Mit „Klangkosmos Schütz.22“ ist das Projekt der vier Landesjugendchöre Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen überschrieben, das knapp ein Jahr vor der Realisierung (September/ Oktober 2022) mit drei Zoom-Terminen jetzt im Dezember seinen ungewöhnlichen Auftakt nimmt.

Erstmals in der Geschichte aller vier Landesjugendchöre kommt es zu einer großdimensionierten Zusammenarbeit im A-Cappella-Bereich unter Leitung von Justin Doyle, Künstlerischer Leiter des RIAS-Kammerchores. Damit verbunden ist ein weiteres, ganz herausragendes Novum: eine Auftragskomposition von Reiko Füting, in deren Textfindung-Prozess für alle 160 Sänger:innen der vier Landesjugendchöre die Möglichkeit besteht, sich mit Hilfe von mehreren interaktiven Foren einzubringen, das Werk mit zu gestalten und den Kompositionsprozess mit zu begleiten.

Mit dieser vielstimmigen Komposition bekommt die Gegenwartsmusik einen bewusst selbstverständlicheren, gewichtigeren, weil persönlichen Stellenwert im Chorleben, gefördert durch die Gespräche zwischen Komponisten, später auch Dirigenten und Jugendlichen nicht nur während der Probenarbeit, sondern weit im Vorfeld des Entstehungsprozesses.

Reiko Füting studierte in Dresden, Houston und New York und hat seit zwei Jahrzehnten an der Manhattan School of Music in New York die Professur für Komposition und Musiktheorie inne. „Es fasziniert mich als Komponist, auf etwas zu reagieren, mich mit etwas auseinanderzusetzen“.

Der Titel des neuen Werkes ‚weil wir leben‘ bezieht sich auf den letzten Satz von Heinrich Schütz in seinem Vorwort zu den Psalmen Davids: „weil ich lebe – Henrich Schütz“.

Als Komponist ist Reiko Füting, der mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet wurde, in verschiedenen Ländern Europas, Nord- und Südamerikas und Asiens in Erscheinung getreten. Seine Kompositionen werden von international renommierten Interpreten und Ensembles aufgeführt, wobei ein spezielles Interesse der Zusammenarbeit mit Vokalensembles und Ensembles mit historischen Instrumenten gilt.

Reiko Füting, Jahrgang 1970, hat sein Kompositionsverständnis und seine Vorgehensweise in einem Brief an alle Sänger:innen des „Klangkosmos Schütz.22“ wie folgt beschrieben:

„Die Komposition ‚weil wir leben‘ soll einen Dialog repräsentieren. Das Chorwerk wird sich essentiell auf die Musik von Heinrich Schütz beziehen. Zitate seiner Musik sollen in einen Dialog mit Zitaten anderer Komponist:innen treten.

Ich möchte als Komponist in einen Dialog mit den Sänger:innen treten. Ich bitte die Sänger:innen der vier Chöre, mir Textfragmente zu schicken, die das ausdrücken, was sie im Moment bewegt. Auch werde ich sie um Beispiele von Chormusik bitten, die ihnen am Herzen liegt.

Ich werde meine gegenwärtige kompositorische Sicht auf diese verschiedenen musikalischen Zitate projizieren. Dadurch werden Zeiträume geschaffen. Die Idee des Räumlichen wird sich auch in der geplanten Mehrchörigkeit widerspiegeln. Die vier Chöre sollen von unterschiedlichen Orten in den Kirchen von Magdeburg, Freiberg und Schmalkalden singen.

Sänger:innen wie Publikum werden erfahren, wie verschiedene textliche und musikalische Ausgangspunkte miteinander korrespondieren. Unterschiedliches wird koexistieren: nicht beliebig, sondern bewusst und konkret.

In meiner Musik versuche ich, durch Zitate den psychologischen Aspekt des Erinnerns im gesamten Spektrum seiner Möglichkeiten (Assimilation, Integration, Desintegration, Segregation sowie klare Grenzen und gleichmäßige Übergänge) auszuleuchten. Damit fungieren Zitat und Erinnerung als ein Mittel zur Reflexion von künstlerischen, kulturellen, sozialen und politischen Phänomenen unserer Zeit.

In einem späteren Leben werde ich sicher einmal Architekt. Jedes Gebäude, das ich konzipiere, soll konkret das reflektieren, was schon da ist. Vor allem die Natur, aber auch andere Gebäude, Straßen, Parks. Das hat auch mit meiner Faszination mit dem Raum zu tun. Alte Musik mit neueren Klängen in einer Komposition zu vereinen ist wie Brücken zwischen Räumen zu bauen. Brücken anstelle von Mauern. Es ist wie eine Einladung an das Andere. Und diese Einladung an das Andere ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz: das Bekannte in Anderem entdecken und das Andere in Bekanntem.

Die jetzt geplanten Zoom-Runden zur Textfindung passen genau auf mein Verständnis, Musik zu schreiben. Es soll ein Dialog werden.

Das Motto des gesamten Projektes erinnert mich stark an die Philosophin Hannah Arendt, die mich seit einigen Jahren tief fasziniert. Einer ihrer Sätze, die mich immer wieder begleiten, ist:  ‚dass Menschen zwar sterben müssen, aber deshalb noch nicht geboren werden, um zu sterben, sondern im Gegenteil, um etwas Neues anzufangen‘.“

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