik auch für ehrenamtliche Mitarbeiter, die diese Faktoren
berücksichtigt und langfristig vorbereitet, wer wann welche Position einnehmen
soll. Dazu gehören die Motivation der Mitglieder, ihre persönliche
Ansprache und Einbindung in den Verein mit Beteiligung bei bestimmten Aufgaben
bzw. Projekten, die Qualifizierung, frühe Einbeziehung der Jugendlichen
sowie die Förderung des Zusammenwirkens mit hauptamtlichen Mitarbeitern
und "Funktionären". Gerade die oft angeführte zunehmende
Individualisierung in der Gesellschaft weist auf die Notwendigkeit angepaßter
Mitarbeiterrekrutierung vor allem durch persönliche Kontakte und Basisnähe
des Vorstandes hin. Aus der FISAS-Studie 1991 gibt es ernstzunehmende Hinweise,
daß Klagen über die Schwierigkeit, ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen,
häufig eher eine Folge des Rekrutierungsprozesses als mangelnder Motivation
der Mitglieder sein könnten. Der Deutsche Sportbund hat mit seinem Personalentwicklungs-Programm
im Rahmen der Kampagne "Sportvereine - für alle ein Gewinn" die
Verbesserung der Mitarbeitergewinnung eingeleitet.
Die Ausweitung staatlichen Handelns hat in den letzten Jahrzehnten nicht nur
zur sozialen Absicherung gegen die großen Risiken in unserer Gesellschaft
geführt, sondern darüber hinaus auch in weiten Teilen der Gesellschaft
zu einem Rückgang eigenverantwortlichen Handelns. Vielfach wird die Verantwortung
für die Behebung von Problemen statt beim einzelnen beim Staat und anderen
Institutionen gesucht. Wo der einzelne sich nicht mehr als "Nächster"
oder zumindest als der Nähere in der Verantwortung sieht, ist er auch weniger
bereit, sich ohne Gegenleistung zu engagieren.
Ein tendenziell größerer Teil der Gesellschaft scheint den Wert einer
Tätigkeit heute zunehmend anhand der finanziellen Gegenleistung zu bemessen.
Auch dies hat Auswirkungen auf das Ansehen ehrenamtlicher Tätigkeit, die
"umsonst" erbracht wird. Die Stärkung des Bewußtseins für
die Eigenverantwortlichkeit und des Gemeinsinns ist daher neben der Beachtung
der vielfältigen Motive zu ehrenamtlicher Arbeit eine wichtige Grundlage
für die Förderung ehrenamtlichen Engagements.
Verschiedene Untersuchungen zeigen ein scheinbares Desinteresse von Frauen an
der Politik und am Engagement in politischen Parteien. Bei Frauen zwischen 20
und 30 Jahren stagniert das politische Interesse, während es sich bei Männern
in dieser Altersspanne sprunghaft weiterentwickelt. Ein entscheidender Grund
liegt vermutlich darin, daß sich zentrale Lebensereignisse wie Ausbildungsabschluß
und Berufseinstieg, Heirat und Familiengründung bei Frauen häufiger
als bei Männern auf diese gedrängte Zeitspanne konzentrieren. Frauen
fehlt in diesen Jahren oft die Zeit, sich politisches Wissen anzueignen, was
die Anteilnahme und damit auch das Engagement in politischen Fragen behindert.
Unterlegenheits- oder Ohnmachtsgefühle können hinzutreten und die
Vorbehalte gegenüber politischen Aktivitäten verstärken. Aber
auch Frauen, die sich engagieren möchten, stoßen häufig auf
Barrieren: Neben dem Zeitfaktor wirken sich insbesondere innerverbandliche Strukturen,
Diskussionsstil und Umgangsformen, aber auch zum Teil noch immer vorhandene
Vorurteile gegenüber weiblichem Engagement negativ aus. Das erklärt
auch, warum Frauen eher bei unkonventionellen Formen des Engagements, z.B. bei
Unterschriftensammlungen, Boykottaktionen oder Demonstrationen, genauso aktiv
sind wie Männer. [...]
IV Maßnahmen zur Aufwertung
ehrenamtlicher Tätigkeit
16. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß ehrenamtliche Tätigkeit
mittels einer breit angelegten Kampagne stärker ins Bewußtsein des
öffentlichen Interesses gerückt werden muß?
Wenn ja, welche Maßnahmen beabsichtigt sie zu ergreifen?
Wenn nein, welche Gründe stehen dem entgegen ?
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren mit den vielfältigen
Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit, wie z.B. Studien und Informationsbroschüren,
Veranstaltungen und Wettbewerbe, und durch die Förderung der entsprechenden
Arbeit bundesweit tätiger Verbände große Anstrengungen unternommen,
die dazu beitragen, die Bedeutung, die Möglichkeiten und die Verdienste
ehrenamtlich Tätiger im Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit
zu verankern.
Bereits in seiner Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 gab der Bundeskanzler
das Startzeichen für die bedeutendste derartige Initiative, als er ankündigte
: Wir werden einen Wettbewerb sozialer Initiativen ins Leben rufen und besondere
Beispiele praktizierter Mitmenschlichkeit auszeichnen. Wir wollen in der Bundesrepublik
nicht nur über die schlechten Beispiele klagen, sondern wir wollen durch
gute Beispiele Zeichen setzen. Daraus wurde die Aktion "Reden ist Silber.
Helfen ist Gold", die 1983/84 für private Initiativen - mit einer
Beteiligung von mehr als 3000 Menschen - und 1985/86 für Ehrenamtliche
in der Freien Wohlfahrtspflege und der Altenarbeit durchgeführt wurde.
Aus diesem breiten Spektrum eindrucksvoller Beispiele hat der Bundeskanzler
zweimal stellvertretend für alle, die durch ihr Handeln und ihre praktizierte
Mitmenschlichkeit ein Beispiel geben, Vertreterinnen und Vertreter ausgewählter
Initiativen in Bonn empfangen und ausgezeichnet.
Darüber hinaus sollen aus der Fülle der öffentlichkeitswirksamen
Maßnahmen zur Aufwertung des Ehrenamtes nur einige beispielhaft herausgegriffen
werden:
· die Übernahme der Schirmherrschaft über die Kampagne des
Deutschen Sportbundes "Sportvereine - für alle ein Gewinn" durch
den Bundeskanzler;
· die Informationsbörsen für Frauen, die vom Bundesministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) betreut werden und die
in größeren und kleineren Städten über die vielfältigen
Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen vor Ort informieren ;
· die Preise für beispielhafte generationenübergreifende Aktivitäten,
die 1995 im Rahmen des Wettbewerbs "Solidarität der Generationen"
von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vergeben
worden sind;
· oder Informationsdienst KABI (Konzertierte Aktion Bundesjugendplan
Innovationen), der, herausgegeben vom BMFSFJ, praktische Erfahrungen der Jugendarbeit
vermittelt;
· die Informationsbroschüre des BMFSFJ zum Freiwilligen Sozialen
und Freiwilligen Ökologischen Jahr;
· zur Gewinnung ehrenamtlicher Helfer in der Psychiatrie werden über
die dem Bundesministerium für Gesundheit nachgeordnete Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Veröffentlichungen gefördert
(Broschüre "Partner sein", "Plakatserie zur Förderung
des Ehrenamtes" und Faltblätter).
Besonders geeignet erscheinen
der Bundesregierung auch öffentlichkeitswirksame Maßnahmen aus der
Mitte der Gesellschaft selbst. So hat z.B. die 1957 gegründete unabhängige
bundesweite Bürgerinitiative Aktion Gemeinsinn e.V. in den Jahren 1994/95
unter dem Motto "Mensch ! Tu was!" zu verstärkter ehrenamtlicher
Tätigkeit in allen Organisationsbereichen und Selbsthilfegruppen aufgerufen.
Der Vorschlag einer umfassend angelegten Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung
zugunsten ehrenamtlicher Arbeit findet bei den Trägern sowohl Ablehnung
als auch Unterstützung. Die Befürworter von Öffentlichkeitsmaßnahmen
betonen die Notwendigkeit der Einbeziehung der Vereine und Initiativen sowie
der Medien, der Durchführung konkreter Aktionen vor Ort und der Darstellung
des breiten Spektrums ehrenamtlicher Arbeit. Die vorgebrachten Einwände
beziehen sich insbesondere darauf, daß solche Maßnahmen der Bundesregierung
angeblich das Ziel hätten, von der Tatsache abzulenken, daß für
das Ehrenamt keine weiteren finanziellen Mittel bereitgestellt werden können.
Die Bundesregierung hält diese Einwände für nicht stichhaltig.
Sie bleibt bei ihrer Haltung, daß ehrenamtliche Arbeit ehrenamtlich bleiben
soll - und das heißt unbezahlt. Gerade das aber macht deutlich, wie wichtig
es ist, die Bedeutung und die Verdienste ehrenamtlich Tätiger hervorzuheben
und öffentlich zu würdigen sowie öffentlich dafür zu werben.
Hier stehen nicht allein die Träger ehrenamtlicher Arbeit sowie die vor
Ort in den Ländern und Kommunen Verantwortlichen in der Pflicht, auch die
Bundesregierung sieht sich mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit in der Verantwortung
für die Würdigung von und Werbung für ehrenamtliche und freiwillige
Arbeit.
Die Bundesregierung sieht es als wichtige Aufgabe an, zusammen mit allen Beteiligten,
den Kirchen, den Verbänden und Vereinen, den Parteien, den Ländern
und Gemeinden, in gemeinsamen Anstrengungen die ehrenamtliche Arbeit aus ihrem
häufig anzutreffenden Schattendasein herauszuholen. Gefordert sind insbesondere
auch die Medien, sich verstärkt dieses Themas anzunehmen. Die Bundesregierung
wird jedenfalls auch in Zukunft dem Ehrenamt im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit
große Bedeutung zumessen.
Öffentlichkeitsarbeit allein, sei es durch staatliche Stellen oder durch
die Träger, reicht jedoch nicht aus, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter zu gewinnen. Entscheidend ist vielmehr auch die persönliche
Ansprache von möglichen Interessierten vor Ort.
17. Durch welche finanziellen Maßnahmen fördert die Bundesregierung ehrenamtliche Tätigkeit, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung darüber hinaus?
Steuerliche Maßnahmen
Im Einkommensteuergesetz (EStG) gibt es keine spezielle Regelung für ehrenamtliche
Tätigkeiten. Das EStG setzt die Erzielung von Einkünften voraus und
nennt in § 2 Abs. 1 die Einkünfte, die der Einkommensteuer unterliegen.
Aufwendungen, die im Zusammenhang mit diesen Einkünften stehen, können
entweder als Betriebsausgaben im Rahmen des § 4 EStG oder als Werbungskosten
im Rahmen des § 9 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte berücksichtigt
werden.
Aus Vereinfachungsgründen können nach § 3 Nr. 26 EStG Aufwendungen
für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder,
Erzieher oder für eine vergleichbare nebenberufliche Tätigkeit sowie
die nebenberufliche Pflege alter, kranker oder behinderter Menschen im Dienst
oder Auftrag einer inländischen juristischen Person des öffentlichen
Rechts oder einer unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes
fallenden Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger
oder kirchlicher Zwecke ohne Einzelnachweis pauschal bis zur Höhe von 2400
DM im Jahr von den entsprechenden Einnahmen abgezogen werden. Es handelt sich
um eine Aufwandspauschale, die entsprechende Einkünfte voraussetzt. Die
sich hieraus ergebenden Steuerausfälle schätzt die Bundesregierung
1996 auf 450 Mio DM.
Forderungen, die Aufwandspauschale des § 3 Nr. 26 EStG anzuheben und sie
auch anderen ehrenamtlich oder nebenberuflich Tätigen zu gewähren,
sind wiederholt vom Deutschen Bundestag abgelehnt worden. Eine Erhöhung
des Betrages müßte wegen des Gleichheitsgrundsatzes alle in §
3 Nr. 26 EStG genannten Tätigkeiten im Dienst oder Auftrag juristischer
Personen des öffentlichen Rechts und gemeinnütziger Organisationen
umfassen und wäre fiskalisch nicht zu verkraften. Bei Vorlage von Einzelnachweisen
können bei jeder Art von ehrenamtlicher Tätigkeit - wie bei anderen
Einkünften auch - entsprechend den §§ 4 und 9 EStG auch höhere
Aufwendungen von den entsprechenden Einnahmen abgezogen werden.
Hat eine ehrenamtlich tätige Person gegenüber einer Körperschaft,
die zum Empfang steuerlich abzugsfähiger Zuwendungen berechtigt ist, einen
Vergütungs- oder Aufwendungsersatzanspruch, so kann der Verzicht auf die
Vergütung oder Erstattung unter den Sonderausgaben als sogenannte Aufwandsspende
steuerlich berücksichtigt werden (§ 1Ob Abs. 3 Satz 3 und 4 EStG).
Dies setzt voraus, daß aufgrund eines Vertrages oder einer Satzung ein
Anspruch auf die Vergütung oder die Erstattung der Aufwendungen besteht
und auf die Erstattung des wirksam entstandenen Anspruchs verzichtet worden
ist. Der Anspruch darf jedoch nicht unter der Bedingung des Verzichts eingeräumt
worden sein.
Mittelbar wird ehrenamtliche Tätigkeit im gemeinnützigen Bereich auch
dadurch gefördert, daß den gemeinnützigen Körperschaften
erhebliche Steuervergünstigungen gewährt werden. So war es das erklärte
Ziel des Vereinsförderungsgesetzes vom 18. Dezember 1989, die ehrenamtlich
in den gemeinnützigen Vereinen tätigen Bürger durch eine Vereinfachung
der Vereinsbesteuerung soweit wie möglich von aus steuerlichen Gründen
notwendigen Arbeiten zu entlasten. Dieses Ziel wurde u. a. durch die Einführung
einer Besteuerungsgrenze, nach der bei Bruttoeinnahmen aus steuerpflichtigen
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben bis zu insgesamt 60000 DM im Jahr keine
Körperschaft- und Gewerbesteuern erhoben werden (§ 64 Abs. 3 der Abgabenordnung),
erreicht.
Eine darüber hinausgehende steuerliche Förderung ehrenamtlicher Tätigkeit
ist nach Ansicht der Bundesregierung derzeit nicht möglich. Auch unabhängig
von Haushaltserwägungen wäre es gesellschaftspolitisch fragwürdig,
jedwedes ehrenamtliche, gemeinnützige oder altruistische Engagement steuerlich
oder durch eine Prämie zu "entlohnen".
Berücksichtigung ehrenamtlicher Tätigkeiten in der Sozialversicherung
Rentenversicherung
Die gesetzliche Rentenversicherung beruht auf dem Versicherungsprinzip; ihre
Leistungen werden in der Hauptsache durch Beiträge finanziert. Eine Rente
kann daher grundsätzlich nur aus Zeiten gewährt werden, in denen eine
Vorleistung gegenüber der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten erbracht
worden ist.
Daher berücksichtigt das geltende Rentenrecht ehrenamtliche Tätigkeit
in den Fällen, wo ein Zusammenhang mit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung
besteht, aus der Anwartschaften in der Rentenversicherung begründet werden:
1. Es wird eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt, deren
Arbeitsentgelt wegen einer daneben ausgeübten nichtversicherungspflichtigen
ehrenamtlichen Tätigkeit gemindert ist. Hier gilt auch der Betrag zwischen
dem tatsächlichen - wegen der ehrenamtlichen Tätigkeit geminderten
- Entgelt und dem Entgelt, das ohne die ehrenamtliche Tätigkeit erzielt
worden wäre (höchstens jedoch bis zur Beitragsbemessungsgrenze), als
Arbeitsentgelt, soweit der Arbeitnehmer dies beim Arbeitgeber beantragt. Dies
gilt jedoch nur, wenn die ehrenamtliche Tätigkeit für bestimmte Institutionen
ausgeübt wird, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche
Zwecke verfolgen.
2. Es wird eine versicherungspflichtige ehrenamtliche Tätigkeit aufgenommen,
und im vergangenen Kalenderjahr sind freiwillige Beiträge entrichtet worden.
Voraussetzung für die Versicherungspflicht der ehrenamtlichen Tätigkeit
ist, daß die gezahlte Aufwandsentschädigung als Arbeitsentgelt anzusehen
ist. In einem solchen Fall gilt jeder Betrag zwischen dem Arbeitsentgelt und
der Beitragsbemessungsgrenze als Arbeitsentgelt, wenn der Versicherte dies beim
Arbeitgeber beantragt. Dies gilt nur für ehrenamtliche Tätigkeiten
für Körperschaften des öffentlichen Rechts.
Die Sicherung von ehrenamtlich
tätigen Pflegepersonen ist mit dem Pflege-Versicherungsgesetz erheblich
verbessert worden. Die Träger der Pflegeversicherung entrichten seit 1.
April 1995 für Pflegepersonen, die nicht erwerbsmäßig einen
Pflegebedürftigen wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen
Umgebung pflegen und daneben nicht oder zumindest nicht mehr als 30 Stunden
wöchentlich erwerbstätig sind, Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Höhe der Beitragszahlung richtet sich nach der Pflegestufe des Pflegebedürftigen
und dem Umfang der wöchentlichen Pflegetätigkeit. Die monatliche Beitragszahlung
der Pflegekassen bewegt sich zwischen rund 211 DM und 634 DM monatlich. Damit
wird die ehrenamtliche Pflegetätigkeit rentenversicherungsrechtlich weitgehend
einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Die Pflegezeiten wirken sich seither
als Pflichtbeitragszeiten sowohl rentenbegründend als auch rentensteigernd
aus.
Regelungen, die eine Ausweitung des Katalogs der beitragsfreien Zeiten für
ehrenamtlich Tätige, die keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung
nachgehen, vorsehen, ohne daß für diese Zeiten Beiträge gezahlt
werden oder der Rentenversicherung der aus der Anrechnung solcher Zeiten resultierende
Aufwand ersetzt wird, können nicht in Betracht gezogen werden. Dem sozialen
Charakter der Rentenversicherung entsprechend können zwar auch Zeiten,
in denen Versicherte aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen an einer
Beitragsleistung gehindert waren, angerechnet werden; solche Zeiten lassen sich
jedoch nicht weiter ausweiten. Dies gilt erst recht in einer Zeit, in der zur
Bewältigung der Probleme aufgrund der Wirtschaftsentwicklung und ihrer
Auswirkungen auf die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung Einschränkungen
bereits notwendig waren und künftig sein werden.
Von daher besteht für ehrenamtlich Tätige, die nicht einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung nachgehen, nur die Möglichkeit, eine rentenrechtliche
Absicherung durch eigene oder durch den Träger erfolgende freiwillige Beitragszahlungen
herbeizuführen.
Unfallversicherung
Ein Versicherungsschutz für Ehrenamtliche gegen Unfallgefahren infolge der ehrenamtlichen Tätigkeit durch die gesetzliche Unfallversicherung besteht nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter folgenden Voraussetzungen:
1. Personen sind gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten kraft Gesetzes versichert, wenn sie im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege - auch selbständig, unentgeltlich oder ehrenamtlich - tätig sind, soweit die Tätigkeit berufsmäßig oder überwiegend ausgeübt wird. Eine Tätigkeit in der Wohlfahrtspflege muß geprägt sein durch planmäßige, zum Wohl der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte vorbeugende oder abhelfende unmittelbare Hilfeleistung für gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete Mitmenschen.
2. Ferner sind die für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder eine andere Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen kraft Gesetzes vom Unfallversicherungsschutz erfaßt.
Gemäß Angaben des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand sind nach § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO rund 1,7 Millionen ehrenamtlich Tätige versichert. Hierbei handelt es sich um einen Personenkreis, der auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene ehrenamtliche Tätigkeiten wahrnimmt.
Maßnahmen auf der Ausgabenseite
Die Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeiten erfolgt zudem durch finanzielle
Maßnahmen aus dem Bundeshaushalt. Hier sind in erster Linie die Erstattung
von Reisekosten und von solchen Ausgaben zu nennen, die aus der ehrenamtlichen
Tätigkeit erwachsen.
Darüber hinaus erhalten zahlreiche Organisationen, insbesondere die Kirchen,
Wohlfahrtsverbände, Stiftungen, Selbsthilfegruppen, Arbeitsgemeinschaften
und Vereine sowie kommunale Träger Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt,
die auch ehrenamtliche Tätigkeiten, die Qualifikation und Fortbildung Ehrenamtlicher
sowie die Gewinnung ehrenamtlicher Helfer unterstützen.
Sowohl die nicht unerhebliche indirekte Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeiten
als auch die Höhe der Zuwendungsmittel, die unmittelbar im Zusammenhang
mit der Förderung der ehrenamtlichen Tätigkeiten bei den o.a. Zuwendungsempfängern
stehen, lassen sich jedoch nicht zahlenmäßig darstellen oder als
konkrete finanzielle Größe haushaltsbezogen erfassen.
Die Bundesregierung sieht angesichts der schwierigen Haushaltslage keine Möglichkeit,
ehrenamtliche Tätigkeiten aus dem Bundeshaushalt über das bisherige
Maß hinaus ohne entsprechende Einsparungen bzw. Umschichtungen an anderer
Stelle zu fördern. Auch in einer solchen Zeit wird die ehrenamtliche Tätigkeit
in unserer Gesellschaft nichts an Bedeutung einbüßen.
Durch die Verfassung sind die Möglichkeiten des Bundes begrenzt. Die Hauptverantwortung
für die Unterstützung der klassischen Bereiche ehrenamtlicher Tätigkeit
liegt bei den Ländern und Kommunen, die ebenfalls mit unterschiedlichsten
Ansätzen ehrenamtliche Tätigkeit fördern. Dem Bund bleibt jedoch
die Möglichkeit, Modellprojekte und bundeszentrale, überregionale
Strukturen zu fördern. Dieser Verantwortung kommt die Bundesregierung in
großem Umfang nach.
Darüber hinaus ergänzt der Bund den Katastrophenschutz der Länder
aus Gründen des Zivilschutzes in den Aufgabenbereichen Brandschutz, ABC-Schutz,
Sanitätswesen und Betreuung und finanziert hierzu Einsatzfahrzeuge, Ausstattung
und Ausbildung für Zivilschutzzwecke in Höhe von rund 110 Mio DM (für
1996). Er trägt dadurch dazu bei, daß ehrenamtliche Helfer in ihren
Organisationen im Katastrophenschutz der Länder und Kommunen mitwirken.
Die ehrenamtlichen Helfer der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) nehmen
im Zivilschutz die Aufgabe "Bergung" wahr und verstärken dadurch
ebenfalls den vom Bund ergänzten Katastrophenschutz der Länder und
Kommunen. Hierfür steht dem THW jährlich ein Betrag von 190 Mio DM
zur Verfügung. Neben der finanziellen Förderung der ehrenamtlichen
Tätigkeit werden auch weiterhin Helfer für den Dienst im Katastrophenschutz
vom Wehrdienst freigestellt (vgl. Antworten zu den Fragen 6 und 7). Der Arbeitskreis
V der Konferenz der Innenminister der Länder berät gegenwärtig
über Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Attraktivität
ehrenamtlicher Tätigkeit im Brand- und Katastrophenschutz.
18. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, daß eine bessere finanzielle Ausstattung den Zugang zu ehrenamtlicher Tätigkeit für Bürgerinnen und Bürger erleichtern würde oder ist sie der Auffassung, daß eine über das bisherige Maß hinausgehende finanzielle Ausstattung ehrenamtlicher Tätigkeit deren gesellschaftlicher Bewertung Abbruch tun würde?
In der öffentlichen Diskussion finden in bezug auf die Verbesserung der
Rahmenbedingungen für ehrenamtliche Arbeit die Vorschläge die größte
Beachtung, die eine direkte finanzielle Förderung des Ehrenamts zum Ziel
haben. Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß eine solche Diskussion
der Natur des Ehrenamts nicht nur nicht gerecht wird, sondern ihm sogar schadet.
Diese Auffassung wird von vielen Verbänden und Organisationen ausdrücklich
geteilt. Einige von ihnen messen der Förderung von konkreten Projekten,
in denen ehrenamtliche Arbeit geleistet wird, eine größere Bedeutung
zu als einer generellen finanziellen Förderung des Ehrenamts.
Es darf nicht die Erwartung geweckt werden, als wäre am Ende die bezahlte
ehrenamtliche Arbeit möglich. Ehrenamtliche Arbeit muß mehr Anerkennung
finden, aber sie muß ehrenamtlich bleiben, will sich die Gesellschaft
nicht ihrer Ressourcen an Menschlichkeit berauben. Die Träger sind in der
Pflicht, dafür zu sorgen, daß ehrenamtliche Tätigkeit allen
Bürgerinnen und Bürgern möglich ist. Freiwillige und ehrenamtliche
Tätigkeit sollte nicht von der finanziellen Leistungskraft des einzelnen
abhängen.
Im übrigen verweist die Bundesregierung auf ihre diesbezüglichen Ausführungen
zu den Fragen 1, 10 und 17.
19. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um bei Arbeitgebern - auch bei den öffentlichen - mehr Verständnis für die ehrenamtliche Tätigkeit der Beschäftigten zu wecken und diese auch im beruflichen Werdegang und bei der beruflichen Qualifizierung anzuerkennen und anzurechnen?
Die Bundesregierung weist darauf hin, daß von vielen privaten Arbeitgebern
die in der ehrenamtlichen Arbeit erworbenen Qualifikationen bereits bei der
Einstellung anerkannt und gewürdigt werden und hofft, daß sich diese
Praxis noch stärker durchsetzt. Auch ist eine zunehmende Unterstützung
der ehrenamtlichen Tätigkeit durch private Arbeitgeber zu beobachten, die
sich an die Regelungen des öffentlichen Dienstes anlehnt. Insbesondere
Mitarbeiter, welche ein (kommunal)-politisches Mandat anstreben oder innehaben,
werden in größeren Unternehmen häufig hierfür freigestellt,
ohne berufliche oder finanzielle (etwa Anrechte auf Betriebsrenten) Nachteile
zu erleiden. Für bestimmte berufliche Tätigkeiten im sozialen Bereich
sind einschlägige Erfahrungen durch privates, ehrenamtliches Engagement
von großem Vorteil, mitunter sogar Einstellungsvoraussetzung.
Da sich ehrenamtliche Tätigkeit grundsätzlich dadurch auszeichnet,
daß sie nicht auf geldwerte Vorteile ausgerichtet ist, hält die Bundesregierung
es auch nicht für zweckmäßig, durch finanzielle Anreize oder
gesetzlich verordnete Anrechnungen bei privaten Arbeitgebern das Verständnis
für ehrenamtliche Tätigkeit zu vertiefen. Vielmehr bestände dann
die Gefahr, das Feld der eigentlichen Ehrenamtlichkeit zu verlassen und den
Bereich des Zweiten Arbeitsmarktes zu betreten. Zudem könnten sich solche
Fördermaßnahmen im nachhinein auch als Einstellungshindernis herausstellen.
Das geltende Recht des öffentlichen Dienstes bietet Möglichkeiten,
der ehrenamtlichen Tätigkeit von Bediensteten entgegenzukommen. In erster
Linie gilt dies für die Vorschriften über den Sonderurlaub und die
Arbeitsbefreiung. Entsprechende Regelungen bestehen für die Angestellten
und Arbeiter des Bundes nach den jeweiligen Tarifverträgen bzw. auch außerbetrieblich
in Anlehnung an die genannten beamtenrechtlichen Bestimmungen. Die Praxis auf
diesem Gebiet zeigt auch, daß es an Verständnis für die ehrenamtliche
Tätigkeit von Angehörigen des öffentlichen Dienstes im allgemeinen
nicht fehlt. Dagegen bereitet es Schwierigkeiten, ehrenamtliche Tätigkeiten
als solche im beruflichen Werdegang anzurechnen oder sie als Elemente der beruflichen
Qualifizierung anzuerkennen. Dies widerspräche dem Leistungsprinzip, welches
die berufliche Förderung allein von Eignung, Befähigung und fachlicher
Leistung abhängig macht. Dem steht allerdings nicht entgegen, daß
bei der Beurteilung der Eignung auch Erfahrungen und Fähigkeiten aus ehrenamtlicher
Tätigkeit einbezogen werden, sofern sich diese auch in der beruflichen
Qualifikation niederschlagen.
Im Rahmen der dualen Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz bzw. der Handwerksordnung
ist jede einschlägige frühere Beschäftigung oder Vorbildung gemäß
§ 29 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes bzw. § 27a Abs. 2 der Handwerksordnung
auf die Ausbildungszeit in dem Umfang anzurechnen, der in bezug auf den jeweiligen
Ausbildungsberuf fachlich angemessen ist. Das gilt auch für ehrenamtliche
Tätigkeiten.
Die Bundesregierung hält es für erwägenswert, Qualifikationen,
die im Zusammenhang mit ehrenamtlicher Tätigkeit erworben werden, auch
im Rahmen der Zulassung zu einschlägigen schulischen und hochschulischen
Ausbildungs- und Studiengängen und deren Durchführung anzuerkennen.
Sie fordert die hierfür in erster Linie zuständigen Länder auf,
die entsprechenden Zulassungs-, Ausbildungs- und Studienordnungen auf die Möglichkeiten
der stärkeren Anerkennung hin zu überprüfen.
20. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um bürokratische Hemmnisse (Verwendungsnachweise, Genehmigungsverfahren etc.) bei Bund, Ländern und Gemeinden für ehrenamtlich Tätige abzubauen?
Die Bundesregierung ist grundsätzlich bemüht, bei der Konkretisierung
der durch das Verwaltungsverfahrensgesetz vorgegebenen sehr weiten Rahmenbedingungen
die ehrenamtlich Tätigen nicht mehr als notwendig zu belasten. Wegen der
Vielzahl und Vielfalt freiwilliger Tätigkeiten kann meist nur am konkreten
Einzelfall geprüft werden, ob Vorschriften möglicherweise zu eng gefaßt
oder Verwaltungsabläufe zu kompliziert gestaltet sind. Entsprechenden Hinweisen
geht die Bundesregierung nach, um auftretenden Schwierigkeiten jeweils mit geeigneten
Maßnahmen zu begegnen.
Ehrenamtliche Tätigkeiten, die in der Mehrzahl der Fälle im kommunalen
Raum angesiedelt sind, unterliegen insbesondere einer Vielzahl von Regelungen,
die durch die Länder und Kommunen erlassen werden. Hierauf hat die Bundesregierung
keinen Einfluß.
Für ihre eigene Zuständigkeit hat die Bundesregierung, z. B. für
den Kinder- und Jugendplan des Bundes (KP), bereits in den vergangenen Jahren
die Finanzierung weitgehend auf die vereinfachte Form der Festbetragsfinanzierung
umgestellt. Gemeinsam mit dem Förderausschuß des Bundesjugendkuratoriums
werden darüber hinaus die Verwaltungsabläufe ständig auf mögliche
Erleichterungen untersucht und soweit wie möglich sofort umgesetzt.
21 Ist der Bundesregierung
bekannt, welche Maßnahmen die einzelnen Bundesländer zur Aufwertung
ehrenamtlicher Tätigkeit getroffen haben?
Wenn ja, welche sind diese?
Aus Berichten der Länderregierungen und den zahlreichen Antworten auf parlamentarische
Anfragen der Länderparlamente ist der Bundesregierung bekannt, daß
die Bundesländer es angesichts der allgemein sehr hoch bewerteten Bedeutung
ehrenamtlichen Engagements für die Gesellschaft als ihre Aufgabe ansehen,
die Rahmenbedingungen und Grundlagen für die Entfaltung dieses Engagements
zu erhalten und zu verbessern. Die meisten Gleichstellungs- bzw. Frauenfördergesetze
der Länder enthalten Klauseln über die Berücksichtigung der Familienarbeit
und teilweise der ehrenamtlichen Sozialarbeit als Qualifikationsmerkmal in geeigneten
Fällen bei Einstellung und beruflichem Aufstieg. Hinzu kommen Rechtsvorschriften
in bezug auf Sonderurlaub, Aufwandsentschädigungen und Versicherungsschutz
für ehrenamtlich Tätige, steuerrechtliche Regelungen für Körperschaften
und Vereine, bereichsspezifische Förderprogramme sowie Richtlinien für
institutionelle und projektbezogene finanzielle Zuwendungen. Auch werden Überlegungen
zur Betreuung der Kinder ehrenamtlich Tätiger angestellt.
Darüber hinaus bestehen zahlreiche Formen der Information, der Beratung
und der Fortbildung im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich durch Institutionen
und Einrichtungen der Länder sowie durch Verbände und Hilfsorganisationen.
Zu den von einigen Landesregierungen gesetzten Rahmenbedingungen zählt
auch die Verwendung von bestimmten Erträgen der Lottogesellschaften zur
Förderung des Sports und der Jugendarbeit.
Aus den Berichten geht hervor, daß die Länderregierungen es als ihre
Verpflichtung ansehen, den im ehrenamtlichen Engagement zum Ausdruck gebrachten
Bürgersinn für das Gemeinwesen durch Ehrung von verdienten Bürgerinnen
und Bürgern und Würdigung ihrer Leistungen immer wieder aufs neue
in das Bewußtsein der Gesellschaft zu rufen und damit Achtung und Anerkennung
des Ehrenamts in der Gesellschaft wachzuhalten.
Von vielen Ländern wird aber gleichermaßen betont, daß nicht
nur die öffentliche Anerkennung des Ehrenamtes für die Bereitschaft
zum ehrenamtlichen Engagement von Bedeutung ist, sondern im gleichen Maße
die Anerkennung durch das soziale und gesellschaftliche Umfeld.
Die formellen Würdigungen des Ehrenamtes sowie der äußere Rahmen,
in dem diese Ehrungen und Würdigungen vorgenommen werden, sind von Land
zu Land unterschiedlich und entsprechen ebenso unterschiedlich langen Traditionen.
Dies drückt sich z.B. in der Vielfalt der Auszeichnungen wie z. B. Verdienstmedaillen
und Ehrenzeichen als sichtbares Zeichen der Ehrung und Würdigung aus.
Die Würdigung der Verdienste im Ehrenamt wird nicht selten vom fachlich
zuständigen Ressortminister oder bei herausragenden Anlässen auch
vom Ministerpräsidenten selbst im Rahmen eines Festaktes (z. B. beim Neujahrsempfang)
vorgenommen.
Auszeichnungen dieser Art können sogar, wie z.B. der Bürgerpreis des
Landes Baden-Württemberg, mit einer Geldprämie verbunden sein.
Vielfach wird aber auch eingeräumt, daß traditionelle Formen der
Würdigung von Leistung und der Verleihung von Ehrenzeichen vor allem bei
jüngeren Menschen nicht unbedingt einen Anreiz zum Engagement bewirken.
Angesichts der auch von den Hilfsorganisationen und Sportverbänden geäußerten
Besorgnis, daß es immer schwerer falle, vor allem junge Menschen für
ehrenamtliche Mandate zu motivieren, sind aus der Sicht der Landesregierungen
neue Konzeptionen notwendig, um dem Ehrenamt wieder mehr soziale Beachtung und
höhere öffentliche Anerkennung zu verschaffen. Diese neueren Konzeptionen
sind zum Teil schon mit Erfolg realisiert worden.
· So haben z. B. der Landessportbund Nordrhein-Westfalen und das Kultusministerium
des Landes unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten das Jahr
1993 zum "Jahr des Ehrenamts" erklärt. In über 400 Veranstaltungen
wurden Grundsätze und Probleme ehrenamtlichen Engagements aufgearbeitet
und ehrenamtliche Leistungen öffentlich hervorgehoben.
· Baden-Württemberg hat 1993 in vier Städten des Landes in
Modellprojekten, den "Seniorengenossenschaften", neue Formen bürgerschaftlichen
Engagements und der Selbsthilfe älterer Menschen erprobt und ausgehend
von diesen Erfahrungen die "Initiative 3. Lebensalter" ins Leben gerufen.
Diese Initiative wurde im Rahmen der Zusammenarbeit europäischer Regionen
als "Europäisches Netzwerk bürgerschaftlichen Engagements und
Selbsthilfe im dritten Lebensalter" von der Europäischen Union gefördert.
· Bayern hat 1994 zum "Jahr des Ehrenamts" erklärt. In
besonderen Veranstaltungen, Veröffentlichungen und Ehrungen wurden die
großen, durch ehrenamtliches Engagement erbrachten gesellschaftlichen
Leistungen verstärkt ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt.
Das Jahr des Ehrenamts hat darüber hinaus wichtige, in die Zukunft weisende
Denkanstöße gegeben. Im Juli 1994 hat der Bayerische Landtag das
Gesetz über das Ehrenzeichen des Bayerischen Ministerpräsidenten beschlossen,
das jährlich bis zu 2 000 Personen für langjährige ehrenamtliche
Tätigkeit würdigt.
· Rheinland-Pfalz hat seit 1971 mit dem Ehrensoldgesetz eine Rechtsgrundlage,
nach der früheren ehrenamtlichen Bürgermeistern, Beigeordneten und
Ortsvorstehern ein lebenslanger Ehrensold gewährt werden kann. Er gilt
als Anerkennung für die langjährige Tätigkeit im gemeindlichen
Dienst und als Ausgleich für Einbußen, die möglicherweise im
Berufsleben bzw. in der Alterssicherung entstanden sind.
· Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern hat 1995 erstmals einen
Landespräventionspreis zum Leitthema "Schutz älterer Mitbürger
vor Kriminalität" ausgelobt. Der Preis soll die beispielhaften ehrenamtlichen
Vorbeugungsinitiativen würdigen und ihnen eine erhöhte Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit verschaffen, aber er soll auch zur aktiven Mitarbeit
in der Kriminalitätsvorbeugung anregen.
· In Sachsen trat 1993 die "Aktion 55" mit Beschluß des
Kabinetts in Kraft. Die Aktion soll helfen, ein neues Verständnis bürgerschaftlicher
Mitsorge, Mitverantwortung und Mithilfe zu schaffen, und die Bereitschaft fördern,
ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Das Programm wendet sich
in erster Linie an die 55- bis 60jährigen, die, trotz großer Berufs-
und Lebenserfahrung, mit dem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben konfrontiert
sind. Ihnen werden in Projekten der Jugendlichen- und Seniorenbetreuung, im
Umweltschutz, in der Arbeitslosen- und Ausländerbetreuung und anderen Projektbereichen
die Möglichkeit und Gelegenheit für eine sinnvolle und befriedigende
ehrenamtliche Tätigkeit außerhalb des Arbeitsmarktes, aber mitten
in der Gesellschaft geboten. Den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
wird unter bestimmten Förderungsvoraussetzungen eine steuerfreie Aufwandsentschädigung
von monatlich 200 DM gezahlt.
· In Brandenburg besteht seit 1994 das Förderprogramm "55 Aufwärts",
das sich an den gleichen Personenkreis wie in der sächsischen "Aktion
55" wendet. Die Landesregierung macht jedoch auch deutlich, daß ehrenamtliche
Tätigkeit kein Ersatz für nicht vorhandene Beschäftigungsmöglichkeiten
ist. Gefördert wird das soziale Engagement in gemeinnützigen Vereinen
und Verbänden. Selbsthilfeeinrichtungen, Kirchengemeinden und Gebietskörperschaften
für alte, behinderte und kranke Menschen, für Kinder, Jugendliche
und für Familien in schwierigen Situationen, für Aussiedler und Ausländer,
Inhaftierte und Haftentlassene sowie für Obdachlose. Bei der pauschalierten
Aufwandsentschädigung von monatlich 200 DM wird von mindestens 20 Stunden
gemeinnütziger Tätigkeit ausgegangen. Diese Aufwandsentschädigung
ist kein Hinzuverdienst im Sinne des Arbeitsförderungsgesetzes.
Die Sportministerkonferenz
der Länder hat auf ihrer Sitzung im Dezember 1995 die Sportreferentenkonferenz
beauftragt, gemeinsam mit dem Deutschen Sportbund konkrete Vorschläge für
Maßnahmen zur Unterstützung des Ehrenamtes im Sport zu entwickeln.
In den letzten Jahren haben sich in Städten, aber auch im ländlichen
Raum eine Fülle von neuen Initiativen im sozialen Bereich und im Sport,
soziokulturelle Zentren, Kulturwerkstätten, freie Zentren, freie Theatergruppen
etc., zumeist in der Trägerschaft eingetragener Vereine, entwickelt und
allgemeine Akzeptanz gefunden. Diese Einrichtungen sind traditionell eng verbunden
mit den Ideen der Selbsthilfe, Selbstorganisation und Selbstbestimmung, und
sie beziehen in ihre Arbeit auch die Bedürfnisse sozial benachteiligter
Menschen und gesellschaftlicher Randgruppen ein.
Ihre übergreifende Orientierung und Angebotsvielfalt haben sie zu wesentlichen
Faktoren des kommunalen kulturellen Lebens und zu einer Ergänzung des traditionellen
Kulturlebens werden lassen.
Die Förderung dieser Einrichtungen wird in den Ländern unterschiedlich
gehandhabt:
o Baden-Württemberg fördert seit 1987 Maßnahmen zur Ausstattung
von Kulturinitiativen und soziokulturellen Zentren sowie seit 1991 auch Baumaßnahmen.
o Hessen hat erstmals 1992 Fördermittel für soziokulturelle Projekte
in den Haushalt aufgenommen.
o Schleswig-Holstein fördert institutionell die Landesarbeitsgemeinschaft
Soziokultur sowie herausragende Projekte einzelner Zentren.
o Niedersachsen fördert seit 1989 Projekte der Soziokultur und gibt seit
1991 auch Zuschüsse für Baumaßnahmen sowie für die Geschäftsstelle
des Landesverbandes, in dem sich die Zentren zusammengeschlossen haben.
o In den neuen Bundesländern erfolgt die gesamte Vereinsförderung
im Kulturbereich unter dem Etikett "Soziokultur". Schwerpunkte der
Förderung liegen hier bei Bau- und Sanierungsmaßnahmen und in Projekten
und Veranstaltungen gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit.
Die an den genannten Beispielen aufgezeigte Förderung macht deutlich, daß
auch die Länder dem ehrenamtlichen Engagement als Ausdruck einer humanen
Gesellschaft und lebendigen Demokratie große Aufmerksamkeit widmen und
vielfältige Anstrengungen mit dem Ziel unternehmen, den hohen Stellenwert
des Ehrenamts für das Gemeinwohl zu erhalten und auf Dauer zu sichern.
V. Auszeichnungen
22. Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung staatlichen Ehrungen im
Hinblick auf die Bereitschaft zur Übernahme ehrenamtlicher Tätigkeit
zu und welche Möglichkeiten sieht sie, durch Einführung besonderer
Auszeichnungen für ehrenamtlich Tätige dies auf Bundesebene zu dokumentieren?
Die Bundesregierung sieht in staatlichen Auszeichnungen und Ehrungen eine angemessene
und ermutigende Anerkennung ehrenamtlichen Engagements.
Seit Stiftung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland durch Bundespräsident
Theodor Heuss im Jahre 1951 wird dieser regelmäßig vom jeweiligen
Bundespräsidenten auch für ehrenamtlich erbrachte Leistungen verliehen.
Insgesamt spielt das Ehrenamt in der heutigen Verleihungspraxis des Verdienstordens
eine hervorgehobene Rolle. So werden mit der Verdienstmedaille und dem Verdienstkreuz
am Bande Menschen ausgezeichnet, die durch regelmäßigen Einsatz über
längere Zeit Gemeinsinn, Belastungsbereitschaft, Ausdauer sowie Bereitschaft
zur Übernahme von Verantwortung bewiesen haben. Als Beispiele seien genannt:
jahrelange Pflege z.B. von Familienangehörigen, ehrenamtliches Engagement
in der sozialen, karitativen oder Kulturarbeit, langjährige aktive Mitarbeit
in Pfarrgemeinderäten, Vereinen, Personalräten, Tätigkeit als
ehrenamtlicher Bürgermeister, Richter oder Schöffe.
Es ist im übrigen vorgesehen, die Bedeutung der Verdienstmedaille gerade
für den Bereich des Ehrenamtes noch stärker hervorzuheben. Einer besonderen,
d. h. neu zu schaffenden Auszeichnung für ehrenamtlich Tätige durch
die Bundesregierung bedarf es daher nicht.
Die Bundesregierung unterstützt dabei auch das besondere Anliegen des Bundespräsidenten,
mehr Frauen auszuzeichnen. Der derzeitige Frauenanteil der Ordensträger
entspricht in keiner Weise der Bedeutung der Frauen in Staat und Gesellschaft
und dem Umfang der Verdienste, die sich Frauen in unserem Gemeinwesen erworben
haben. Gerade Frauen sind im Bereich ehrenamtlicher sozialer Tätigkeit
in starkem Maß engagiert. Zunehmend wirken und entscheiden sie aber auch
im politisch-gesellschaftlichen Bereich mit. Auszeichnungen könnten gerade
hier motivierend sein und die gewürdigten Personen eine Vorbildfunktion
ausüben.
Neben dem Verdienstorden werden für verschiedene gesellschaftliche Bereiche
weitere Auszeichnungen verliehen, mit denen ehrenamtliches Engagement gewürdigt
wird, z.B. die vom Bundespräsidenten gestifteten Plaketten für Musik-
und Chorvereinigungen sowie für Wander- und Sportvereine, mit denen die
Vereinigungen, nicht aber einzelne Vereinsmitglieder ausgezeichnet werden.
Unterhalb der o.g. staatlichen Ehrungen gibt es vielfältige Formen der
Auszeichnung ehrenamtlicher Tätigkeiten, z.B. Einladungen zu Empfängen
des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und anderer Regierungsmitglieder
oder von Abgeordneten oder Gespräche mit ihnen sowie verbandsinterne Auszeichnungen
und Ehrungen.
23. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einführung eines "Tages des Ehrenamtes" auf Bundesebene und sieht sie in der Hervorhebung des "International Volunteers Day" der Vereinten Nationen eine Möglichkeit, ehrenamtliche Tätigkeit stärker in das Bewußtsein der Bevölkerung zu bringen?
Anläßlich der 10. Wiederkehr des "International Volunteers Day",
des internationalen Entwicklungshelfertags für die wirtschaftliche und
soziale Entwicklung, hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend auf die besondere Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements in einer
Grundsatzrede zum 5. Dezember 1995 hingewiesen, die sie im Rahmen einer gemeinsamen
Veranstaltung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend und des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
zur Bedeutung des Ehrenamtes gehalten hat. Die Präsidentin des Deutschen
Bundestages hat sich zur Bedeutung des Ehrenamtes im gleichen Sinne geäußert.
Solche Veranstaltungen an bestimmten "Gedenk"tagen können Anlaß
sein, sich bewußt mit dem Thema zu beschäftigen und es in das Licht
der Öffentlichkeit zu rücken.
Auch wenn die Ausweitung einer einzelnen Widmung oder die Einführung eines
neu gewidmeten Tages - derzeit gibt es allein z. B. rund 35 jährliche "Gedenk"tage
der Vereinten Nationen - das Gewicht jedes einzelnen schmälern kann, steht
die Bundesregierung der in vielen Bereichen zu beobachtenden Begehung des 5.
Dezember als "Tag des Ehrenamts" offen und zustimmend gegenüber.
Die Bundesregierung sieht vor, auch in Zukunft am 5. Dezember die Bedeutung
ehrenamtlicher Arbeit hervorzuheben und die Leistungen ehrenamtlich Tätiger
zu würdigen. Länder und Kommunen könnten vor allem auch mit dezentralen
Veranstaltungen vor Ort diese Zielsetzung unterstützen. Besonders geeignet
erscheinen der Bundesregierung Veranstaltungsformen, bei denen einzelne ehrenamtlich
Tätige in den Mittelpunkt gestellt und so auch anderen zur Nachahmung empfohlen
werden. Auch die Medien sind in diesem Zusammenhang aufgefordert, dem Thema
die ihm zukommende Bedeutung beizumessen.
Ein Beispiel für mögliche Veranstaltungsformen ist der erste "European
Day an Volunteering", der am 5. Dezember 1995 in Brüssel stattfand
und zu dem europaweit Organisationen, die mit Freiwilligen arbeiten, eingeladen
waren. Veranstalter des 1. Europäischen Tags des Ehrenamts war das "European
Volunteer Centre", ein Zusammenschluß von Freiwilligenzentralen aus
neun europäischen Ländern (Frankreich, Großbritannien, Schottland,
Belgien, Italien, Dänemark, den Niederlanden, Spanien, Schweden). [...]
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag
anerkennt:
Ehrenamtliche Tätigkeit ist unverzichtbarer Bestandteil unseres Gemeinwesens
Der Deutsche Bundestag dankt
den Millionen ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer für ihren selbstlosen,
uneigennützigen und engagierten Einsatz für unsere Gesellschaft. Bürgersinn,
Mitwirkungs- und Verantwortungsbereitschaft sind unverzichtbare Elemente unseres
demokratischen Staatswesens. Sie prägen unser Verständnis von einer
solidarischen Gesellschaft.
Millionen von Bürgerinnen und Bürgern haben sich in den vergangenen
Jahrzehnten aus innerer Bereitschaft freiwillig und unentgeltlich für unser
Gemeinwesen engagiert und sich für ihre Mitmenschen eingesetzt. Sie tun
dies aus idealistischen und aus persönlichen Motiven : zum einen, um einen
Beitrag zur Gestaltung und zur Sicherung der Funktionsfähigkeit unserer
Gesellschaft zu leisten, zum anderen, weil sie es als eine Bereicherung des
eigenen Lebens empfinden, einen Teil ihrer freien Zeit einer Aufgabe zu widmen,
die der Allgemeinheit zugute kommt.
Ehrenamtliche Tätigkeit ist somit ein Wert an sich. Sie ist freiwillig
und unentgeltlich, der Lohn ist die breite gesellschaftliche Anerkennung. Ohne
Gemeinsinn, ohne praktizierte Nächstenliebe, ohne Zuwendung zum Nächsten
und Hilfe am Nächsten ist unser freiheitliches Gemeinwesen nicht denkbar,
wäre langfristig um vieles ärmer und auf Dauer nicht lebensfähig.
Die Qualität und Vielfalt unseres Lebens hängen deshalb davon ab,
daß seine Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben,
Verantwortung zu übernehmen und sich für den Nächsten einzusetzen.
Dies anzuerkennen und zu stützen ist auch künftig Aufgabe des Staates.
Die Familie ist die wichtigste Verantwortungsgemeinschaft unserer Gesellschaft.
Hier werden persönliche Bindungen und Hilfen für den Nächsten
am unmittelbarsten erfahren und gelebt. Im frühen Kindesalter werden die
Voraussetzungen für Verständnis, Einsicht, Toleranz, Verantwortungsbewußtsein
und Rücksichtnahme gelegt; Tugenden, die für die Übernahme ehrenamtlicher
Verantwortung von grundsätzlicher Bedeutung sind.
II. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das Ehrenamt verdient öffentliche Anerkennung
Ehrenamtliches Engagement
ist immer weniger selbstverständlich und findet geringere öffentliche
Anerkennung in einer Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger glauben,
ihren Beitrag zur Gestaltung des Gemeinwesens durch hohe Abgaben und Steuern
geleistet zu haben. Die Ausweitung staatlichen Handelns hat zur sozialen Absicherung
vieler individueller Lebensrisiken geführt. Viele Bürgerinnen und
Bürger empfinden sich durch die allgegenwärtige staatliche Daseinsvorsorge
zunehmend mehr als Empfänger und Nutzer staatlicher Leistungen denn als
Geber und Gestalter des Gemeinwesens.
Aufgabe des Staates ist es, den für ehrenamtliche Tätigkeiten erforderlichen
Handlungsrahmen zu gewähren, nicht aber regulierend in dessen Ausgestaltung
einzugreifen. Die Bereitschaft zum Ehrenamt muß aus der Gesellschaft heraus
erwachsen und der Freiwilligkeit des einzelnen überlassen bleiben. Staat,
Politik und gesellschaftliche Gruppen müssen dazu beitragen, gesellschaftliches
Bewußtsein zu fördern und den einzelnen zur Ausübung zu motivieren.
Die Vielfalt und der Grad der Bereitschaft jedes einzelnen und aller Gruppen
des gesellschaftlichen Lebens zur Übernahme bürgerschaftlicher Verantwortung
sind ein Spiegelbild des Zustandes unseres Gemeinwesens.
Das traditionelle Ehrenamt verliert Zuspruch
Vor allem die traditionellen
Organisationsformen unseres gesellschaftlichen Lebens wie Wohlfahrtsverbände,
Organisationen, Vereine, Stiftungen, Parteien oder Kirchengemeinden beklagen
ein Nachlassen ehrenamtlicher Bereitschaft. Dagegen erfahren Selbsthilfegruppen,
Selbsthilfeinitiativen und Bürgerinitiativen starken Zuspruch. Nicht die
generelle Bereitschaft zur Übernahme sozialer oder auch politischer Verantwortung
sinkt, sondern die Verdrossenheit gegenüber Großorganisationen nimmt
zu.
Ein besonderes Akzeptanzproblem für die traditionellen Organisationen,
Verbände und Vereine ergibt sich durch die Professionalisierung vieler
Aufgaben und das Verhältnis zwischen hauptamtlich und ehrenamtlich tätigen
Mitarbeitern. Originär ehrenamtliche Tätigkeiten in vielen Bereichen
werden zurückgedrängt und durch hauptamtlich Tätige ausgeführt.
Wo dies nicht geschieht, haben Bürokratisierung, Verrechtlichung und die
Komplexität der Aufgabenfelder dazu geführt, daß Ehrenamtliche
aufgrund ihrer Kompetenzen und/ oder ihrer zeitlichen Disposition viele Anforderungen
nicht mehr erfüllen können.
Die zunehmende Differenzierung, Pluralisierung und die stark in Interessenverbände
gegliederte Gesellschaft haben die Prägekraft tradierter Bindungen und
Lebensformen gemindert. Sowohl im Hinblick auf Einschränkungen in der persönlichen
Lebensgestaltung als auch hinsichtlich des Sinns, der Realisierbarkeit und der
Anforderung möglicher Aufgabenstellungen wird ehrenamtliches Engagement
heute kritischer geprüft als bisher. Tendenziell bezieht sich die Bereitschaft
immer stärker auf überschaubare, projektbezogene und am Ergebnis orientierte
Einsatzmöglichkeiten. Bürgerinnen und Bürger prüfen kritischer,
ob sie die Aufgaben für richtig und interessant halten und was sie durch
ihren Einsatz für einzelne Menschen oder bestimmte Gruppen in ihrem jeweiligen
eigenen Lebensraum positiv gestalten können. Sie prüfen, wie sie ihr
Engagement mit Familie, Schule, Ausbildung und Beruf vereinbaren können
und wie sich dieses Engagement mit ihren privaten Interessen verbinden läßt.
Die neuen Formen ehrenamtlicher Betätigung entsprechen stärker dem
Bedürfnis nach mehr Freiraum und Gestaltung, Selbstbestimmung und Entscheidungsfreudigkeit.
Dadurch kann erforderliche dauerhafte Tätigkeit nicht ersetzt, aber ergänzt
werden.
Organisationen, Verbände und Vereine müssen sich dieser Entwicklung
stellen. Sie müssen das Verhältnis zu den hauptamtlichen Kräften
überdenken und neue, den anspruchsvolleren Erwartungen der Ehrenamtlichen
angepaßte Abgrenzungen und Definitionen der Arbeitsbereiche und der Kompetenzen
vornehmen.
Beide Arten ehrenamtlicher Tätigkeiten - in traditionellen Organisationen
und in neueren Formen - zeugen von großem bürgerlichen Engagement.
Beide Arten verdienen gleichwertige Unterstützung.
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf
· zu prüfen,
inwieweit durch eine breit angelegte öffentliche Kampagne, in die alle
Gruppierungen unseres gesellschaftlichen Lebens einzubeziehen sind, Bürgerinnen
und Bürger ermutigt werden können, ihre Zurückhaltung gegenüber
ehrenamtlicher Tätigkeit aufzugeben und ihre fachlichen Kenntnisse und
persönlichen Erfahrungen in gemeinschaftliche Verantwortung für eine
solidarische Gesellschaft einzubringen
· zu prüfen, inwieweit Menschen, insbesondere auch Jugendliche,
für ehrenamtliche Tätigkeiten gewonnen werden können. In einigen
europäischen Ländern sind Freiwilligenagenturen und Bürgerbüros
fester Bestandteil bei der Vermittlung von ehrenamtlichen Aufgaben. Da es in
Deutschland bisher nur wenig Erfahrungen damit gibt, ist zu prüfen, inwieweit
durch deren Förderung mehr Bürgerinnen und Bürger zu ehrenamtlichem
Engagement ermutigt werden können; dies gilt auch für Seniorenbüros
· bei gesetzlichen Regelungen die ideellen oder materiellen Auswirkungen
auf Bedingungen ehrenamtlicher Tätigkeiten zu berücksichtigen. Ziel
muß es sein, bürokratische Hemmnisse abzubauen, Handlungsrahmen und
Gestaltungsmöglichkeiten für ehrenamtlich Tätige zu verbessern,
zu erweitern und damit zu verhindern, daß immer mehr ursprünglich
ehrenamtliche Betätigungsfelder durch die Arbeit hauptamtlicher Kräfte
ersetzt werden. Der seit Jahrzehnten zu beobachtende Trend zu mehr Professionalisierung
und Bürokratisierung ist zu stoppen und sinnvoll umzukehren
· die Verdienste der ehrenamtlich Tätigen verstärkt im Bewußtsein
einer breiten Öffentlichkeit zu verankern. Bürgerinnen und Bürger
sowie gesellschaftlich tätige Gruppen, die sich durch langjährige
selbstlose ehrenamtliche Arbeit hervorgetan haben, sind für ihre Arbeit
auszuzeichnen und zu würdigen. Der von den Vereinten Nationen proklamierte
"Volunteers day" am 5. Dezember sollte für den nationalen Bereich
als "Tag des Ehrenamtes" eingeführt werden.
IV Der Deutsche Bundestag appelliert
· an die Medien,
in einem besonderen Maße dazu beizutragen, Wert und Bedeutung ehrenamtlichen
Engagements für die Gemeinschaft hervorzuheben und somit einen Beitrag
zur positiven Bewußtseinsbildung zu leisten. Es ist unverständlich,
warum ehrenamtliche Tätigkeit von nahezu 12 Millionen Bürgerinnen
und Bürgern in den Medien fast verschwiegen wird. Den Medien kommt bei
der Vermittlung von Werten eine große Verantwortung zu
· an die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, im gegenseitigen Einvernehmen
Lösungen anzustreben, ehrenamtliches Engagement auch innerbetrieblich stärker
anzuerkennen. Aufgrund der Arbeitsplatz- und Arbeitsmarktsituation hat das Verständnis
für ehrenamtlich tätige Arbeitnehmer nachgelassen. Ehrenamtliche Tätigkeit
wird häufig verschwiegen, weil innerbetriebliche Nachteile bei der Einstellung
und Beförderung befürchtet werden ; von Möglichkeiten der Freistellung
zu Weiterqualifizierungsmaßnahmen wird häufig Abstand genommen. Die
Arbeitgeber sollten sich aber bewußt werden, daß im Ehrenamt erworbene
Qualifikationen sich in der Regel positiv auf die berufliche Einstellung und
Tätigkeit auswirken und von Mitarbeitern als vorbildhaft empfunden werden.
Verständnis und Rücksichtnahme zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
sind erforderlich, um einerseits den betrieblichen Belangen und Erfordernissen
Rechnung zu tragen, andererseits aber den Arbeitnehmern die Möglichkeit
zu eröffnen, durch ehrenamtliche Tätigkeit einen wichtigen Beitrag
zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe leisten zu können. Eine vernünftige
Kooperation der Beteiligten dient der Sache mehr als gesetzliche Regelungen
· an Länder und Kommunen, gemeinschaftliches Engagement als einen
wesentlichen Bestandteil des erzieherischen Auftrages von Schule und Ausbildung
zu werten und diesen Auftrag Schüler und Jugendliche als wichtige Grundlage
des Zusammenlebens in einer Gemeinschaft begreifen zu lassen. Es ist deshalb
von großer Bedeutung, Schüler und Jugendliche frühzeitig an
eigenverantwortliches Handeln für den Nächsten heranzuführen
und durch entsprechende Lerninhalte abzusichern. Dies scheint umso dringlicher,
da früher hier wirksame traditionelle Bindungen weitgehend ihren Einfluß
und ihre Prägekraft verloren haben. Kooperationsmodelle zwischen Schulen
und Gruppen aus den sozialkaritativen, kulturellen, sportlichen und sonstigen
Bereichen sind zu fördern und können praxisorientierte Einblicke in
die Werte einer der Solidarität verpflichteten Gesellschaft geben
· an die Länder, bei der Vergabe von Studienplätzen zu berücksichtigen,
daß Studentinnen und Studenten ihre ehrenamtliche Tätigkeit fortsetzen
können. Es wird ausdrücklich begrüßt, daß Wehr- und
Zivildienstleistende ihren Einsatzort bereits so wählen können, daß
die Fortführung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit gewährleistet
wird
· daß die für unsere Gesellschaft geleistete ehrenamtliche
Tätigkeit als persönliche Qualifikation und Leistung durch ein Zertifikat
hervorzuheben und zu bestätigen ist
· an Organisationen, Verbände, Vereine, Parteien, Gruppen und Initiativen
sowie an jeden einzelnen, an einer Bewußtseinsänderung mitzuarbeiten
und eine neue Kultur der Ehrenamtlichkeit entwickeln zu helfen.
(1) Bemerkenswert ist, daß nach dieser Studie der Anteil der unter 25jährigen, die sich freiwillig engagieren, mit 23% überdurchschnittlich hoch ist, während der Anteil der über 65jährigen mit 13% in dieser Untersuchung im Gegensatz zu anderen wesentlich niedriger liegt. Im internationalen Vergleich der EuroVol-Studie ist der Anteil freiwillig Engagierter in Deutschland zwar relativ niedrig, doch engagieren sich diejenigen, die aktiv sind, durchschnittlich intensiver als die Vergleichspersonen in den anderen Ländern. Die Ergebnisse der EuroVol-Studie sind nicht unumstritten. In manchen Bereichen, insbesondere im Hinblick auf Senioren, widersprechen sie Ergebnissen gezielter Einzeluntersuchungen, die jeweils als weitgehend gesichert angesehen werden können. zurück
(2) In dieser Untersuchung hat der Deutsche Kulturrat e.V. 211 auf Bundesebene tätige Mitgliedsverbände und -organisationen sowie andere ausgewählte Verbände des Kulturbereichs aus den Sparten Darstellende Künste, Literatur, Film/Audiovision, Musik, Bildende Künste, Design, Soziokultur befragt. Der Rücklauf der Antworten beträgt 60%. Um auch die Landes- und Kommunalebene zu berücksichtigen, hat der Deutsche Kulturrat e.V. entsprechende Befragungen der Landes- und Regionalverbände des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) in die Auswertung mit einbezogen. Einen genauen Überblick über die Anzahl der kommunal verankerten Zusammenschlüsse, die ehrenamtlich im weitesten Sinne für das Kulturleben tätig sind, gibt es nicht und kann es auch kaum geben, da diese einem ständigen Wandel unterliegen. zurück
(3) Die Untersuchung des Deutschen Kulturrates e.V. hat gezeigt, daß sich die früher vermehrt anzutreffende lebenslange Verbundenheit zu einem Verein, Verband oder einer spezifischen kulturellen Ausdrucksform zu einem Engagement gewandelt hat, das den individuellen unterschiedlichen Lebenszusammenhängen eher entspricht. So ist beispielsweise in der kirchlichen evangelischen Büchereiarbeit eine Verjüngung der ehrenamtlichen Mitarbeiter - und vor allem der Mitarbeiterinnen - zu beobachten, hier sind im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten derzeit vielfach Frauen anzutreffen, die sich in der sogenannten Familienphase befinden, sich aber nicht ganz auf den häuslichen Bereich zurückziehen wollen, sondern sich bis zur Rückkehr in den Beruf ehrenamtlich engagieren. Ihr Engagement verändert sich mit der Rückkehr in die Berufstätigkeit. zurück
erschienen
in: Musikforum H. 85/1996