Grund zur Freude über eine einmalige Entdeckung herrscht derzeit in der Diözesanbibliothek Münster: Der pensionierte Studiendirektor, Musikwissenschaftler und Musikpädagoge Dr. Franz Josef Ratte hat in den Beständen der Bibliothek vier Werke des Komponisten Carl Loewe entdeckt und eines davon als sogenannten Autographen identifiziert, also als von Loewe selbst handschriftlich aufgeschrieben.

Hintergrund der Entdeckung ist Loewes 150. Todestag am 20. April dieses Jahres. Aus diesem Anlass hatte Ratte im März in der Reihe Erbdrostenhofkonzerte des Theaters Münster einen Carl-Loewe-Abend konzipiert. Der Abend bezog sich auf einen Aufenthalt Loewes in Münster im Sommer 1837, von dem der Komponist in zwei Briefen an seine Frau berichtet hat.

Zur Vorbereitung des Loewe-Abends hatte Ratte seit Oktober 2017 umfangreich in der Berliner Staatsbibliothek und im Händel-Haus Halle recherchiert sowie Loewe-Handschriften in digitaler Form aus Stettin und Krakau beschafft. "Bei Recherchen für ein anderes Projekt habe ich dann zufällig die vier Loewe-Werke in der Diösesanbibliothek Münster entdeckt“, berichtet er, "darunter war das Manuskript eines ,Preußischen Rundgesangs‘ für Männerchor, auf dem vermerkt ist: ,Auf seinen König Friedrich Wilhelm III. für eine Festloge comp. v. Loewe.‘“

Bei der Übertragung des Manuskripts in eine praktische Chorausgabe für den Loewe-Abend seien ihm Übereinstimmungen im Noten- und Schriftbild mit ihm vorliegenden Loewe-Autographen aus Berlin, Halle und Krakau aufgefallen. "Bei genauer Prüfung, zu der auch ein im Umgang mit alten Schriften erfahrener Archivar herangezogen wurde, konnte das Manuskript als ein Autograph Carl Loewes identifiziert werden“, schildert Ratte weiter.

Der Experte stellt auch Überlegungen an, wie das Autograph in die Diözesanbibliothek gelangt sein könnte: "Wahrscheinlich hat Loewe das Stück bei seinem Besuch in Münster für die münstersche Loge geschrieben, von wo es über einen der Logenbrüder und dessen Nachlass in die Diösesanbibliothek gelangt sein könnte.“ Immerhin habe Loewe, der selbst der Stettiner Freimaurerloge angehörte, am 30. Juli 1837 die münstersche Freimaurerloge "Zu den drei Balken“ besucht.

Vielleicht hat der Komponist das Stück aber auch für ein Treffen mehrere Logen geschrieben. "Dafür könnte die Angabe ,Chorus aller Oriente‘ sprechen, die sich an einer Stelle des Manuskriptes befindet. Ein Logenbruder könnte es dann mit nach Münster gebracht haben“, erklärt Ratte. Mehr Gewissheit über die Entstehung könnte die Sichtung alter Protokolle, Mitgliederlisten und Schriftstücke der münsterschen Loge liefern, die sich im Stadtarchiv befinden. Da diese aber nur Mitgliedern der Loge zur Verfügung stehen, benötige die Auswertung noch Zeit.

Die Bedeutung von Rattes Entdeckung schmälert das nicht. Aus der in der Diözesanbibliothek beheimateten Santini-Sammlung seien bisher neben Autographen italienischer Meister eine bedeutende Handschrift von Georg Friedrich Händel und autographe Stimmenfragmente von Joseph Haydn bekannt. "Jetzt gesellt sich dazu ein Autograph eines berühmten deutschen Komponisten der Romantik“, freut sich Ratte.