Im Historischen Rathaus zu Köln wurde am Samstag, 19. Oktober 2019, Daniel Barenboim mit dem Konrad-Adenauer-Preis 2019 ausgezeichnet. Mit dem Preis wurde Daniel Barenboims beispielloses Engagement für Frieden und Völkerverständigung gewürdigt. In seiner Rede griff er engagiert verschiedene historische aber auch aktuelle politische Themen auf:

"Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

sehr geehrte Damen und Herren,

Ich bin sehr dankbar, heute den Konrad-Adenauer-Preis entgegennehmen zu dürfen.

1953, als Konrad Adenauer gerade vier Jahre erster Bundeskanzler in Nachkriegsdeutschland war, lud mich – damals 11-jährig – der große Dirigent Wilhelm Furtwängler nach Berlin ein. Mein Vater lehnte diese Einladung damals ab: das Kriegsende und damit die Schreckenszeit des NS-Regimes lagen noch keine zehn Jahre zurück und es war ihm für uns, als jüdische Familie, zu früh, nach Deutschland zu reisen. Später trat ich dann natürlich in Deutschland auf und als ich 1992 Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden und der Staatskapelle Berlin wurde, zog ich mit meiner Familie nach Berlin. Ich konnte mich als Jude in Deutschland damals nur niederlassen, weil sich sowohl die deutsche Politik als auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung mit der Nazi-Vergangenheit auseinandergesetzt und diese – soweit überhaupt möglich – aufgearbeitet hatten.

Obwohl die Entnazifizierung in der Ära Adenauer nicht in letzter Konsequenz umgesetzt wurde, so steht Konrad Adenauer sowohl mit seiner persönlichen Biographie als auch mit seinem politischen Handeln für ein neues Deutschland, verankert in Europa, und für die Aussöhnung der Deutschen mit dem jüdischen Volk. Adenauer selbst bemühte sich tatkräftig um die Versöhnung mit den Juden: Nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel 1965 reiste er im folgenden Jahr als erster hochrangiger deutscher Politiker nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel. Er war auch eindeutig in seiner Analyse der Verantwortung der Deutschen. Schon 1946 schrieb er in einem Brief:

"Nach meiner Meinung trägt das deutsche Volk und tragen auch die Bischöfe und der Klerus eine große Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern. Richtig ist, dass nachher vielleicht nicht viel mehr zu machen war. Die Schuld liegt früher. Das deutsche Volk, auch Bischöfe und Klerus zum großen Teil, sind auf die nationalsozialistische Agitation eingegangen. Es hat sich fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung gleichschalten lassen. Darin liegt seine Schuld.“

Ich zitiere heute aus diesem Brief, weil ich nach fast 30 Jahren in diesem Land wieder voll Sorge in Deutschland lebe. Es gibt heute einen hoch-gefährlichen neuen Antisemitismus in Deutschland und die Reaktionen darauf, sowohl gesellschaftlich als auch politisch, sind längst nicht stark genug. Ich hätte Anfang der 90er Jahre nicht geglaubt, dass Antisemitismus und Fremdenhass, die Verherrlichung der Nazi-Vergangenheit und ein aggressiver, völkischer Nationalismus 2019 in Deutschland wieder salonfähig sein würden. Was täglich in Deutschland geschieht sind keine "Alarmzeichen“, für diese ist es längst zu spät. Wir müssen Antisemitismus und Fremdenhass geschlossen und entschieden entgegentreten, jeden Tag. Denn es gibt viele Aspekte der deutschen Kultur, die ich sehr schätze: Literatur, Musik und Philosophie zum Beispiel. Nazismus aber repräsentiert die menschlichen Werte, die dieser deutschen Kultur zugrunde liegen, nicht. Nazismus ist unmenschlich.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch einige Worte zu einem anderen Thema sagen, das mich mit Sorge erfüllt: in Israel hängt die Regierungsbildung derzeit in der Schwebe. Egal, wie die neue Regierung aussieht müssen die Israelis endlich verstehen, dass ihre eigene Sicherheit untrennbar mit dringend nötiger Gerechtigkeit für das palästinensische Volk verbunden ist. Es kann wirklichen, dauerhaften Frieden nur dann geben, wenn die unrechtAntisemitismusmäßige Okkupation der palästinensischen Gebiete endlich endet. Auch dafür muss sich Deutschland einsetzen, denn es hat eine Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk, hier wie dort. Es mag schwierig, gar unlösbar erscheinen. Aber wie sagte Adenauer: "Alles Große, meine Damen und Herren, ist ein Wagnis.“

Vielen Dank."

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Rede von Oberbürgermeisterin Reker anlässlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises der Stadt Köln an Daniel Barenboim, 19.10.2019

"Hoch verehrter Maestro Barenboim,

sehr verehrter Herr Langevoort, lieber Louwrens,

sehr geehrte Familie Adenauer,

sehr geehrte Mitglieder aus dem Beirat und dem Kuratorium,

sehr geehrte Sponsoren des Konrad-Adenauer-Preises,

liebe Vertreterinnen und Vertreter der Religionen, aus Kultur, Politik, Justiz, Diplomatie, Verwaltung und Stadtgesellschaft,

Liebe Gäste, ich begrüße Sie alle ganz herzlich zur Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises 2019. Es ist mir als Oberbürgermeisterin der Stadt Köln eine große Freude und eine besondere Ehre, verehrter Maestro, Sie hier im Historischen Rathaus zu Köln zu begrüßen.

Meine Damen und Herren, gestern ist in Köln der Deutsche Dirigentenpreis verliehen worden – ein Sprungbrett für große Karrieren. Dabei ist mir bewusst geworden, dass sich das Dirigat und die Politik näher sind, als wir glauben: Während die Politik aus der gesellschaftlichen Meinungsvielfalt das Staatshandeln organisiert, führt ein Dirigent den natürlicherweise polyphonen Klang eines Orchesters zu einem einheitlichen Ausdruck zusammen.

Aus der Vielfalt eine Einheit zu machen, das ist der gemeinsame Nenner von Politik und Dirigat.

Und so gesehen, liegt es durchaus nahe, einen Weltklasse-Dirigenten mit einem Preis auszuzeichnen, der nach dem langjährigen Kölner Oberbürgermeister, dem Kölner Ehrenbürger und dem späteren Bundeskanzler Konrad Adenauer benannt ist.

Und doch ist die diesjährige Preisverleihung etwas Besonderes! Mit dem Konrad-Adenauer-Preis zeichnen wir üblicherweise Menschen aus, die sich für eine lebenswerte Großstadt, die europäische Integration und die Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung im zusammenwachsenden Europa einsetzen. Sie, verehrter Maestro, sind also in jeder Hinsicht ein außergewöhnlicher Preisträger.

Nach den schrecklichen Ereignissen in Halle, nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Jahre nach den NSU-Anschlägen auch hier in Köln und angesichts einer erstarkten neuen Rechten in Deutschland – angesichts dessen ist es gut, dass wir den Mut aufbringen, deutliche Zeichen zu setzen.

Ein solches Zeichen ist die Vergabe des Konrad-Adenauer-Preises 2019 an den Weltklasse-Musiker, an den Brückenbauer, Friedensstifter und Weltbürger Daniel Barenboim! Er steht mit seinem künstlerischen und politischen Lebenswerk exemplarisch für Dialog, für Verständigung, für Toleranz und Offenheit, wie es nur wenige Menschen tun.

Er, der einzige Mensch mit einer israelischen und einer palästinensischen Staatsangehörigkeit, verkörpert wie kaum jemand das Überwinden von Grenzen. In Zeiten, in denen einige bei uns in Deutschland und in der Welt die Grenzen wieder heraufbeschwören, in Zeiten, wo gesellschaftliche Gruppen den Nationalismus und das Trennende betonen, wollen wir in Köln jemanden ehren, der das Verbindende lebt, der für Verständigung und Frieden in der Welt steht.

Der Geist des Friedens hat auch das Leben Konrad Adenauers bestimmt: Als Bundeskanzler hat er nach dem Zweiten Weltkrieg die von Frankreich und Israel ausgestreckten Hände der Versöhnung ergriffen.

Mit Israel schloss er genau in dem Jahr einen Restitutionsvertrag, als Daniel Barenboim gemeinsam mit seiner Familie nach Israel übersiedelte – das war 1952. Es war der Beginn der deutsch-israelischen Freundschaft.

Und nur ein Jahr zuvor hatte Konrad Adenauer gemeinsam mit weiteren europäischen Staatslenkern die sogenannte Montanunion gegründet, Kern der heutigen Europäischen Union. Dieses Friedenswerk sowie die Aussöhnung mit Israel und Frankreich sind wesentliche Elemente aus dem politischen Vermächtnis Konrad Adenauers und sie zeigen uns drei Wesenszüge: seinen starken Willen zum Frieden, die Kraft, ihn zu gestalten, und den unerschütterlichen Glaube daran. Hierin, meine Damen und Herren, sehe ich die große Gemeinsamkeit, hierin liegt das Verbindende zwischen Konrad Adenauer und unserem Preisträger.

Von Ihnen, verehrter Maestro, stammt der Satz: "Besser mit einer Utopie leben als mit einer schlechten Realität.“ Ich glaube, Konrad Adenauer hätte diesen Satz unterschrieben. Denn sein Gedanke an einen institutionalisierten europäischen Frieden musste kurz nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs durchaus utopisch erscheinen.

Und trotzdem hat Konrad Adenauer diese Friedens-Idee fest in den Blick genommen und beharrlich verfolgt Ganz so wie Daniel Barenboim mit seinem West-Eastern-Divan Orchestra zeigt, dass von Menschen gemachte Grenzen nicht naturgegeben sind und der Nah-Ost-Konflikt im Kleinen lösbar ist.

Trotz aller Rückschläge auf politischer Ebene hält er an seinem musikalischen Projekt der Versöhnung fest – und das seit bereits 20 Jahren! Kritik an seinem Weg hat ihn dabei scheinbar noch stärker gemacht. Und deshalb bin ich überzeugt, dass uns Daniel Barenboim mit seiner unerschütterlichen Haltung ein Vorbild sein kann: Vorbild dafür, weiterhin für die Werte einer liberalen Demokratie einzustehen. Vorbild dafür, sich angesichts einer Krise der westlichen Welt nicht auf Kulturpessimismus zurückzuziehen. Und Vorbild dafür, mutig Stellung gegen all jene zu beziehen, die eine tolerante, respektvolle und gewaltfreie Gesellschaft ablehnen.

Meine Damen und Herren, eine Würdigung von Daniel Barenboim kommt natürlich ohne die Musik nicht aus. Ich freue mich daher, dass ein Experte auf diesem Gebiet, die heutige Laudatio übernimmt: Der Intendant der Kölner Philharmonie Louwrens Langevoort. Von ihm erwarte ich, dass er besonders gut versteht, warum und wie Musik friedensstiftend sein kann. Bevor ich ihm das Wort übergebe, möchte ich mich noch ganz herzlich bei unseren Musikern des Gürzenich-Orchesters bedanken: Alja Velkaverh  an der Flöte, und Blaž Šparovec an der Klarinette.

Ihnen allen wünsche ich jetzt eine festliche Preisverleihung im Zeichen der Überwindung von Grenzen auf den Landkarten dieser Welt und in unseren Köpfen.“