In der vergangenen Woche haben das Internationale Liedzentrum Heidelberg und der Bariton Benjamin Appl gemeinsam mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, der Konferenz der Landesmusikräte und der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen in der HRK (Hochschulrektorenkonferenz) als weitere Unterzeichner die Bewerbung beim Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg für das mehrstufige Auswahlverfahren eingereicht: Das Kunstlied in deutscher Sprache, insbesondere seine Vortragskultur und Aufführungspraxis, sollen in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen werden. Die Entscheidung über die Aufnahme als Immaterielles Kulturerbe, die nach der Vorauswahl der Länder auf Bundesebene mit der Deutschen UNESCO-Kommission getroffen wird, ist für Anfang 2023 zu erwarten.

Die Initiative wird unterstützt durch zahlreiche Kunstschaffende und Künstler*innen wie Alfred Brendel, Moritz Eggert, Brigitte Fassbaender, Christian Gerhaher, Thomas Hampson, Graham Johnson, György Kurtág, Magdalena Kožená, Lars Vogt oder Jörg Widmann.

„Das Lied als Verbindung von Wort und Ton war und ist Ausdruck einer gemeinschaftlichen wie auch individuellen kulturellen Identität. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Es ist über alle Genregrenzen hinweg Botschafter seiner Zeit und verhandelt alle Aspekte des Lebens. Es ist hochaktuell und lädt immer wieder ein, sich auf seine Geschichten, die es erzählt, einzulassen. Es berührt uns Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Es lässt uns nie gleichgültig. Und damit ist es von unschätzbarem Wert. Das Internationale Liedzentrum Heidelberg widmet sich mit den Protagonist*innen der internationalen Liedszene der Aufgabe, dieses Erbe lebendig zu halten, seiner Gegenwart eine Plattform zu geben und seine Zukunft zu gestalten. Das deutschsprachige Kunstlied gehört zum Nukleus des weltumspannenden Phänomens Lied: Längst ist es zu einer festen Größe im internationalen Werkekanon geworden. Angehende Sänger*innen und Pianist*innen lernen es in ihrer Ausbildung intensiv kennen, alle großen Konzerthäuser oder Festivals setzen es auf ihre Programme. Dies gilt es zu bewahren und in all seinen Facetten weiterzuentwickeln. Der Status als Immaterielles Kulturerbe könnte dafür ein wichtiger Nährboden sein. Und er wäre zugleich eine Einladung, sich dieses wertvollen Kulturguts noch stärker vermittelnd anzunehmen und ihm einen zentralen Platz im kulturellen Leben zu sichern“, so Thorsten Schmidt, der Gründer des Internationalen Liedzentrums Heidelberg und Intendant des Musikfestivals Heidelberger Frühling.

Sänger Benjamin Appl betont: „In der besonderen Verbindung von Wort und Musik erreicht das deutschsprachige Kunstlied seit etwa 240 Jahren in unaufdringlicher und einmaliger Weise viele Menschen rund um den Globus auf intellektueller und emotionaler Ebene. Es gibt keine vergleichbare Kunstform, in der Poesie und Musik einen solch gleichberechtigten Part einnehmen.

Im Namen vieler meiner Kolleg*innen und gemeinsam mit dem Internationalen Liedzentrum Heidelberg sowie den weiteren unterzeichnenden hochrangigen Institutionen setze ich mich mit vollem Herzen für die Aufnahme des Kunstliedes deutscher Sprache in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO ein.“

Stimmen von ausgewählten Unterstützer*innen der Initiative:

Alfred Brendel Pianist

„Das Kunstlied in deutscher Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil der westlichen Kultur, der aufgrund seiner einzigartigen Qualität, seiner vielfältigen Ausdrucksformen und seiner immerwährenden Relevanz verbreitet und gefördert werden sollte.“

Moritz Eggert Komponist

„Es gibt keinen Zweifel daran, dass das deutschsprachige Kunstlied in seiner einmaligen Verbindung von musikalischem Affekt und Literatur ein ganz wichtiger Grundpfeiler der globalen Liedkultur ist und enormen Einfluss ausübte. Es gibt eine direkte Linie von Schubert zu den Beatles, von Schumann zu Bob Dylan und von Kurt Weill zu den Doors.“

Brigitte Fassbaender Sängerin und Gesangspädagogin

„Die Beschäftigung mit dem Lied sollte unerlässlich sein, denn die Bereicherung, die der Liedersingende und das Publikum erfährt, ist ebenso unübersehbar, wie das Feld der Liedliteratur, die es zu entdecken gilt. Bei einem Liederabend werden wir Zeuge einer sehr intimen Zuwendung, eines hochsensiblen Vorganges, der das Eintauchen in absolute Individualität bedeutet. Wenn jeder einzelne Zuhörer sich direkt und persönlich angesprochen fühlt von der Wahrhaftigkeit der Aussage des Interpreten, dann ist das immerwährende Abenteuer ‚Liederabend – Kunstlied‘ gelungen.“

Christian Gerhaher Sänger

„Das deutschsprachige Kunstlied ist seit dem Barock ein immer stärker sich definierendes Genre, es ist auch immer noch Teil des kompositorischen Kanons – bis heute entstehen Lieder und Liedzyklen. Und auch wenn das Kunstlied im Musikbetrieb durchaus beliebt ist und die Nachfolge der Darstellerschaft in Kreisen heutiger Studenten keinen Anlass zur Sorge gibt, ist das Lied doch auch ein Erbe, welches – wie alle Kultur heute dem Überwuchern unserer Gesellschaft durch Technologien und unserer Bildung durch Kompetenzen fast schutzlos ausgesetzt – durch die Titulierung als Erbe zu Recht einfordert, ein schützenswertes Gut zu sein.“

Über das Kunstlied in deutscher Sprache

Das Kunstlied in deutscher Sprache hat sich Anfang des 19. Jahrhunderts herausgebildet, es trägt aber die reiche Geschichte des begleiteten Sololiedes vorheriger Jahrhunderte in sich, angefangen vom Minnesang, der bereits die Eigenschaften des Kunstliedes in sich trägt: persönlich vertonte Themen, intime Ansprache, gesellschaftliche Bezüge. Ende des 19. Jahrhunderts fand es mit dem «Liederabend» eine Aufführungsform, in der es exklusiv zur Geltung kam und zunehmend weltweit Beachtung fand, und auch in anderen Sprach- und Kulturräumen die Entstehung bedeutender Kunstliedrepertoires anregte. Neben den Werken großer deutscher Dichter*innen wurden auch Gedichte aus dem künstlerischem Umfeld vertont, was einen intensiven Austausch zwischen Text- und Musikdichter*innen schuf. In seiner einfachsten, bis heute weltweit praktizierten Form besteht der Liederabend aus einer singenden und einer klavierspielenden Person vor Publikum. Das Kunstlied in deutscher Sprache hat sich im Laufe der Zeit stilistisch auch für andere Genres wie Pop, Jazz oder Poetry-Slam geöffnet.

Über das Internationale Liedzentrum Heidelberg

Das Internationale Liedzentrum Heidelberg wurde 2016 vom Musikfestival Heidelberger Frühling gegründet. Das Lied ist in der Heidelberger DNA fest verankert: Vom „Codex Manesse“, der gewichtigsten deutschen Liederhandschrift des Mittelalters, der Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ oder dem Schaffen und Wirken von Robert Schumann, Johannes Brahms, Joseph von Eichendorff oder Friedrich Hölderlin in der Neckarstadt. Die Stadt gilt außerdem als Wiege des deutschsprachigen HipHop. Mit dem Bariton Benjamin Appl verbindet das Festival und das Liedzentrum eine jahrelange Freundschaft. Er ist Alumnus der Lied Akademie des Liedzentrums unter der künstlerischen Leitung von Thomas Hampson und seit 2012 regelmäßig zu Gast beim Heidelberger Frühling.