Ein einziges Dokument gibt heute Auskunft über den Zustand Johann Sebastian Bachs nach der Augenoperation durch den englischen Okulisten John Taylor im April 1750. Der Quittungszettel - zuletzt 1908 bei einer Versteigerung des Leipziger Auktionshauses C. G. Boerner zu sehen und lange verschollen geglaubt – ist Zeugnis der letzten nachweislichen Amtshandlung des Thomaskantors. Johann Sebastian Bach beauftragt Anfang Juli 1750 seinen jüngsten Sohn, den knapp 15jährigen Johann Christian, die jährlich anfallende Auszahlung aus dem "Legatum Lobwasserianum" in Empfang zu nehmen und zu quittieren. Noch im selben Monat verstirbt der Komponist.

Der Umstand, dass die Unterschrift bei Empfang der Legatszahlung nicht von Bach selbst, sondern von seinem jüngsten Sohn Johann Christian geleistet wurde, deutet darauf hin, dass Bach möglicherweise damals schon außer Stande war, die Kantorenwohnung am Thomaskirchhof zu verlassen. Da die Verwaltung und Auszahlung des Lobwasserschen Kapitals durch einen Diakon der Thomaskirche erfolgt ist, hätte Bach seine Wohnung vielleicht aber nicht einmal verlassen müssen, um die Zinsgelder in Empfang zu nehmen. Die Schriftzüge des Sohnes Johann Christian erinnern uns eindrucksvoll daran, dass Bach nach der Augenoperation im April seine Sehkraft einbüßte und dass seine Gesundheit schon vier Wochen vor seinem Tod so labil war, dass er nicht einmal mehr in der Lage war, selbst einfachste Schreibdienste noch selbst zu erledigen.

Das "Legatum Lobwasserianum" geht auf eine Stiftung der frommen Leipziger Juristenwitwe Maria Lobwasser († 28. 4. 1610) in Höhe von 1.000 Gulden zurück. Die jährlich anfallenden Zinserträge dieses Kapitals von 50 Gulden waren zur Unterstützung der Kirchen- und Schuldiener zu St. Thomas bestimmt, wobei dem Kantor, dem Konrektor und dem Tertius der Thomasschule jeweils 2 Gulden zustanden. Dies entspricht etwa der Größenordnung des durchschnittlichen Wochenlohns eines Organisten der Bach-Zeit. Die Auszahlung erfolgte auf Wunsch der Verstorbenen am Tag Mariae Verkündigung, dem 2. Juli.

Im Dezember 2014 tauchte die untere Hälfte des Blattes (mit der Quittung von 1750) auf einer Auktion der Firma Swann’s in New York auf. Der Dokumentation war zu entnehmen, dass sich zumindest dieses Fragment vormals im Besitz der berühmten Cembalistin Wanda Landowska (1879–1959) befunden hatte. Mit der großzügigen Unterstützung von drei Kuratoriumsmitgliedern des Bach-Archivs Leipzig – Catherine von Fürstenberg-Dussmann, Elias N. Kulukundis und Arend Oetker – gelang es, das Dokument wieder nach Leipzig zurückzuholen und ihm im Bach-Archiv Leipzig eine dauerhafte Bleibe zu geben. Die Quittung wird während des Bachfestes Leipzig, das vom 12. bis 21. Juni 2015 stattfindet, in der Schatzkammer des Bach-Museums Leipzig erstmals öffentlich gezeigt.

Das Bach-Archiv Leipzig versteht sich als musikalisches Kompetenzzentrum am Hauptwirkungsort Johann Sebastian Bachs. Sein Zweck ist, Leben, Werk und Wirkungsgeschichte des Komponisten und der weit verzweigten Musikerfamilie Bach zu erforschen, sein Erbe zu bewahren und als Bildungsgut zu vermitteln. Die besondere Stärke des Bach-Archivs liegt in dem Perspektivenreichtum, den es im Zusammenwirken von Forschungsinstitut, Bibliothek, Bach-Museum, künstlerischem Betriebsbüro und Servicefunktionen auf eine der herausragenden Künstlerpersönlichkeiten der europäischen Kulturgeschichte richten kann. Präsident des Bach-Archivs Leipzig ist der britische Dirigent und Bach-Spezialist Sir John Eliot Gardiner.