In ihrer gemeinsamen Stellungnahme vom 15. März 2024 schreiben der Förderverein Musikwirtschaft NRW, der Landesmusikrat NRW und PRO MUSIK:

Zur Studie „DIE DEUTSCHE MUSIKINDUSTRIE: INVESTITIONEN UND ZAHLUNGEN AN KÜNSTLER*INNEN“ von Oxford Economics (Dr. Yann Girard, Dr. Jan Sun und Jonas Schwarze) für den Bundesverband Musikindustrie 2024

Wenn jemand eine Studie in Auftrag gibt, liegt nahe, dass er damit ein bestimmtes Interesse verfolgt. Die für den Bundesverband Musikindustrie erstellte Studie will das Bild von Musiklabels als Partner der Künstler:innen vermitteln, die ihre gestiegenen Einnahmen vor allem an die Künstler:innen weitergeben. Die vorgelegten Zahlen stützen dieses Bild aber nur begrenzt.

Der Bundesverband Musikindustrie attestiert seiner Branche und speziell den Labels eine wichtige Rolle beim wirtschaftlichen Überleben von Künstler:innen. Zwischen 2010 und 2022 sind die Einnahmen der Branche deutlich gestiegen, so die Studie von Oxford Economics, was nicht nur zu höheren Investitionen führte, sondern auch zu überproportional gestiegenen Zahlungen an Künstler:innen.

„Während die Industrieeinnahmen zwischen 2010 und 2022 um 17% stiegen, haben sich die Zahlungen an Künstler:innen im selben Zeitraum mehr als verdoppelt (ein Anstieg um 132%).“ An der Belastbarkeit dieser überaus freundlichen Darstellung bestehen jedoch Zweifel.  Eine solch tendenziöse Darstellung ist auch nicht geeignet, die Debatte zu versachlichen, sondern verschleiert vielmehr einen klaren Blick auf die Verhältnisse insbesondere im Streamingmarkt.

Zudem fällt bei der Lektüre eine grundlegende Inkongruenz auf: Das Urheberrecht unterscheidet Urheber:innen ("Musikautor:innen") von leistungsschutzberechtig­ten ausübenden Künstler:innen. Wenn die vorliegende Studie von "Künstler:innen" spricht, bezieht sie sich nicht auf alle künstlerisch Beteiligten, sondern lediglich auf "ausübende Künstler:innen", und zwar konkret und ausschließlich auf diejenigen, die mit den Labels vertraglich verbunden sind. Für die im Streaming verwerteten Aufnahmen werden aber die Werke (Kompositionen und Texte) von Musikautor:innen genutzt, deren Situation in einer Studie von Goldmedia für die GEMA im Herbst 2023 detailliert beschreiben wurde; sie stehen nicht in einer direktvertraglichen Beziehung zu den Labels und so auch nicht im Fokus der Studie.

Zudem sind auf den Aufnahmen die Studiomusiker:innen vertreten, die ebenfalls keine direktvertragliche Beziehung zu den Labels haben. Auch diese blendet die Studie aus. Die Verteilungsprobleme im Binnenverhältnis der verschiedenen Beteiligten sind gleichwohl so immens, dass sie Gegenstand eines Berichts des Europaparlaments vom 17. Januar 2024 sind, der am Ende fairere Vergütungen für alle Beteiligten einfordert.  

Die oben zitierte Goldmedia-Studie zum Streaming vermittelte im Übrigen ein grundlegend anderes Bild der Verteilungsquoten der Einnahmen als die Studie des Bundesverbandes Musikindustrie. Dass der Bundesverband kein Investitionsproblem sieht, löst nicht das Problem ungerechter Verteilungen.

Wer im Detail in der Studie der Musikindustrie nachliest, stößt unter den Einnahmen vor allem auf Vorschüsse, welche die Studien nicht nach Vertragsart differenziert. Da Vorschüsse verrechenbar sind und verrechnet werden, sind sie als Bezugsgröße für eine solche Studie ungeeignet. Zudem wird das erfreuliche Wachstum der Ausschüttungen an „bei den Firmen unter Vertrag stehende Künstler:innen“ so hervorgehoben, dass es als generelle Entwicklung missverstanden werden kann; genau darum aber handelt es sich nicht: Die unter Vertrag stehenden Musiker:innen und Musikautor:innen sind von den steigenden Erlösen vollständig (Musiker:innen) oder zum Teil (Musikautor:innen) abgeschnitten.

Die Investitionsfreudigkeit in Künstler:innen, die die Studie herausstellt, widerspricht der Lebenserfahrung vieler Künstler:innen: Immer mehr Künstler:innen sorgen für den Aufbau ihrer Karriere selbst und tragen dafür den Großteil der Kosten, weil diese Arbeit von den personell dezimierten Industrieunternehmen nicht mehr geleistet wird. Daher ist die heutzutage dominierende Vertragsart sowohl für Newcomer wie auch für etablierte Acts der Vertriebsvertrag und nicht ein Künstler- oder Bandübernahmevertrag. Da die Studie bei den Vorschüssen nicht zwischen den Vertragsarten differenziert, ist es bei dieser Entwicklung naheliegend, dass diese Summe stark steigt. Denn bei einem Künstler- oder Bandübernahmevertrag zahlt die Branche zwischen ca. 20-24% Lizenzsatz, bei einem Vertriebsvertrag hingegen offeriert sie Beteiligungen in Höhe von 75-85%.

Zahlungen aus einem Vertriebsvertrag müssen auf der Seite der Zahlungsempfänger neben einem Anteil für Künstlerlizenzen nicht nur – wie bei einem Bandübernahmevertrag – die Kosten für die Herstellung der Tonaufnahmen decken, sondern auch die Kosten für Marketing und Promotion. Das belegt die Studie selbst mit den Worten: „Während die Investitionen in A&R [Artist and Repertoire] zwar gestiegen sind, sind die Investitionen in M&P seit 2010 insgesamt leicht um 6% gesunken“.

Die Pressemitteilung vermittelt den Eindruck, dass die Labels stark gestiegene Lizenzsummen an die Künstler:innen gezahlt haben, um deren Leistungsschutzrechte zu erwerben. Diese Behauptung wird eher nicht zutreffen und ist zumal kontraproduktiv in Zeiten, in denen Künstler:innen mit den Digital Service Provider um eine angemessene Vergütung kämpfen und sich den Herausforderungen der Artificial Intelligence stellen müssen. Die Plattenfirmen haben die branchenüblichen Lizenzwerte für Künstler- und Bandübernahmeverträge nicht auf 35-58% angehoben. Dieser Eindruck wird aber erweckt.

Die Studie stellt fest, dass die Einnahmen wieder das Niveau von vor über 20 Jahren erreicht haben. Abb. 4 der Studie ist hier instruktiv: Danach investierte die Branche von 2018 bis 2022 weniger in Promotion und Marketing, gleichzeitig stiegen die Einnahmen. Es lohnt darüber nachzudenken, wie es zu dieser umgekehrten Proportionalität gekommen ist.

Auch die Angabe, dass die Artist-and-Repertoire-Ausgaben gänzlich in die Entdeckung und Entwicklung neuer Künstler*innen fließen (S. 6, Abs. 1), hätten die Autoren der Studie kritisch hinterfragen können. Denn bei etablierten Acts liegen diese Kosten oft bei den Labels. Sie gänzlich bei „Forschung und Entwicklung“ anzusiedeln, halten wir für gewagt.

Auch erhalten Künstler:innen für Zweit-Nutzungsrechte im Streaming keinerlei mit den Sender-Vergütungen vergleichbare Zahlungen, wie sie die GVL auszahlt und wie es das Urheberrecht-Diensteanbieter-Gesetz fordert. In diesem Marktsegment wird auf der Seite der Urheberrechtsvergütungen mit Zuschlagsvergütungen gearbeitet, während es für Übertragungen der Leistungsschutzrechte seitens der Labels keine Zuschlagsvergütungen gibt.

Dass die gestiegenen Einnahmen vor allem Künstler:innen zugutekommen, wie es die Studie darstellt, ist als Ziel zu befürworten. Die Realität sieht bisher anders aus. Denn im Gegensatz zu den Thesen der Studie lassen die Einnahmen der Musikindustrie in Bezug auf die Ausschüttungen an Künstler:innen noch viel Raum nach oben erkennen. Für weitreichende Investitionen in diese ist durchaus Potenzial da – von dessen Nutzung letztlich alle Marktteilnehmer:innen profitieren würden.

Frank Kühl, Förderverein Musikwirtschaft NRW
Matthias Hornschuh und Robert v. Zahn, Landesmusikrat NRW
Pro Musik

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