Mit einem offenen Brief, unterschrieben, von zahlreichen namhaften Komponisten, hat Aribert Reimann auf die fristlose Entlassung des Redakteurs für Neue Musik im rbb, Martin Demmler, reagiert. Die Vorgeschichte: Am 30. Mai hatte sich rbb-Redakteur Christian Detig im rbb-Kulturradio zur Gestaltung des Rundfunkprogramms geäußert:

„Das Programm des Rundfunks muss so gestaltet werden, dass es den verwöhnteren Geschmack noch interessiert und dem anspruchslosen noch gefällig und verständlich erscheint. Dabei soll besonderer Bedacht auf die Entspannung und Unterhaltung gelegt werden, weil die weitaus überwiegende Mehrzahl aller Rundfunkteilnehmer einen Anspruch darauf hat, in den wenigen Ruhe- und Mußestunden auch wirklich Entspannung und Unterhaltung zu finden. Dem gegenüber fallen die wenigen, die nur von Kant und Hegel ernährt werden wollen, kaum ins Gewicht.“ Detig im Nachsatz: „Und ich behaupte mal, das könnte so ohne große Abstriche jeder ARD-Intendant auch unterschreiben, ich übrigens auch, ich lasse es aber lieber, denn dieses Zitat stammt von – bitte anschnallen! – Joseph Goebbels.“

Martin Demmler nun hatte im Sommer reagiert: Unter falschem Namen schrieb er drei ARD-Intendanten an, um sie auf ihre vermeintliche Zustimmung zu dem Goebbels-Zitat hinzuweisen. Die Folge des Senders: Demmler wurde fristlos entlassen. Ein gerichtlicher Arbeitsprozess läuft zurzeit.

In ihrem offenen Brief protestieren die Komponisten gegen diese Personalentscheidung und sehen in ihr eine – dem Sender hochwillkommene – Maßnahme zur weiteren Beschneidung Neuer Musik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk:

„Mit Bestürzung haben wir von der fristlosen Kündigung von Martin Demmler, Redakteur für Neue Musik beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, erfahren. Ob diese drastische Maßnahme gerechtfertigt ist, werden die Gerichte klären.

In den 17 Jahren seines Wirkens an diesem Sender hat Martin Demmler Hervorragendes für die Sache der Neuen Musik geleistet und das nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Erst kürzlich hat er, übrigens nicht zum ersten Mal, den Ersten Preis für ein von ihm eingereichtes Werk beim Internationalen Komponistenforum der UNESCO gewonnen.

Seine Arbeit wurde ihm allerdings bereits vor diesem Eklat seit Jahren erschwert. So wurden die Sendezeiten für zeitgenössische Musik von fünf auf zwei Stunden pro Woche, also um 60 Prozent, gekürzt, der Etat so beschnitten, dass keine Aufträge für Sendungen freier Autoren mehr möglich waren. Auch die Konzertreihe „Musik der Gegenwart“ wurde von vier auf zwei Konzerte im Jahr reduziert und sollte in Zukunft in dem Festival „Ultraschall“ aufgehen, eine gemeinsame Veranstaltung von RBB und DeutschlandRadio Kultur.

Ähnliches geschah vor einigen Jahren, als die erfolgreiche Fernsehsendung „Wege zu neuer Musik“ kurzerhand gestrichen wurde.

Wir fragen uns daher, ob die plötzliche Entlassung von Martin Demmler – wegen eines „Vergehens“ aus Gewissensnot – nicht willkommener Vorwand war, die zeitgenössische Musik beim RBB weiter zu reduzieren, wenn nicht gar abzuschaffen. Wahrscheinlich wird die Stelle ohnehin nicht neu besetzt, es dürfte überdies schwer fallen, einen ähnlich guten Fachmann für dieses Gebiet zu finden.

Besonders empörend ist auch die Tatsache, dass Martin Demmler offenbar auch nicht weiter für andere ARD-Sender arbeiten darf, was einem Berufsverbot gleichkommt.

Wir, die unterzeichnenden Komponisten, die Martin Demmler seit vielen Jahren begleitet und gefördert hat, protestieren daher gegen diese ungerechtfertigte Entlassung eines hervorragenden Anwalts für die Neue Musik und fordern, Martin Demmler in seinen Pflichten wieder einzusetzen.

Im Übrigen: Ein Goebbels-Zitat, das im Zusammenhang mit den Interessen der ARD-Intendanten gebraucht wird, sollte an einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk tabu sein."

Prof. Jürg Baur; Martin Daske; Moritz Eggert; Sören Nils Eichberg; Detlev Glanert; Prof. Friedrich Goldmann; Erhard Grosskopf; Johannes K. Hildebrandt; Ellen Hünigen-Schmidt; Christian Jost; Helge Jung; Prof. Georg Katzer; Prof. Hanspeter Kyburz; Prof. Dr. Helmut Lachenmann; Dieter Mack; Prof. Siegfried Matthus; Jan Müller-Wieland; Franz Martin Olbrisch; Robert HP Platz; Prof. Aribert Reimann; Rainer Riehn; Rainer Rubbert; Prof. Dr. Dieter Schnebel; Charlotte Seither; Wilhelm Dieter Siebert; Prof. Manfred Trojahn; Prof. Wolfgang von Schweinitz; Benjamin Schweitzer; Prof. Karl-Heinz Wahren; Johannes Wallmann; Prof. Jörg Widmann; Prof. Peter Manfred Wolf; Prof. Hans Zender

Inzwischen hat das Arbeitsgericht Berlin Demmlers Kündigung für ungültig erklärt. Es wird vermutet, dass der Sender in Berufung gehen wird. Ob Demmler - selbst, wenn er den Prozess gewinnt - an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren wird, ist ungewiss.