Seit dem Jahre 2014 gibt es an der Musikabteilung des Max Planck Instituts für empirische Ästhetik auch ein langfristig angelegtes Projekt zur Geschichte der Musikwissenschaft als einer akademischen Disziplinen. In diesem Kontext ist soeben der erste Band der zum Projekt gehörenden Buchreihe "Spektrum Fachgeschichte Musikwissenschaft“, betreut von den Verlagen Bärenreiter und Metzler, erschienen. In dem von Melanie Wald-Fuhrmann gemeinsam mit Stefan Keym (Université Toulouse) herausgegebenen Band untersuchen Forscherinnen und Forscher aus dem In- und Ausland in zwölf Beiträgen erstmals vergleichend die Entstehung der Musikwissenschaft in verschiedenen Ländern Europas (Großbritannien, Italien, Frankreich, Schweden, Baltikum, Russland), Amerikas (USA, Lateinamerika) und Ostasiens (Japan, Süd-Korea).

Folgende Aspekte kommen dabei zur Sprache: Wann, wo und in welcher Form kam es zur Einrichtung eines Faches? Wie wurden Notwendigkeit, inhaltliche Ausrichtung und methodischer Zuschnitt begründet? Welche Institutionalisierungsschritte fanden in welcher Reihenfolge statt? Forschungen darüber, wie und warum sich ein Fach so und nicht anders herausgebildet hat und inwieweit sein ursprüngliches Konzept inhaltlich und institutionell bis heute nachwirkt, sind von Bedeutung, will man sich der Identität des Fachs und seiner oftmals kaum hinterfragten bzw. von seinen Vertretern und Vertreterinnen als selbstverständlich betrachteten Spezifika bewusst werden.

Eines von mehreren Leitmotiven des Bandes bildet die Frage, inwieweit Bezüge zum österreichisch-deutschen Konzept der Musikwissenschaft erkennbar sind (in den Formulierungen von Guido Adler und Hugo Riemann), inwieweit dieses bei seinem Transfer umgedeutet und weiterentwickelt wurde bzw. ob – explizit oder implizit – dazu alternative Konzepte etabliert wurden. Das primäre Erkenntnisinteresse liegt dabei darin zu erörtern, inwieweit die Wege, die in den einzelnen geographischen Räumen zur Etablierung und Institutionalisierung der Musikwissenschaft führten, miteinander vergleichbar sind und worin sie sich – unter dem Einfluss der spezifischen Bedingungen des jeweiligen Landes, seiner Musik- und Hochschultraditionen – voneinander unterscheiden. Der Blick über den eigenen nationalen Tellerrand soll also ermöglichen, einerseits Interaktionen und Transfers zwischen den verschiedenen Räumen zu erkennen, andererseits vor der Kontrastfolie der unterschiedlichen Befunde die Spezifika der einzelnen Etablierungsprozesse (einschließlich möglicher Alternativen zu den dabei entstandenen Strukturen) schärfer herauszuarbeiten, als dies bei der bislang üblichen nationalen Betrachtungsweise möglich ist.