Die Live-Veranstaltungsbranche forderte auf einer Pressekonferenz am 3. September in Berlin von der Politik, dass dem Wirtschaftszweig endlich eine Perspektive eröffnet wird, die es den Unternehmen ermöglicht, die Corona-Krise zu überleben. "Nachdem monatelang gar keine Veranstaltungen durchgeführt werden durften, müssen wir nun bis Ende des Jahres Abstandsregeln einhalten, die jegliche wirtschaftliche Sinnhaftigkeit einer Veranstaltung von vornherein ausschließen“ sagt Dieter Semmelmann, Geschäftsführer eines der größten deutschen Veranstaltungsunternehmen und Veranstalter der sieben Neustart-Open Airs, die ab 4. September in der Waldbühne Berlin stattfinden. "Wir respektieren selbstverständlich alle zum Schutz vor Corona-Infektionen gebotenen Maßnahmen. Aber wenn die es erforderlich machen, dass Veranstaltungen weiterhin nur unter derart eingeschränkten Bedingungen durchgeführt werden dürfen, wird unser Wirtschaftszweig nur überleben, wenn uns schnell umfangreiche finanzielle Hilfen zuteilwerden“. Für seine Veranstaltungen in der 22.000 Personen fassenden Waldbühne darf Semmelmann pro Konzert 5.000 Besucher empfangen und muss strenge Hygienevorschriften umsetzen. "Wir haben zusammen mit den Künstlern beschlossen, besser etwas als gar nichts zu machen. Aber letztlich können wir nur hoffen, mit den Veranstaltungen die Kosten einzuspielen. Geld verdienen lässt sich unter den gegebenen Bedingungen jedenfalls nicht“, so der Veranstalter.

Prof. Jens Michow, Präsident des Bundesverbandes der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, weist darauf hin, dass sich die bereits vor Monaten befürchteten Konsequenzen der Krise im Veranstaltungsbereich zunehmend realisierten: "Die ersten Unternehmen kündigen an, dass sie die nun beschlossene weitere Verlängerung der Restriktionen im Veranstaltungsgeschäft bis Ende des Jahres wirtschaftlich nicht überleben werden.“ Der Verband fordere daher bis zur kompletten Wiedereröffnung umfassende finanzielle Hilfen mindestens in Höhe der unternehmerischen Fixkosten ebenso wie der variablen Kosten. Nur so könne der totale Zusammenbruch der Branche verhindert und ein Wiedereinstieg im kommenden Jahr ermöglicht werden. Außerdem sei schnellstens eine wirksame Unterstützung aller Künstler*innen, ihrer Vermittlungsagenturen sowie der großen Anzahl von Veranstaltungsdienstleistern erforderlich. "Weder die Überbrückungshilfen noch das soeben mit der Beauftragten für Kultur und Medien ausgehandelte beachtliche Förderprogramm sind geeignet, die Löcher zu stopfen, die bisher entstanden sind und weiter entstehen werden. Durch die Förderung werden zwar zukünftige Veranstaltungsverluste vermieden, sie dient aber nicht dazu, den Veranstaltern einen zumindest bescheidenen Gewinn zu sichern, zumal dieser bei Konzerten mit Abstandsregeln ohnehin nicht zu erwirtschaften ist“ sagt der Verbandschef. "Die Branche fordert daher im Interesse der Erhaltung der deutschen Live-Kultur ein verbindliches Hilfs-Szenario für die Zukunft.“

Semmelmann erläutert, dass es auch unmöglich sei, Konzerttourneen auf der Grundlage eines föderalen Flickenteppichs unterschiedlichster Verordnungen durchzuführen. "Wir brauchen schnellstmöglich einheitliche, nachvollziehbare und bundesweit verbindliche Regeln für Hygiene-, Organisations- und Dokumentationsstandards, unter denen Veranstaltungen gegebenenfalls auch schon kurzfristig durchgeführt werden können. Wir können mit personalisierten Tickets arbeiten und spezielle Einlassverfahren und Hygienemaßnahmen wie den obligatorischen Mund-Nasen-Schutz umsetzen. Was definitiv nicht geht, ist allerdings die Einhaltung eines Mindestabstands zwischen den Besuchern, zumal darauf ja auch in Flugzeugen, Bussen und Bahnen längst verzichtet wird.“

Michow berichtet, dass die Veranstaltungsbranche 2019 einen Umsatz von rund 6 Milliarden Euro erwirtschaftet habe. "Mit nahezu 160.000 Erwerbstätigen sind in dem Wirtschaftszweig mehr Menschen als in jeder anderen Branche der Medienwirtschaft tätig - mehr als bei Zeitungsverlagen oder der Filmwirtschaft und übrigens gerade mal rund 10.000 Beschäftigte weniger als bei der Deutschen Lufthansa weltweit tätig sind.“

Semmelmann erläutert, dass die Branche die Existenz von über zehntausend Künstler*innen sichert. "Veranstaltungen sind der Motor der gesamten Musikwirtschaft – finden keine Veranstaltungen statt, haben Künstler*innen keine Einnahmen. Können Künstler keine Musikwerke aufführen, erzielen auch die Musikautoren und Texter sowie die Musikverlage keine Einnahmen und so geht das im gesamten Musikwirtschaftsbereich weiter“. Michow weist auf die zusätzlichen indirekten Effekte des Wirtschaftszweigs hin: "Die Veranstaltungsbranche generiert jährlich einen Umsatz von 13 Milliarden Euro durch Musikreisen innerhalb unseres Landes. Davon profitieren nicht nur Stadt und Land, sondern auch die Gastronomie und die Hotelwirtschaft sowie viele andere Wirtschaftsbereiche.“

Die Branche brauche nun dringend Planungs- und Investitionssicherheit. "Nur so werden Banken und Versicherungen im Boot bleiben. Nur so könnte es gerade noch gelingen, das für die Branche existentiell wichtige Vorverkaufsgeschäft rund um Weihnachten, bei dem rund 40 Prozent der Tickets für das Folgejahr verkauft werden, zu retten. Nur so kann auch die wirtschaftliche Existenz aller vom Veranstaltungsgeschäft abhängigen Künstler*innen sowie der Dienstleister sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen gesichert werden. "Nur so wird die gewohnte Vielfalt des Kulturangebots in Deutschland erhalten bleiben und den Zigtausenden vom Live-Geschäft abhängigen Akteuren eine Überlebenschance gegeben werden“, fasst Michow zusammen. "Wir fordern deshalb die politisch Verantwortlichen auf, mit uns und den weiteren betroffenen Veranstaltungsbereichen unverzüglich in den Dialog zu treten und eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzurichten, in welcher tragfähige Lösungen entwickelt werden. Dafür ist es allerdings wenige Minuten vor Zwölf!“

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