Erstmals in ihrer Geschichte schließen sich 46 Knabenchöre aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in einer grenzübergreifenden Kooperation zusammen, um auf die Nachwuchssorgen der Knabenchöre aufmerksam zu machen. Am 14.November 2020 um11:55 Uhr treten die Chöre mit einem digitalen Flashmob unter dem Hashtag #KulturGutKnabenchor und der Botschaft "Viva la musica!“ auf der virtuellen Bühne bzw. in den sozialen Netzwerken auf. Initiiert wurde die Aktionvon den Augsburger Domsingknaben, den Regensburger Domspatzen, dem Tölzer Knabenchorund dem Windsbacher Knabenchor.

Viva la musica ist das medial verbindende musikalische Werk. Wo Singen noch möglich ist, tragen die teilnehmenden Chöre im digitalen Format die anspruchsvollere vierstimmige Version Viva la musica, op. 43 von Iván Eröd (*1936) für Sopran, Alt, Tenor und Bass, alternativ den gleichnamigen Kanon von Michael Praetorius (1571-1621) vor. Wo die aktuelle Lage Singen nicht mehr erlaubt, kommen stattdessen Chorleiter mit eigenen Statements zu Gehör.

Hintergrundinformationen

Knabenchöre gelten als besonderes Kulturgut, können auf eine zum Teil jahrhundertealte Tradition zurückblicken und sind heute Teil eines internationalen musikalischen Netzwerks. Die aktuelle Corona-Krise stellt für Knabenchöreeine große Herausforderung dar. Chorproben müssen teils entfallen, Solounterricht/Stimmbildung kann nur im Fernunterricht angeboten werden. Wenn überhaupt, dann wird mit regional unterschiedlichen Hygieneauflagen geprobt und unterrichtet: Mindestens zwei Meter Abstand zum nächsten Sänger sind gefordert, weshalb eine Chorprobe häufig nur in Kleingruppen stattfindet. Bereits fixierte Konzerte entfallen oder werden in spätere Saisons verschoben. Wie alle Künstler braucht auch ein Knabenchor sein Publikum, nicht zuletzt, um Nachwuchs fürs Singen zu begeistern. Nachwuchswerbung kann nicht oder nur sehr begrenzt betrieben werden, ein "Tag der offenen Tür“ oder Schnupperunterricht darf nur in sehr reduziertem Rahmen stattfinden. Die Talentsuche in öffentlichen Schulen entfällt völlig. Eltern werden in der Betreuung ihrer Söhne noch stärker belastet und scheinen zusätzliche Ausbildungsmöglichkeiten für ihre Kinder zu meiden.

Für die Nachwuchssuche ist es fünfvorzwölf

Wenn Knabenchöre längerfristig keine Möglichkeit haben, Nachwuchs in den unteren Chorgruppen zu finden und Kinder zu begeistern, werden große Konzerte wie Bachs Matthäuspassion oder Weihnachtsoratorium sowie Mozarts Requiem in näherer Zukunft nicht mehr von Knabenchören interpretiert werden können. Auch berühmte Knabenpartien wie beispielsweise die drei Knaben in Mozarts Zauberflöte können dann an großen Häusern wie der Bayerischen Staatsoper, der Dresdner Semperoper oder der Staatsoper Unter den Linden nicht mehr regelmäßig mit Knabenstimmen besetzt sein.

Singen bildet Persönlichkeit

Bis ein Knabe abendfüllende Konzerte singen kann, durchläuft er eine anspruchsvolle mehrjährige Ausbildung bis zur Aufnahme in die Konzertchöre. Abhängig von der jeweiligen Bildungseinrichtung beginnen die Kinder im (Vor-)Schulalter oder zu Beginn der weiterführenden Schule mit ihrer sängerischen Ausbildung. Erst nah am Stimmbruch sind die Knaben in der Lage, die ganz großen Werke bzw. Partien zu singen. Das Singen in einem Knabenchor fördert die persönliche Begabung der Jungen, schärft die Sozialkompetenz und legt den Grundstein für eine mögliche spätere Musikerkarriere. Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen gehören zum Handwerkszeug eines jeden Sängerknaben. Die intensive Ausbildung der Knaben mündet in der Teilnahme an Tourneen in Europa und weltweit sowie an Konzerten in der Hamburger Elbphilharmonie, Concertgebouw Amsterdam, dem Wiener Musikverein oder der Carnegie Hall, um nur einige zu nennen. Die Chöre sind bei internationalen Festivals wie den Salzburger Festspielen, Festival international d'art lyrique d'Aix-en-Provence oder dem Schleswig-Holstein Musik Festival vertreten und damit tief in der internationalen Konzertlandschaft verwurzelt.

#KulturGutKnabenchor

Die Nachwuchssicherung ist ein integraler Bestandteil zum Fortbestehen der Knabenchöre. Um das derzeitig hohe Niveau auch langfristig halten zu können, will die Initiative #KulturGutKnabenchor Knaben für das Chorsingen begeistern. Konzertchöre mit ausgebildeten Frauenstimmen, wie beispielsweise dem Chor des Bayerischen Rundfunks, können bereits während des Abklingens der Pandemie, spätestens aber mit dem Ende der Pandemie ihre Konzerttätigkeit in der gewohnten Qualität wieder aufnehmen. Knabenchöre bekommen schon jetzt die Folgen der Pandemie zu spüren. Die erschwerte Nachwuchsfindung verringert die Zahl der Neuzugänge in den niedrigeren Chorstufen. Jüngere Knaben lernen in der Regel von den älteren Knaben und werden vorsichtig an die große Bühne herangeführt. Da der Stimmbruch aber immer früher einsetzt und jüngere Knaben nicht in gewohnter Stärke nachrücken, fehlen erfahrene Sänger, das wichtige Lernen voneinander kommt zu kurz. Diese entstehende Lücke bedroht die kontinuierliche Ausbildungsstrategie der Chöre. In einigen Jahren werden weniger gut ausgebildete Knaben in den Konzertchören singen, die hohe Qualität der Chöre wird leiden. Die Konsequenz: Mit den jungen Kindern, die in den ersten Jahren nach der Krise den Weg zu den Chören finden, muss eine komplett neue Aufbauarbeit in der mehrjährigen Grundlagenausbildung geleistet werden. Nun gilt es, diese existenzbedrohende Lücke möglichst klein zu halten oder gar ganz zu schließen und unter #KulturGutKnabenchor auf die Lage aufmerksam zu machen.

Weitere Informationen unter: http://www.kulturgutknabenchor.de