Es waren vor allem Musikpädagoginnen und -pädagogen, die zur Tagung des Landesverbands der Musikschulen in NRW im Neusser Romaneum anreisten. "Heimat: Musik“ lud zum Austausch über Musikschulprojekte mit Geflüchteten in das prächtige Gebäude der Neusser Musikschule. Vorträge, Workshops, Erfahrungsaustausch, ein Projektmarkt und eine Podiumsdiskussion reflektierten Facetten der vielen Musikschulprojekte mit Geflüchteten. Auch praktische Ergebnisse von Ensemble-Arbeit konnte man erleben: Die Ensembles "Musica Arkadas“ der Musikschule Herten und "Rainbow Strings“ der Musikschule Siegen spielten und sangen beschwingt und mit Groove. Sie sind aus der Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen entstanden.

Zwei Referate vertieften Aspekte dieser Arbeit, das Umgehen mit Traumata und das Singen zum Spracherwerb. Eike Leidgens, Psychotherapeut von der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum, differenzierte den Begriff des "Traumas“ und zeigte, dass Phänomene traumatischer Nachwirkungen bei Geflüchteten zwar sorgfältig beobachtet und mit Mitgefühl begleitet werden müssen, aber nicht von Kulturarbeit mit Geflüchteten abschrecken sollten. Statistisch gesehen führt das Erleben von grausamen Verbrechen wie Mord und Vergewaltigung in 50 % der Fälle zur Ausbildung von Traumata. Oft ist dies erst lange nach dem Ereignis selbst der Fall.

Ob es zum Trauma kommt, hängt von den Lebensbedingungen des Opfers ab. Wichtigste Schutzmaßnahme ist ein funktionierendes soziales Netzwerk um den betroffenen Menschen herum. Nach der Flucht ist die soziale Umgebung in der Situation des Ankommens entscheidend. Kulturelle Projekte, die langwährend und intensiv genug sind, stellen eine sehr positive Bedingung nach. Wichtigste Eigenschaft der Projektdurchführenden sollte schlicht menschliche Anteilnahme sein.

Prof. Dr. Dorothea Barth, Universität Osnabrück, führte in Musik zum Spracherwerb und zur Konstruktion von Identität ein. Erfahrungen aus dem Unterricht im Rahmen von Kooperationsprojekten der Universität mit Schulen und Sprachlernklassen zeigen, dass Musik sowohl bei allem sinnvoll ist, was mit Rhythmus zu tun hat, als auch bei der Herausbildung des Wortschatzes, der sich durch viele Wiederholungen einprägt, die im Singen nicht langweilig werden. Wesentlich für den Spracherwerb ist auch die Entwicklung des Betonungshörens, wichtig u.a. für eine gute Aussprache.

Die Dozentinnen entwickelten in den Sprachlernklassen auch Klassensongs, die eine gemeinsame Identität ausdrücken. Ins Repertoire rücken zudem Lieder, die deutsche Geschichte aufbereiten, etwa die Frauenbewegung thematisieren, aber auch die NS-Zeit, das Phänomen von Zensur, die Leidenschaft für den Fußball und mehr. Die Schüler bekommen generell keine Notation in die Hand. Bei den Übungen, die Dorothea Barth mit den Tagungsteilnehmern durchführte, ließ sie die Lieder am Klavier harmonisieren. Wie wirkungsvoll ist das Singen zur Stützung des Spracherwerbs? Die Forschung tut sich da schwer, räumte die Dozentin ein. Zu heterogen sind die Versuchsgruppen. Es gelingt kaum, eine vergleichbare Kontrollgruppe zusammenzustellen.

Inwieweit bezieht man die Herkunftskulturen der Geflüchteten ein? Nach Dorothea Barth kaum, zu ungenau gelinge die kulturelle Lokalisierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und zu sehr drohe die Gefahr einer Re-Ethnisierung: Man führt die Geflüchteten in einen kulturellen Bezug, den sie allenfalls in lockerer Form zeigen. Kulturelle Identität in einer globalisierten Gesellschaft, so Dorothea Barth, meine tatsächlich das Bewusstsein sich selbst als besondere Persönlichkeit mit vielfachen kulturellen Anschlussstellen.

Drei Workshops führten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Praxis der Integrationsarbeit. Nuray Ates-Ünal gab Tips zur interkulturellen Kommunikation an Musikschulen mit Schülern und mit Eltern. Aus einfachen Frage-Antwort-Spielen, die sie mit den Workshopteilnehmern anstellte, entwickelte sie Gesprächserwartungen und -gewohnheiten, denen Musikschulpädagogen oft unterliegen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Aus der Selbsterkenntnis heraus entstand dann die Brücke zur Akzeptanz anderer Gesprächsweisen.

Isabella Schreml und Manfred Grunenberg stellten ihre Arbeit und Lieder vor, die sie in Bochumer Sprachkursen verwenden. Da sie nie genau wussten, in welche Richtung die Affinität der Teilnehmer eines neuen Kurses ging, bereiteten sie stets alternativ das Singen von Liedern und das Üben von Bodypercussion vor. Zum Singen erarbeiteten sie vier neue, bewusst nicht-kindliche Lieder, deren Texte viele Alltagsbegriffe enthalten und die als Audiofiles allen Interessierten zur Verfügung stehen. Bochumer Musikschul-Ensembles haben sie aufgenommen.

Der Monheimer Musikpädagoge und Multiinstrumentalist Koray Berat Sari stellte Instrumente anderer Kulturen vor, auf deren Spielfähigkeit man bei Geflüchteten in den Musikschulprojekten stoßen kann. In seinem ausladenden Instrumentenkoffer hatte Sari zwei Dutzend Zupf-, Blas-, Schlag- und Streichinstrumente mitgebracht, die er nicht nur bezüglich Aufbau und Einsatz erläuterte, sondern auch klangvoll vorspielte.

In einem Projektmarkt präsentierten die Musikschulen Siegen (Angelika Braumann) und Herten (Sabine Fiebig), die mit ihren Ensembles mit Geflüchteten für das musikalische Programm sorgten, ihre Arbeit, die keineswegs nur Ensemble-Proben umfasst.

Der Förderverein der Carl-Stamitz-Musikschule Köln-Porz (Beate Glombek), einer Regionalschule der Rheinischen Musikschule, präsentierte in Wort und Film insgesamt elf Projekte unterschiedlichen Formats, gefördert vom Land NRW, von der Helmut-Behn-Stiftung und drei weiteren Kölner Stiftungen: Singen zur Stützung des Spracherwerbs, Perkussions-Kreise, Chöre mit heterogener Zusammensetzung quer durch den Stadtteil und mit Geflüchteten sowie Streichinstrumente in Vorbereitungsklassen nach der Methodik der "Klassenstreicher“ unterstützen das Zusammenwachsen in dem Stadtteil, in dem Land und Kommune überdurchschnittlich viele Geflüchtete untergebracht haben.

Und am Stand des Landesmusikrats (Sandra Hoch) konnten sich die Tagungsbesucher über das Gelingen von etwa 160 Musikprojekten von Vereinen und Initiativen seit 2015 informieren, die mittlerweile über die Jährlichkeit hinaus eine Dauer von bis zu zwei Jahren haben können. Foto- und Filmmaterial von Projekten in Flüchtlingsunterkünften, Schulen und auf öffentlichen Bühnen und Plätzen vermittelten einen weiteren Eindruck über die gemeinsame musikalische Arbeit von geflüchteten und einheimischen Musikern und die Möglichkeiten der Unterstützung des Spracherwerbs durch Musik in Vorbereitungsklassen von Grundschulen.

Die Abschlussdiskussion der Tagung fragte nach Gelingensbedingungen und nachhaltigen Wirkungen der Musikschulintegrationsarbeit. Sabine Fiebig, Leiterin der Musikschule in Herten, Sandra Hoch, Flüchtlingsreferentin des Landesmusikrats NRW, Koray Berat Sari und Ruddi Sodemann, Leiter der Musikschule in Hürth und Vorsitzender des Landesverbands der Musikschulen, entwickelten im Gespräch mit Robert v. Zahn Perspektiven für die künftige kulturelle Integrationsarbeit mit Geflüchteten.

Sandra Hoch schilderte Beispiele, bei denen aus Förderprojekten des Landesmusikrats dauerhafte Ensembles und nicht-musikalische Personenverbindungen entstanden. Sabine Fiebig schilderte das mühevolle Anbahnen der Kommunikation mit ganzen Familien, um einzelne Jugendliche unter den Geflüchteten nachhaltig mit Musik zu erreichen. Koray Berat Sari betonte die Wichtigkeit von Flexibilität bei der Projektdurchführung, die Monheimer Musikschule stellt sich auf instrumentale und auf alle psychologischen Anforderungen ein.

Auch Ruddi Sodemann betonte die Bedeutung von Improvisationsfähigkeit. Der Verband der Musikschulen in NRW schreibt Landesmittel für Integrationsarbeit gemäß bestimmter Projektdesigns aus. Das erleichtert die formale Abwicklung der Förderung erheblich, die Designs sind aber nicht so starr, dass sie Flexibilität verhindern würden. Sabine Fiebig und Ruddi Sodemann erwarten, dass Musikschulen sich noch weiter öffnen und verändern, um den sich wandelnden Anforderungen an Diversität gerecht zu werden.

Die Abschlussdiskussionsrunde hielt einen freien Stuhl bereit, auf der wechselnde Teilnehmer ihre Erfahrungen und Pläne einbrachten. So Matthias Witt und Antje Valentin von der Landesmusikakademie NRW, die über neue Planungen von Fortbildungen für Akteure der musikalischen Arbeit mit Geflüchteten und über den neuen Zertifikatslehrgang für Musikpädagogen verschiedener Kulturen informierten.

Auch eine Vertreterin des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW nahm dort Platz: Birgit Maubach betreut die Zuwendung an die Musikschulen. Sie lobte den Landesverband, der unter gleichartigen Verbänden stets einen Schritt voraus gewesen sei und den das Musikreferat des Ministeriums gerne auch künftig begleiten werde, wenn die Integrationsprojekte mehr und mehr zur ständigen Alltagsarbeit in den Musikschulen werden.

Absätze