Mit dem Internationalen Koproduktionsfonds fördert das Goethe-Institut seit 2016 kollaborative Arbeitsprozesse sowie Produktionen im Bereich der darstellenden Künste, die im internationalen Kulturaustausch entstehen. In der aktuellen Runde wählte eine internationale Jury nun zehn Projekte von Künstler*innen etwa aus Peru, Senegal, Ungarn, Indien oder dem Libanon aus. So werden ab 2022 in Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden in Deutschland neue Produktionen entwickelt.

Die fünfköpfige Jury, bestehend aus Kettly Noël (Internationale Expertin für Tanz; Choreografin, Tänzerin, Schauspielerin), Christophe Slagmuylder (Internationaler Experte für Performance, Intendant der Wiener Festwochen), Franziska Werner (Künstlerische Leitung der Sophiensaele Berlin), Sonja Eismann (Musikjournalistin und Herausgeberin des Missy Magazins) und Konrad Siller (Leiter Goethe-Institut Beirut; nicht stimmberechtigt bei Anträgen aus dem Libanon) wählte aus 160 eingegangenen Anträgen folgende Koproduktionen aus:

Musik

ELECTRAFRIQUE X RISE BERLIN CO-PRODUCTION; ElectrAfrique (Senegal), RISE (Deutschland)

Die Koproduktion zwischen ElectrAfrique aus Dakar und dem RISE Kollektive in Berlin möchte durch das Medium der elektronischen Musik zur Erhaltung und zum Bewusstsein des traditionellen kulturellen Erbes Senegals beitragen. Die Zusammenarbeit wird geprägt durch Benoit Fader Keita (aka BENI-FADI), einem jungen Sänger der Bedik (einer ethnischen Minderheit im Senegal), der seine Muttersprache und seine Traditionen durch Musik bewahren möchte. Im gemeinsamen Austausch mit der lokalen Künstler*innenszene sowohl in Dakar als auch Bandafassi/Kedougou in der Bedik-Region produzieren die Koproduktionspartner*innen neue Musik, die bei Live-Performances im Senegal, in Deutschland und in Frankreich präsentiert wird. Das Projekt soll vor allem eine langfristige Beziehung zwischen den kreativen Zentren der Länder stärken und weitere Kooperationen entstehen lassen.

MORGEN IST DIE FRAGE; Retama female composers collective (Peru), Ensemble KNM Berlin (Deutschland)

Street Art ist im Stadtbild von Lima ebenso präsent wie in Berlin. Als kreativer Ausdruck gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Krisen - nicht zuletzt der weltweiten Pandemie - repräsentieren Graffiti freie, sarkastische und kritische Kunst im öffentlichen Raum. Basierend auf den Graffiti im Stadtbild von Lima und Berlin setzen sich Ana María Rodriguez und vier weitere Komponistinnen mit den verschiedenen Interpretationen, Kontexten und Beziehungen auseinander, die Graffiti in ihrer jeweiligen Stadt haben und übersetzen und interpretieren diese in so genannten Sound Labels. Die Ergebnisse werden gemeinsam mit dem Ensemble KNM im urbanen Raum als Konzerte, Installationen oder Sonic Interventions in Peru und Berlin präsentiert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

ETERNAL PROCESSION; Segundo Bercetche (Argentinien), Karsten Krause (Deutschland), Tomi Lebrero (Deutschland)

Mit dem Projekt ETERNAL PROCESSION wird die Geschichte des Bandoneons erzählt, einem Instrument, das um 1840 in Krefeld erfunden wurde. Laut Astor Piazzolla wurde dieses Musikinstrument ursprünglich für religiöse Prozessionen entwickelt. Ende des 19. Jahrhunderts gelangte es nach Buenos Aires und wurde in Bordellen und Kabaretts gespielt, woraus letztendlich der Tango entstanden sein soll. Das Projekt geht zurück zu den Ursprüngen dieses Instruments, die in Deutschland liegen, an diese musikalisch anknüpfen und so eine Verbindung nach Argentinien (wieder)herstellen. Für die Recherche sind die Kooperationspartner*innen bereits 2017 mit Pferden durch Argentinien gezogen, diesmal ist eine Reise auf Pferden durch Deutschland geplant. Daraus entsteht eine audiovisuelle Performance über die musikalische, politische und ökologische Reise des Bandoneons, die auch die Frage zu dessen möglicher Zukunft aufwirft. Für die Performance wird das Projekt Videos dieses Pferdetrips verwenden und Lieder spielen, welche die Geschichten hinter den Aufnahmen erzählen. Die Performances sollen in Buenos Aires (Chela) und in Berlin (radialsystem) stattfinden.

INTERSPATIA; Borealis - a festival for experimental music (Norwegen), MaerzMusik (Deutschland)

INTERSPATIA ist eine raumfüllende Arbeit, die in Zusammenarbeit mit Borealis - einem Festival für experimentelle Musik in Bergen - und dem in Berlin stattfindenden Festival MaerzMusik entwickelt wurde. Ausgangspunkt war ein gemeinsamer Kompositionsauftrag an die Berliner Komponistin Cathrerine Lamb für ein mikrotonales Werk in Langform. Dafür kommen Musiker*innen aus Deutschland, Norwegen und den USA zusammen, die nicht nur über die Umsetzung des spezifischen Instrumentenbaus, sondern auch über Kenntnis der miktrotonalen Komposition und Aufführungspraxis verfügen. Die in gemeinsamen Residenzen und Workshop entwickelten musikalischen Impulse finden im März 2022 in besonderer Umgebung mit Konzerten in Bergen und Berlin ihren Höhepunkt. Die Festivals Borealis und MaerzMusik können auf eine langjährige Zusammenarbeit und gegenseitiges Lernen sowie einen intensiven Austausch von Ideen und Werten blicken. Ziel dieser Koproduktion ist es, ein gemeinsames musikalisches und philosophisches Leitbild zu entwickeln und ein kollaboratives Format, das eine neue zukunftsweisende Klangkomposition ermöglicht.

Interdisziplinär

THE WHOLE IS MORE THAN THE SUM OF ITS PARTS; Beatrix Simkó (Ungarn), Ringlockschuppen Ruhr (Deutschland), Workshop Foundation (Ungarn), Trafo House of Contemporary Arts (Ungarn)

Wie fein sind Grenzen zwischen Zärtlichkeit und Brutalität? Mit wie viel Empathie können wir einander begegnen und kann das fragile Gleichgewicht in einer Gruppe erhalten bleiben? In einer interdisziplinären Kollaboration entsteht eine transnationale Performance, die sich thematisch mit Gruppenverhalten, dem Umgang von Individuen miteinander und der Frage nach demokratischen Prinzipien beschäftigt. In physischen wie verbalen Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen treten Dynamiken der Verbundenheit und Kooperation, aber auch Differenzen oder Verletzlichkeit auf. Daraus entsteht eine Kettenreaktion, die die körperlichen Zustände und Wahrnehmungen ständig beeinflusst. In Vermittlungsformaten werden Jugendliche in den künstlerischen Arbeitsprozess der Koproduktionspartner*innen integriert. Die Arbeit an diesem Tanzstück, das auch musikalische Komposition und Visual Art integriert, orientiert sich somit an dieser unablässigen Verhandlung zwischen Körpern/Menschen mit dem Anliegen, einen Anstoß für die Suche nach einem balancierten Miteinander zu geben.

Theater/Tanz

TRAVELLING WITHOUT MOVING (Arbeitstitel); La Fabrik (Togo), Münchner Kammerspiele (Deutschland)

Initiiert vom togoischen Kultur- und Künstler*innen-Netzwerk "La Fabrik" und koproduziert mit den Münchner Kammerspielen ist TRAVELLING WITHOUT MOVING ein Live-Theaterstück, das einen gemeinsamen Raum zweier Orte in Lomé und München kreiert. Durch den Einsatz von Live-Kamera und Streaming-Technik erarbeiten Choreograph S. A. Coulibaly und Regisseur J.-C. Gockel ein intermediales Stück, das zwei Teams und zwei Zuschauergruppen gleichzeitig verbindet. In diesem analog-virtuellen Raum, der sich über Kontinente und Zeiten erstreckt, wird von Geistern erzählt, die wandern können, ohne sich zu bewegen und die inspirieren, ohne jemandes Besitz zu sein. Von zwei imaginären spiritistischen Begegnungen ausgehend wird nach den Stimmen und Geschichten gesucht, die im Wissen um die Verletzungen der Kolonisierung, neue Verbindungen zu entwerfen vermögen: In einem Münchner Museumsdepot voller erbeuteter Kunstwerke, deren Geister versuchen, mit ihren wenigen verbliebenen Weggefährten in Lomé Kontakt aufzunehmen, begegnet eine afrofuturistische Forscherin dem Geist der legendären westafrikanischen Prinzessin und Kriegerin Yennenga - einer Figur, die mit ihrer Emanzipation von ihrem Vater Frauen bis heute inspiriert.

THE LAST SUNSET; Studio Karakashyan (Bulgarien), Frantics Dance Company (Deutschland)

Im Rahmen der 25. Gabrovo Biennial of Humour and Satire beschäftigt sich diese Koproduktion mit Einflüssen fossiler Brennstoffe auf unsere Umwelt. Von einem futuristischen, dystopischen Blickwinkel aus untersuchen die Akteur*innen die negativen Auswirkungen auf Wasser und den menschlichen Körper und entwickeln eine Performance, die in der regionalen Mülldeponie Gabrovo aufgeführt wird. Unter der Co-Regie von Kosta Karakashyan, Antonia Georgieva und Diego de la Rosa und der Co-Choreografie von Karakashyan und de la Rosa bezieht THE LAST SUNSET stark die Mittel des zeitgenössischen Tanzes ein, gibt den Tänzer*innen Raum ihre eigenen Stile wie Voguing, Breaking und Contemporary Dance zu kombinieren. Gleichzeitig wird das Konzept durch einen immersiven Theateransatz weiterentwickelt und durch Einbeziehen von Theater, Performance und audio-visueller Kunst eine umfassende ästhetische Begegnung produziert.

IM TOD - IN MY TIMES OF DYING; Sankar Chindavalap Venkateswaran (Indien), Theaterhaus Jena (Deutschland)

IM TOD erzählt von der lebensverändernden Begegnung zweier Theatermacher und sucht den Dialog auf Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners unserer conditio humana: der Tatsache, dass wir alle sterben werden und nur eine begrenzte Zeit zu leben haben. Wie sterben wir? Wie bereiten wir uns darauf vor? Wie gehen wir mit sterbenden Körpern um? Und nach dem Tod? Stimmt die Aussage "Im Tod sind wir alle gleich" überhaupt? Auf der Bühne rekapitulieren die beiden Theatermacher ihre subjektiven Assoziationen mit dem Tod, erzählen von eigenen Erlebnissen, teilen Geschichten und Perspektiven und spielen Szenen aus ihrer Theatervergangenheit oder auch berühmte Bühnentode nach. Sie beziehen sich auf persönliche Gedanken, Missverständnisse und gemeinsame Anliegen. Sie präsentieren Ausschnitte aus Interviews mit Ärzt*innen, Pflegepersonal, Bestatter*innen und Physiker*innen, die von westlichen Wissenschaftsauffassungen bis hin zu philosophischen Ideen über Materie, Leben und Tod reichen. Sie diskutieren Fragen der Palliativpflege sowie die Bedürfnisse sterbender Personen und den Umgang nicht-westlicher und indigener Kulturen mit dem Tod. IM TOD entsteht während einer globalen Pandemie; und ereignet sich somit dynamisch sowohl im physischen Raum als auch als fortlaufende Unterhaltung im virtuellen.

TRANSIT TRIPOLI; YAZAN (Libanon), Akademie der Künste (Deutschland)

Die libanesische Theaterregisseurin Caroline Hatem adaptiert Anna Seghers' Erzählung TRANSIT für die Bühne und in den gegenwärtigen syrischen Kontext von Vertreibung und Emigration. In Anlehnung an den Roman, der in Frankreich im Jahr 1940 ansetzt, spielt das Stück im Libanon, wo Syrer*innen ungeduldig auf ein Visum oder eine Möglichkeit zur Flucht warten. Der Erzähler wird zum syrischen Emigranten, dem das Publikum in Tripolis Straßen und Cafés folgt. Mit nur einem Schauspieler auf der Bühne setzt TRANSIT TRIPOLI digitale Medien ein, um die faszinierende Fülle an Nebenfiguren, aber auch das Meer, die Musik und die offene Stadt zusammenzuführen. Zugleich zollt die Produktion der einzigartigen und lebendigen Stimme Seghers' Tribut und deren Anziehungskraft auf unseren inneren Raum, unsere innere Freiheit, unsere Lieder und die Richtung unseres Blicks, während wir der Unerbittlichkeit der Geschichte unterworfen sind.

OUR SEA II - SECRETS OF THE INFINITE SEA; Lily Abichahine (Libanon), Theater Bremen (Deutschland)

Die libanesische Performance-Künstlerin, Juristin und Marathonläuferin Lily Abichahine untersucht in dieser Koproduktion die Geschichte des Mittelmeers entlang der Küstenlinien, mit Blick auf die Menschen, Ruinen und Neubauten. Ihre Reise startet in Beirut, einer Stadt, die nach der verheerenden Explosion im Juli 2020 nach wie vor unter Korruption, Zerstörung und wirtschaftlicher Not leidet. Die Reise endet am Theater Bremen, wo sich 1979 in der Rolandmühle die bis dato größte Explosion in Friedenszeiten ereignete. Für SECRETS OF THE INFINITE SEA wird Abichahine vorwiegend in Tunis und Marseille laufend recherchieren und die Architektur, die urbane, wirtschaftliche und soziale Struktur der Städte analysieren. Was trennt, was verbindet die vier Hafenstädte und ihre Menschen miteinander? "Mare Nostrum" drückte einst aus, dass das Mittelmeer vollständig unter Kontrolle des Römischen Reiches stand. Was damals ein "Binnenmeer" war, ist heute trennende Grenze zwischen zwei Kontinenten und Ländern mit unterschiedlicher wirtschaftlicher und politischer Lage. Die Spaltung zwischen dem globalen Norden und Süden wird hier sichtbar und tödlich. Zugleich ist das gemeinsame kulturelle Erbe groß, da die Mittelmeerländer miteinander in kollektiven Erzählungen verbunden sind.

Weitere Informationen unter: www.goethe.de/ikf

Mit dem "Internationalen Koproduktionsfonds" des Goethe-Instituts werden Koproduktionen von Künstler*innen in den Bereichen Theater, Tanz, Musik und Performance gefördert, was auch hybride und interdisziplinäre Formate einschließt. Zu den Vergabekriterien zählen neben einer hohen künstlerischen Qualität das Innovationspotential, die Relevanz der beteiligten Künstler*innen in ihren Szenen, der Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Diskurse sowie die Nachvollziehbarkeit des Finanzplans. Bewerben können sich Künstler*innen sowie Ensembles und Initiativen im Ausland und in Deutschland. Aus der gemeinsamen Bewerbung muss klar hervorgehen, dass bereits gute Arbeitskontakte bestehen und ein beidseitiges Interesse an der gemeinsamen Produktion vorliegt. Die Bewerbung erfolgt durch den/die ausländische*n Partner*in. Begleitet wird die Ausschreibung von den örtlichen Goethe-Instituten weltweit. Der Fonds fördert nicht nur die Produktionsentwicklung, sondern ermöglicht auch regionale Künstler*innentreffen, die durch die lokalen Goethe-Institute durchgeführt, den Austausch und die Nachhaltigkeit der Projekte sichern.

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