Mit einem einwöchigen Festival begeht das Jewish Chamber Orchestra Munich den 100. Geburtstag von Mieczysław Weinberg. Orchesterwerke, Kammermusik und eine Oper des lang unterschätzten russischen Komponisten jüdisch-polnischer Herkunft kommen im NS-Dokumentationszentrum München, in den Münchner Kammerspielen und in Schloss Elmau zur Aufführung.

"Mieczysław Weinberg zählt für mich zu den großen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Sein vielseitiges und komplexes Werk ist in seiner Bandbreite bis heute weitgehend unentdeckt geblieben. Mit dem neuen Festival, wollen wir einen Einblick geben in Mieczysław Weinbergs reiche musikalische Hinterlassenschaft und eine neue Bühne für ihn schaffen“, sagt Daniel Grossmann, Gründer und künstlerischer Leiter des Kammerorchesters.

Inzwischen sind die lang vergessenen Kompositionen des 1996 verstorbenen Künstlers vereinzelt auf den Spielplänen vieler Konzert- und Opernhäusern zu finden. 2010 sorgte die szenische Uraufführung seiner Oper Die Passagierin bei den Bregenzer Festspielen für eine Sensation. Dennoch sieht das Jewish Chamber Orchestra Munich sein OEuvre in seiner Vielfalt nach wie vor nicht angemessen gewürdigt. Mieczysław Weinberg, der im kommenden Dezember seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, war ein äußerst produktiver und vielseitiger Komponist. 154 seiner Werke sind bis heute erhalten, darunter 22 Symphonien, vier Kammersymphonien, sechs Opern sowie Ballette, Film- und Zirkusmusik. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft floh Weinberg vor den Nazis aus seiner Heimat Polen in die Sowjetunion, wo er während der Stalin-Herrschaft verfolgt wurde. Lange stand er im Schatten seines Freundes Dmitri Schostakowitsch, obwohl dieser ihn förderte.

Im Rahmen eines dem Andenken Weinbergs gewidmeten Festivals präsentiert das JCOM vom 20. bis 26. Mai Werke für Streichorchester, Kammermusik und die erst vor wenigen Jahren uraufgeführte Oper Lady Magnesia. Eine Neuentdeckung wird für viele auch die Filmmusik Weinbergs werden, für den berühmten sowjetischen Antikriegsfilm Die Kraniche ziehen, der im Rahmen des Festivals inklusive der Original-Musikfassung vorgeführt wird. Auch die Gesprächskonzerte bringen dem Publikum weitere Facetten seiner von Höhen und Tiefen gezeichneten Künstlerexistenz nah. Die große Bandbreite seines Schaffens reicht von einfachen, eingängigen Melodien bis zu komplexer Zwölftonmusik. In vielen Werken verband er jüdische Musiktraditionen mit dem russischen Stil.

Beginnen wird das Festival am 20. Mai mit einem moderierten Kammerkonzert der Reihe Expedition im NS-Dokumentationszentrum München. Daniel Grossmann tauscht hier den Taktstock gegen das Mikrofon und erzählt dem Publikum Wissenswertes und Überraschendes über Weinbergs Leben und die aufgeführten Stücke. Bei einem Orchesterkonzert in den Münchner Kammerspielen stehen am 21. Mai seine Symphonie Nr. 2 op. 30 für Streichorchester (1945/46), die Rhapsodie über moldawische Themen op. 47 (1949), das Konzert für Flöte und Orchester Nr. 1 op. 75 (1961) und die Kammersymphonie Nr. 4 op. 153 (1992) auf dem Programm. Als Solisten sind der Geiger Sándor Galgóczi und die Flötistin Noémi Györi zu erleben. Dieses Konzert, das einen Querschnitt durch Weinbergs OEuvre bietet, wird am 25. Mai in Schloss Elmau, dann jedoch mit dem Violinisten Aleksey Semenenko, wiederholt.

Lady Magnesia – Ein Festival-Highlight

Einer der Höhepunkte der Woche ist die Aufführung der einaktigen Kammeroper Lady Magnesia (1975) am 23. Mai in den Münchner Kammerspielen. Weinberg ließ sich beim Komponieren des absurdkomischen Werkes durch barocke Klänge, Unterhaltungsmusik, Tänze und Jazz inspirieren. Sein Libretto basiert auf der Farce Passion, Poison and Petrifaction des irischen Dramatikers George Bernard Shaw, in der es um Ehebruch und Mord geht. Erst 2009 erlebte Lady Magnesia beim Weinberg-Festival in Liverpool ihre konzertante Uraufführung. Drei Jahre später brachte sie das Theater Erfurt erstmals in einer szenischen Fassung auf die Bühne.

In der Hauptrolle tritt die Sopranistin Susanne Bernhard auf. 1997 debütierte sie im Münchner Prinzregententheater als Susanna in Mozarts Le nozze di Figaro. Seither ist die vielseitige Sängerin an Opernhäusern, in Konzertsälen und bei Festivals im In- und Ausland zu erleben. An der Oper Frankfurt verkörperte sie beispielsweise die Violetta in Verdis La traviata, an der Semperoper Dresden die Isotta in Richard Strauss' Schweigsame Frau. Juan Carlos Petruzziello singt die Partie des Sir George Fitztollemache. Der spanisch-italienische Tenor, der in der Schweiz aufwuchs, überzeugte zu Beginn seiner internationalen Laufbahn als Tamino in Mozarts Zauberflöte. Nach einem Engagement am Theater St. Gallen wurde er zu zahlreichen Gastspielen in der Schweiz sowie in Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Südkorea und in der Türkei eingeladen.

Die russische Mezzosopranistin Yulia Sokolik, Preisträgerin mehrerer Wettbewerbe, übernimmt die Partie des Zimmermädchens Phyllis . Der ukrainische Bariton Petro Ostapenko, der den Hausdiener Adolphus Bastable verkörpert, feiert in dieser Rolle beim Weinberg-Festival sein München-Debüt. Er war zuvor in einer Uraufführung des Opernstudios auf der Bühne des Mailänder Teatro alla Scala zu sehen.

Weinberg als Filmkomponist

Der Filmkomponist Weinberg rückt bei einer Veranstaltung im Neuen Rottmann Kino am 22. Mai in den Fokus. Das 1957 entstandene Melodram Die Kraniche ziehen, bei dem Michail Kalatosow Regie führte, handelt von einem Liebespaar in Moskau, das durch den Zweiten Weltkrieg für immer voneinander getrennt wird. Der Film, zu dem der Dramatiker Wiktor Rosow das Drehbruch verfasste und Weinberg die Musik schrieb, hatte nicht nur im Ostblock, sondern auch im Westen Erfolg. 1958 gewann er bei den Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme.

Gesprächskonzerte zu Leben und Werk von Mieczysław Weinberg

Um Weinbergs Leben in der Sowjetunion geht es am 26. Mai bei einem Gesprächskonzert zum Abschluss des Festivals in den Münchner Kammerspielen. Bei der Matinee werden neben der Rhapsodie über moldawische Themen auch 3 Stücke für Geige und Klavier (1934) und die Sonate für zwei Violinen solo op 69 (1959) gespielt. Solisten sind die Geiger Tassilo Probst und David Frühwirth, die von dem Pianisten Johannes Umbreit am Flügel begleitet werden. Eine Neuentdeckung ist das erst 17-jährige Ausnahmetalent, der Geiger Tassilo Probst (ein Schüler David Frühwirths, vierfacher erster Bundespreisträger "Jugend musiziert“).

Mit der Musikwissenschaftlerin Verena Mogl diskutiert Daniel Grossmann darüber, welchen Einfluss der Wandel der politischen Verhältnisse in der Sowjetunion auf die Entwicklung von Weinbergs Musik hatte. In ihrer im Waxmann Verlag erschienenen Dissertation mit dem Titel "Juden, die ins Lied sich retten“ - Der Komponist Mieczysław Weinberg (1919-1996) in der Sowjetunion hat sich Mogl ausführlich mit diesem Thema beschäftigt.

Die tragische Erfahrung von Flucht und Verfolgung hinterließ in Weinbergs Vita tiefe Spuren. Der hochbegabte Sohn eines Musikers, der seine ersten Stücke bereits als Jugendlicher schrieb, studierte am Konservatorium seiner Geburtsstadt Warschau Klavier. Beim deutschen Überfall auf Polen setzte er sich 1939 zunächst nach Minsk in Weißrussland ab, wo er bei Wassili Solotarjow, einem Schüler von Nikolai Rimski-Korsakow, ein Kompositionsstudium aufnahm. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Sommer 1941 floh er ins usbekische Taschkent.

Auf Einladung Dmitri Schostakowitschs, der auf seine erste Symphonie aufmerksam wurde, kam Weinberg 1943 nach Moskau. Dort lebte er bis zu seinem Tod als freischaffender Komponist. Mit seinem Mentor, der ihn überaus schätzte, verband ihn eine enge Freundschaft. Die Annahme, Weinberg sei lediglich ein Schüler von Schostakowitsch gewesen, haben Wissenschaftler längst widerlegt. Viele Anhaltspunkte sprechen dafür, dass sich beide Komponisten wechselseitig beeinflussten. Wie Schostakowitsch geriet auch Weinberg in Konflikt mit den sowjetischen Behörden. Obwohl sich Schostakowitsch couragiert für ihn einsetzte, kam er erst nach dem Tod des Diktators aus der Haft frei.

Einem breiteren Publikum wurde Weinberg posthum durch die szenische Uraufführung seiner Oper Die Passagierin bei den Bregenzer Festspielen 2010 bekannt. In Die Passagierin spiegeln sich auch die bitteren Lebenserfahrungen Weinbergs, dessen Eltern und die jüngere Schwester in einem polnischen Zwangsarbeitslager von den Nazis ermordet wurden. "Bis ins hohe Alter wird ihn dieses Trauma verfolgen", schrieb der Musikjournalist Oswald Beaujean 2010 in einem Beitrag für die Wochenzeitung DIE ZEIT. "Bis zuletzt begreift er sein Komponieren als Trauerarbeit und hält es für seine Lebensaufgabe, mit Musik an das tragische Schicksal seiner Familie wie überhaupt der Millionen ermordeter Juden zu erinnern."

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